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b+b-2022-05-Leichte Kratzer oder ernsthafte Verwundung?

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Die deutschen Handwerksbäcker in der Pandemie

Diese Studie basiert auf den im Bundesanzeiger publizierten Jahresabschlüssen und Lageberichten von 101 größeren, vorwiegend handwerklich produzierenden Bäckereiunternehmen und gibt einen detaillierten Überblick über die wirtschaftliche Situation der Branche in Abhängigkeit von der Betriebsgröße. Verglichen wird das Jahr 2019 vor der Corona-Krise mit 2020, als die erste pandemische Krankheitswelle zu den bekannten wirtschaftlichen Problemen führte – und für viele zu einer existenziellen Frage wurde. Im Allgemeinen ist 2020 auch das Jahr, für das veröffentlichte Jahresabschlüsse vorliegen, sodass die Daten den aktuellen Stand der Berichterstattung darstellen. Bei abweichendem Wirtschaftsjahr, d. h. mit unterjährigem Bilanzstichtag, wurde der Jahresabschluss mit dem während des Jahres 2020 endenden Geschäftsjahr zugrunde gelegt. Es handelt sich dabei um nur eine Handvoll Unternehmen.

Der Vorteil der Verwendung veröffentlichter, von Wirtschaftsprüfern testierter Daten liegt auf der Hand. Freilich muss dabei in Kauf genommen werden, dass nicht-publizitätspflichtige Unternehmen (z. B. Personengesellschaften in der Form der KG oder OHG oder als GmbH & Co. KG mit mindestens einer natürlichen Person als Komplementärin) nicht einbezogen werden können. Das Gleiche gilt für Kleinstunternehmen, die nur eine Bilanz und keine Gewinn- und Verlustrechnung veröffentlichen müssen, sodass diese ebenfalls in der Stichprobe fehlen. Diese Feststellung ist wichtig, weil rund 80 % der Betriebe einen Umsatz unter einer Million Euro erwirtschaften, die Hälfte davon sogar unter 250.000 Euro. Insoweit handelt es sich nicht um eine repräsentative Studie im wissenschaftlichen Sinne. Dennoch ist die Vielzahl von Unternehmen aller Größenklassen in Verbindung mit dem hier verwendeten, umfangreichen Analyseinstrumentarium geeignet, die Marktsituation, wie sie sich zur Jahreswende 2020 darstellt, zuverlässig abzubilden.

Autor

Prof. Dr. James Bruton ist Steuerberater. Außerdem lehrt er Wirtschafts- und Unternehmensethik mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und CSR am Internationalen Institut für Management und ökonomische Bildung an der Europa-Universität Flensburg. Er ist Autor des im Erich-Schmidt-Verlag, Berlin, erschienenen Buches „Corporate Social Responsibility und wirtschaftliches Handeln. Konzepte, Maßnahmen, Kommunikation“.

Eine weitere Besonderheit gilt es zu beachten: Die Geschäftsmodelle der Bäckereiunternehmen sind unterschiedlich. Die klassische Vorstellung einer Handwerksbäckerei ist die eines Unternehmens, das für die eigenen Verkaufsstellen produziert. Mit der seit vielen Jahren herrschenden Konzentration in der Branche herrscht vielfach der Zwang, eine große Anzahl von Verkaufsstellen zu bewirtschaften. Heute ist es schon so, dass Unternehmen, die weniger als rund zwei Dutzend Verkaufsstellen haben, fast eine Nischen-
existenz führen. Der Expansionsdruck hat neben der Belieferung der eigenen Verkaufsstellen und Cafés inzwischen auch zu Franchising-Modellen geführt. Daneben gibt es die in der Regel großen Unternehmen, die „nur“ backen und an den Lebensmitteleinzelhandel liefern. Dabei wird die Grenze zur industriellen Produktion überschritten und das Handwerkliche tritt in den Hintergrund. Bei der Auswahl der Unternehmen wurde versucht, diejenigen Betriebe einzubeziehen, die grosso modo die handwerkliche Backkunst noch verkörpern. Manche Unternehmenszahlen, wie zum Beispiel die Personalintensität, können nur vor dem Hintergrund des Geschäftsmodells richtig interpretiert werden.

Des Weiteren ist zu beachten, dass die Daten für die Studie aus dem Bundesanzeiger manuell übernommen werden mussten. Bei den über 5.000 Datensätzen können Übernahmefehler aus diesem Grund nie gänzlich ausgeschlossen werden. Die verwendeten Kontrollprozeduren gewährleisten jedoch eine Fehlerquote von weniger als einem Prozent, sodass die generelle Aussage durch einzelne Fehler nicht eingeschränkt wird. Andererseits kann keine Haftung für eventuelle Fehler im Einzelfall übernommen werden.

Die Entwicklung des Bäckereimarkts

Der Bäckereimarkt befindet sich seit Jahren in einem Konsolidierungsprozess, der durch das wachsende Angebot von Backwaren im LEH auch im Snack- und Gastronomiebereich ausgelöst wurde. Konsolidierung bedeutet eine schrumpfende Anzahl von Unternehmen, die effektiver und effizienter und mit einer jährlich sinkenden Zahl von Beschäftigten zu operieren versuchen. Damit geht ein starker Wachstumsdruck und ein hoher Grad an Filialisierung einher, wobei die Branchenumsätze trotz sinkender Zahl der Unternehmen und Beschäftigten kontinuierlich nach oben klettern. Das Ergebnis ist eine sich öffnende Schere, so wie sie in Abb. 1 dargestellt wird.

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Abb. 1: Entwicklung von Betriebszahlen und Nettoumsatz der Bäckereibetriebe

Wir sehen hier einen Umsatztrend, der seit 2012 kontinuierlich ansteigt, und zwar bis ein von der Pandemie verursachter Knick einsetzt, der sich allerdings alsbald erholt. Auf der anderen Seite geht seit 2013 die Schere zwischen Umsatz und Betriebszahl kontinuierlich auseinander. Ein Blick in die nachfolgende Tabelle 1 verrät Genaueres.

In den zehn Jahren zwischen 2012 und 2021 ist die Anzahl der Betriebe um 3.701 von 13.666 auf 9.965 zurückgegangen, was einen Rückgang von 27,1 % bedeutet. Ab 2019 flacht die Kurve leicht ab: Rückgang 2019 gegenüber dem Vorjahr = 4,0 %; 2020 = 3,0 %; 2021 = 2,1 %. Vielleicht zeichnet sich hier eine allmähliche Beruhigung des Konsolidierungsprozesses ab oder die Entwicklung ist der Pandemie geschuldet. Die prozentualen Werte sind immerhin denjenigen unmittelbar nach der Finanzkrise 2010 und 2011 vergleichbar. Die Ursache werden wir erst nach einigen Jahren in der Retrospektive erkennen.

Parallel zum Rückgang der Betriebe gingen auch die Zahlen der Beschäftigten und Auszubildenden zurück. Bis zur Corona-
Krise ging die Beschäftigtenzahl jährlich um 1-2 % zurück. Mit dem Einsetzen der Pandemie schnellte der Rückgang 2020 auf 4,0 % und im Folgejahr sogar auf 5,7 % hoch.

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Diese Entwicklung scheint krisenbedingt zu sein. Die Azubizahlen sehen noch trister aus, was wohl in den Schwierigkeiten bei der Anwerbung von Lehrlingen begründet liegt. In einer Online-Umfrage des Zentralverbands Mitte 2020 gaben zwar knapp 30 % an, keine coronabedingten Rekrutierungsprobleme zu haben. Gleichzeitig sahen aber rd. 20 % der Befragten die Hygienemaßnahmen und den Zugang zu allgemeinbildenden Schulen als erschwerend an.

Der Grund für die allgemeine Entwicklung liegt in der Schaffung von Umsatzpotenzialen durch stärkere Filialisierung und Übernahme aufgebender Betriebe bei gleichzeitiger Nutzung von Synergien und Kostendegressionen. Die Ausweitung der Filialisierung erfolgt nicht nur aufgrund von Insolvenzen; vielmehr ist es für kleine Betriebe oft gar nicht möglich, einen Nachfolger zu finden, was die Übernahme von Filialen durch Großbäckereien begünstigt. Steigende Umsätze werden durch eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung befördert, nämlich durch die Steigerung des Außer-Haus-Verzehrs mit vielen Snacks zwischendurch.

Im Zusammenhang mit den Lockdown-Zeiten im Corona-Jahr 2020 stellt die GfK (Consumer Index 12, 2020, S. 9) Folgendes fest:
+ Die Umsätze von Brot und Backwaren stiegen gegenüber dem Vorjahr um rd. 9 %, eine geringere Steigerung als bei den anderen Frische-Hauptkategorien Fleisch/Wurstwaren und Obst/Gemüse und auch weniger als die durchschnittliche Steigerung bei den schnelllebigen Konsumgütern insgesamt.
+ Die 9 % ergeben sich aus einem Wachstum von 6,5 % bei Brot gesamt und 12 % bei den frischen feinen Backwaren (Kleingebäck, „kleine“ Feinbackwaren). Das Wachstum bei hellem Brot (insbesondere bei Toast- und Sandwichbrot mit einem Mengenzuwachs von ca. 9 % gegenüber 2019) war fast doppelt so stark wie bei den dunklen Sorten.
+ Der Preis pro Kilo Brot/Backwaren lag knapp 4 % über dem Vorjahresniveau.

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In die Studie einbezogene Unternehmen

Die 101 Unternehmen in der Stichprobe wurden in Größenklassen eingeteilt, um eine bessere Vergleichbarkeit innerhalb der Gruppen zu ermöglichen. Die Basis für die Einteilung ist der Jahresrohertrag und nicht der Jahresumsatz. Letztere Zahl ist größtenteils nicht verfügbar, weil die meisten Unternehmen die größenabhängigen Erleichterungen des HGB in Anspruch nehmen und die Gewinn- und Verlustrechnung mit dem Rohertrag als Unterschiedsbetrag zwischen Umsatzerlösen und Materialeinsatz aufsetzen. Die folgende Tabelle zeigt die Einteilung der Unternehmen in Größenklassen.

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Die folgenden Tabellen 3 bis 7 listen die Bäckereiunternehmen jeweils mit Angabe des Rohergebnisses für 2020 sowie der Vergleichszahl für 2019 auf.

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Zentrale Ergebnisse der Studie

Für die Analyse wurden die in der Abb. 2 dargestellten Kennzahlen verwendet.

Zusätzlich zu diesen Kennzahlen wurde auch die Personalintensität als Anteil der Personalaufwendungen gesamt im Verhältnis zum Rohertrag ausgewertet. Die mit dem Durchschnitt abgebildeten Ergebnisse wurden mit dem Median gemessen, weil dadurch sog. „Ausreißer“ nach oben und unten nicht in die Durchschnittsbildung einfließen.

Die Ertragskraft hat sich in der Stichprobe gegenüber dem Vorjahr deutlich verbessert. Dieser Befund deckt sich mit dem allgemeinen Trend steigender Umsätze laut Branchenstatistik. Die durchschnittliche Gesamtkapitalrentabilität stieg in der gesamten Stichprobe um über 2 Prozentpunkte von 9,95 auf 12,11 %. Die Cashflow-Rohertragsrendite stieg ebenfalls, und zwar von 8,84 auf 9,47 %. Dieser Trend zeigt sich fast durchgängig in allen Größenklassen. Damit kann man sagen, dass im Vergleich zum Vorjahr das gesamte eingesetzte Kapital rentabel eingesetzt wurde und es bleibt noch Rohertrag für Investitionen, Schuldentilgung und Ausschüttungen übrig.

Mit der Stärkung der Ertragskraft geht auch eine Verbesserung der finanziellen Stabilität einher. Die Cashflow-Ratio, und damit die erwirtschaftete Liquidität zur Bedienung kurzfristiger Verbindlichkeiten, stieg um ganze 12,38 Prozentpunkte, und zwar durchgängig in allen Größenklassen. Auch die Eigenkapitalquote, die aus Bankensicht für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit von großer Bedeutung ist, ist von 21,43 auf 22,27 % leicht gestiegen. Unproblematisch ist auch der dynamische Verschuldungsgrad, der die Schuldentilgungsdauer in Jahren zum Ausdruck bringt. Dieser liegt in beiden Perioden bei 0,0.

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Abb. 2: Das verwendete Kennzahlensystem

Die Vermögensstruktur liefert Hinweise auf Einsatzeffizienz des Anlagevermögens, um Cashflow zu erzeugen, auf getätigte Investition und auf das Alter von Produktionsanlagen und Einrichtungen. Außerdem gibt sie Aufschluss darüber, wie viel Nettoumlaufvermögen für Inventionen und für die Bewältigung des Produktionsprozesses zur Verfügung steht. Die Asset Efficiency Rate als Gradmesser für die Effizienz des Anlageneinsatzes liegt in beiden Perioden bei durchschnittlich 34 %. Gestiegen ist sie bei den mittelgroßen Unternehmen; bei den sehr großen und sehr kleinen Unternehmen ist sie hingegen leicht gefallen. Die Investitionsquote ist insgesamt leicht rückläufig, aber bei den beiden großen Gruppen M und S gestiegen. Der Anlagenabnutzungsgrad liegt in beiden Jahren stabil bei 68,5 % – einem akzeptablen Wert. Die Working Capital Ratio war 2019 durchweg negativ. Der Median betrug -24,17 %. Das Blatt hat sich jedoch 2020 gewendet: Er liegt bei +10,04 %. Bei den Gruppen M und S war er noch negativ mit -0,61 (Vj. -26,09 %) bzw. -19,01 % (Vj. -44,32 %). Damit verbesserte sich die Lage der Unternehmen, sich selbst zu finanzieren, erheblich.

Die Personalintensität ging um rd. 2,5 % zurück und liegt 2020 bei 54,7 %. Wegen Unterschieden in den Geschäftsmodellen sinkt erwartungsgemäß die Personalintensität mit zunehmender Betriebsgröße. So beträgt die Spanne zwischen der Gruppe XL (mit 51 %) und der Gruppe XS (mit 59 %) 8 Prozentpunkte. Als Ergebnis einer Online-Erhebung des Verbands Mitte 2020 nannten die Unternehmen Kurzarbeit, den Abbau von Arbeitszeitkonten und Urlaub als Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderungen der Pandemie. Weitaus weniger griffen sie auf betriebsbedingte Kündigungen zurück. Die Suche nach geeignetem Fachpersonal bleibt trotzdem eines der größten Probleme der Branche. Erst kürzlich hat der Autor in einer Bäckereifiliale einen Aushang mit dem Angebot einer „Willkommensprämie“ von 500 Euro für eine neue Teilzeitkollegin entdeckt!

Die in der genannten Online-Befragung genannte Erwartung von rd. 70 % der Befragten (Stand also Mitte 2020), dass die Umsätze für 2020 schlechter sein würden als 2019, hat sich im Großen und Ganzen zum Glück nicht bewahrheitet. Die Zahlen dieser Studie zeigen im Gegenteil, dass die Bäckereiunternehmen alles in allem recht gut durch die Pandemie gekommen sind. Das ist selbstredend aus der hohen Warte gesprochen: Auf der Ebene der einzelnen Unternehmen fallen die Ergebnisse ganz unterschiedlich aus.

Online geht`s weiter
Lesen Sie die vollständige Studie auf unserer Website: www.brotundbackwaren.demarktmacher