Von Helga Baumfalk
Traditionelle Gebäcke – ist das ein Trend? Ja oder nein? Eine Fortsetzung unseres Beitrags „Immer wieder neu (denken)“ aus brot+backwaren 2-2024 mit den Antworten von Roland Ermer, Tobias Exnerund Bernd Kütscher.
Danach haben wir gefragt:
1) Wie ist Ihre Einschätzung, gibt es den Trend zu traditionellen Gebäcken wirklich?
2) Falls ja, wie wird er umgesetzt?
3) Von welchen Bäckereien wird er umgesetzt? 4) Von welchen Käuferschichten werden die Gebäcke nachgefragt?
5) Bitte nennen Sie uns ein Rezept eines „Hidden Champions“.
Brot wird heute gern mit wenigen Zutaten gebacken
Eine Renaissance der traditionellen Backwaren ist eher dort zu spüren, wo viel mit Trends gespielt wurde, also vorrangig in urbanen Regionen. Die Rückbesinnung auf alte Herstellungsweisen und in Vergessenheit geratene Rohstoffe beweist, dass das Bäckerhandwerk mit seiner Tradition anerkannt und geschätzt wird.
Für unseren Betrieb sind traditionelle Gebäcke schon immer wichtig gewesen. Unsere Kundschaft kann sich auf klassische regionale Spezialitäten wie Blechkuchen und Butterkekse verlassen. Doch jeder Betrieb hat seine eigene Kundschaft und weiß am besten, was diese erwartet. Die Betriebsgröße spielt dabei sicherlich keine Rolle.
Brot wird heute gern mit wenigen Zutaten gebacken wie zu Urgroßvaters Zeiten, bei süßen Standardgebäcken findet sich oft auch eine moderne Komponente, die die Vielfalt und Kreativität unseres Berufes unterstreicht. Junge Käufer sind dabei sicher experimentierfreudiger, doch verbindet uns nicht alle eine Kindheitserinnerung an beispielsweise DIE Eierschecke oder DAS knusprige Krustenbrot? Wenn ein Bäcker mit seinen Backwaren dieses Gefühl aus unserer Erinnerung zurückholen kann, dann hat er gewonnen.
Roland Ermer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks und Geschäftsführer der Bäckerei Roland Ermer in Bernsdorf, Sachsen
„Verbindet uns nicht alle eine Kindheitserinnerung an DIE Eierschecke oder DAS knusprige Krustenbrot? Wenn ein Bäcker mit seinen Backwaren dieses Gefühl zurückholen kann, dann hat er gewonnen.“
Neu-Interpretation, ja bitte. Man muss mit der Zeit gehen
Einen Megatrend zu traditionellen Gebäcken kann ich nicht ausmachen, wir stellen aber fest, dass viele Kunden nach Sauerteig, Vorteigen, Langzeitführung und der Herkunft der Rohstoffe fragen. Es sind eher qualitätsbewusste Leute, die in unsere Fachgeschäfte kommen, die etwas Besonderes möchten und traditionelle, handwerkliche Herstellung schätzen. Diejenigen, denen das nicht wichtig ist, erreichen wir nicht. Sie kaufen woanders.
Die Rezepturen und die Herstellung traditioneller Gebäcke dürfen und sollten aus meiner Sicht adaptiert werden. Man muss mit der Zeit gehen. Oder kennen Sie einen Bäcker in Deutschland, der ohne Kneter arbeitet? Neu-Interpretationen traditioneller Gebäcke sind Normalität. Auch der Stollen hat sich im Laufe der Jahre verändert. Zuerst war ein Stollen ein süßes Brot, später gab man Früchte hinzu und noch mal später „Exotisches“ wie Mandeln und Orangeat oder Zitronat. Heute wird das als traditionell empfunden.
Siedegebäcke wurden früher in Schweineschmalz ausgebacken. Auch das wäre eigentlich traditionell. Aus gesundheitlichen und geschmacklichen Gründen nimmt man heute Pflanzenöle. Zu DDR-Zeiten wurde Schweineschmalz außerdem für Schrippen verarbeitet. Die Teige entwickelten sich besser, weil im Schmalz natürliche Emulgatoren enthalten sind.
In unserer Bäckerei haben wir eigentlich kein Produkt, von dem man sagen kann, das haben wir schon immer so gemacht. Typisch für uns als Brandenburger Bäckerei ist natürlich das Roggensauerteigbrot. Mit seinen sandigen Böden ist Brandenburg eine Roggenregion und ist schon seit jeher durch das Militärische geprägt. Zur Versorgung der Einheiten bekamen die Bäcker irgendwann die Vorgabe, ein Brot zu backen, das stapelbar ist, lange haltbar und auf kleinstmöglicher Backfläche gebacken werden kann. So entstand das Kommissbrot. Tobias Exner, Vorsitzender des Bäcker- und Konditoren Landesverbands Berlin-Brandenburg und Inhaber der Bäckerei Exner aus Beelitz, Brandenburg
„Einen Megatrend zu traditionellen Gebäcken kann ich nicht ausmachen, wir stellen aber fest, dass viele Kunden nach Sauerteig, Vorteigen, Langzeitführung und der Herkunft der Rohstoffe fragen.“
Was traditionell ist, unterscheidet sich nach Region
Nach meiner Wahrnehmung bieten Bäckereien stets eine Mischung aus neueren und traditionellen Gebäcken an – letztere besonders häufig zu Brauchtumsfesten wie Nikolaus, Weihnachten, Ostern, St. Martin, Karneval/Fasching, Kirchweih/Kerwe/Kirmes usw. Interessant ist, dass diese sich dann regional oft deutlich unterscheiden. In manchen Regionen werden zu St. Martin z. B. süße, ovale Martinswecken gebacken. In anderen Regionen kennt man zum gleichen Anlass Weckmänner oder Stutenkerle. Und in wieder anderen Regionen Martinsbrezel. Zu den saisonalen Brauchtumsgebäcken gesellen sich traditionelle Backwaren im ganzjährigen Sortiment, z. B. regionale Brotsorten und Feingebäcke, die generationsübergreifend nachgefragt werden.
Bernd Kütscher, Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim, Baden-Württemberg