von Anne Fremaux, Bakery Director, GIRA
Bäckereiketten expandieren in Europa in rasantem Tempo, wobei Deutschland an der Spitze liegt. Traditionelle Ketten dominieren, aber auch Coffeeshops, Sandwich-Ketten und andere Geschäftsmodelle holen auf und bieten einladende Alternativen.
Angesichts verschwimmender Grenzen zwischen Einzelhandel und Foodservice und des zunehmenden Wettbewerbs ist es wichtig zu verstehen, welches Geschäftsmodell den Vertrieb und die Produktion von Backwaren in naher Zukunft am stärksten beeinflussen wird. GIRA (Girag & Associates) hat dazu die neue Studie ‚Business Models of Bakery Chains in Europe‘ in englischer Sprache veröffentlicht, die die 15 wichtigsten europäischen Länder abdeckt. Für die Studie wurden Unternehmen mit mehr als 10 Verkaufsstellen als „Kette“ eingestuft. So wurden 400 Bäckereiketten mit insgesamt etwa 42.000 Filialen gezählt, die im Jahr 2020 auf einen Gesamtumsatz von über 13 Mrd. EUR (ohne Steuern) kommen. In Deutschland gibt es die bei Weitem größte Anzahl an Verkaufsstellen, gefolgt von UK, Frankreich und Polen.
Zusätzlich zu „traditionellen“ Bäckereiketten gibt es über 100 Coffeeshop-Ketten mit fast 14.800 Verkaufsstellen. Ihr Gesamtumsatz belief sich 2020 abzüglich Steuern auf beeindruckende 6 Mrd. EUR. Die Marken-Coffeeshops wachsen in Europa um über 3 % pro Jahr und bieten neben Kaffee auch frische Backwaren an.
GIRA hat acht Ketten-Geschäftsmodelle identifiziert:
1. „Klassische“ Bäckereiketten – bieten ein klassisches Sortiment an, wobei Brot oft die Hauptrolle spielt. Sie positionieren sich zwischen traditionellen Bäckereien und Bäckerei-Cafés. Beispiele: K&U, Kamps (Deutschland) oder Panos (Belgien)
2. Sandwich-Ketten – haben sich auf die Vermarktung von Sandwiches spezialisiert. Es sind im Wesentlichen Foodservice-Betriebe. Beispiele: Subway, Pret a Manger (UK)
3. Food to go – dazu gehören Fast-Food-Ketten, die sich auf den schnellen Service konzentrieren und eine schmale Produktpalette führen. Sie sind spezialisiert auf süße/herzhafte Snacks und Grab-and-go-Angebote. Beispiele: Fornetti (Ungarn), Gregg’s (UK)
4. Bäckerei-Cafés – positionieren sich zwischen Restaurant und Bäckereikette. Sie führen ein komplettes Angebot an Sandwiches und Snacks. Große Akteure: Paul (Frankreich), Granier (Spanien)
5. Artisan-Ketten – halten die handwerkliche Produktion durchgehend aufrecht. In Frankreich sind sie als Boulangerie bekannt, in den Niederlanden als „Handwerksgilden“. Beispiele: Marie Blachère (Frankreich), Echte Bakkersgilde (Niederlande)
6. Spezialisierte Ketten – verkaufen spezialisierte Sortimente, hauptsächlich Patisserie, Donuts oder amerikanische Backwaren. Zu dieser Nische gehören auch Bio- oder Low-Carb-Ketten. Beispiele: Cukierna Sowa (Polen), Krispy Kreme (UK)
7. Discount-Ketten – in der Regel auf Selbstbedienung ausgerichtet. Sie zeichnen sich durch eine Niedrigpreispositionierung aus. Beispiel: BackWerk (Deutschland)
8. Coffeeshops – sind in erster Linie auf Kaffee und Kaltgetränke fokussiert, führen aber auch süße Backwaren und herzhafte Produkte. Beispiele: Costa Coffee, McCafé
Eine Gemeinsamkeit aller Geschäftsmodelle liegt in der Bedeutung des Standorts. Die wichtigsten Standorte sind Stadtzentren und Hauptstraßen, Einkaufszentren und Verkehrsknotenpunkte. Daneben gibt es einen wachsenden Trend zu nicht-traditionellen Standorten. Der Anteil der Bäckerei-produkte (Brot, Viennoiserie, süßes und herzhaftes Gebäck) am Gesamtumsatz liegt bei den Geschäftsmodellen bei über 70 %. Eine Ausnahme bilden Coffeeshops, hier liegt dieser Anteil im Schnitt bei etwa 30 %.
Anteil der Ketten-Geschäftsmodelle an den Verkaufsstellen, EU14, 2021
Die Stores der Ketten-Geschäftsmodelle sind vornehmlich gemütlich und einladend eingerichtet. Der Markenaufbau wird von einer starken Kommunikation begleitet, die bei allen Varianten ziemlich ähnlich funktioniert. Die Betriebe nutzen die Ansprache in den Geschäften oder vor Ort, ihre eigenen Websites, mobile Apps, Treueprogramme und vor allem alle Formen von Social Media.
Manche Ketten verfolgen spezielle Konzepte. Gregg‘s (UK) und Bageteri Boulevard (CZ) haben z. B. den Verkauf von Brot eingestellt. Andere haben sich darauf spezialisiert, ausschließlich Take-away anzubieten, wie Minit (CZ) und Dobra Pączkarnia (PL). Weitere Unternehmen, die ungewöhnliche Wege gehen, sind t‘Stoepje (NL) – sie betreiben ausschließlich mobile Kioske – und Princess (HU) – sie verkaufen in ihrem Heimatland Ungarn ausschließlich über Kioske in den Budapester U-Bahnhöfen.
Der Übergang zum Omnichannel-Vertrieb wird der Schlüssel zur Vervielfachung potenzieller Kundenkontakte und zur Steigerung der Markenbekanntheit einer Kette sein. Dies kann durch B2B-Direktlieferungen von frischen Backwaren an Restaurants oder benachbarte Einzelhändler erreicht werden, alternativ auch über den B2C-Verkauf verpackter Markenprodukte im Einzelhandel, in der Gastronomie oder über die eigene Website.
Anne Fremaux, Bakery Director, GIRA
Anhaltendes Wachstum
Bäckereiketten haben in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht, indem traditionelle Bäckereiangebote um herzhafte Spezialitäten, Snacks und/oder Getränke diversifiziert wurden, was auch durch die Entwicklung von Fast-Food- und Food-on-the-
go-Alternativen angekurbelt wurde. Darüber hinaus tragen neue Konzepte wie Artisan-Ketten und Bäckerei-Cafés mit ihren Innovationsmöglichkeiten in diesem Segment zum Erfolg der Bäckereiketten bei.
Die wichtigsten Faktoren, die das Wachstum im Bereich „Bäckereiketten“ angetrieben haben, sind:
+ das Angebot an Premium-Produkten oder im Gegenteil, von preiswerten Food-to-go-Produkten
+ die Entwicklung herzhafter Snacks
+ die Umsetzung regionaler, nachhaltiger Bäckereikonzepte
+ die steigende Nachfrage nach handwerklich und lokal hergestellten Produkten
+ die Fokussierung auf traditionelle Handwerkskunst, z. B. bei den Artisan-Ketten
+ die Einrichtung von Foodservice-/Kaffeebar-Dienstleistungen, die die Mitnahme von Speisen einschließt
Darüber hinaus wurde die Expansion von Bäckerei- und Coffeeshop-Ketten durch die Entwicklung des Franchisesystems und den Zugang zu Finanzierungsmodellen erleichtert, mit Unterstützung verschiedener Ressourcen, einschließlich großer industrieller Bäckereien oder Investmentfonds.
Anteil der Ketten-Geschäftsmodelle am Umsatz frischer Backwaren, EU14, 2021
Der Weg zum Erfolg
Während der Marktbeobachtung sammelte GIRA Informationen über mehr als 150 Bäckerei- und Coffeeshop-Ketten und identifizierte wichtige Erfolgsfaktoren:
+ Standort – Qualität und Vielfalt der Standorte der Betreiber sowie künftige Ziele zur Eröffnung von Verkaufsstellen, d. h. Möglichkeiten für weitere Standorte
+ Produktangebot – das Angebot an „klassischen“ Bäckereiprodukten ist ein Muss, aber Street Food und Snacks für unterwegs sind zu wichtigen Wachstumsmotoren geworden
+ Preis-Leistungs-Verhältnis – Qualität des Angebots vs. Preispolitik
+ Ladenatmosphäre – die Attraktivität des Geschäfts
+ Beschaffungsstrategie – Kontrolle der Lieferkette durch Eigenproduktion in den Filialen oder eigene Bäckereien
+ Eigentumsverhältnisse – die Fähigkeit, die Expansion voranzutreiben
+ Dienstleistungen – Übergang zum Omnichannel-Vertrieb
Bäckerei- und Coffeeshop-Ketten wurden durch GIRA nach den Erfolgsfaktoren bewertet. Wobei die folgenden Ketten in Europa besonders hohe Durchschnittswerte erreicht haben:
+ Gail‘s (UK): attraktive Stores in wohlhabenden Vorstädten, vertikal integriert (d. h., Gail‘s betreibt eine eigene zentrale Bäckerei, die die Filialen täglich mit Backwaren beliefert), Image einer handwerklichen Bäckerei
+ Bageterie Boulevard (Tschechische Republik): saisonales Premium-Gourmet-Fastfood-Angebot, breite Palette an Dienstleistungen (z. B. Drive-thru)
+ Lagkagehuset (Dänemark): vertikal integriert, Filialen werden mit frischen Premium-Backwaren beliefert, hohe Kundentreue
+ Lipóti Pékség (Ungarn): Kombiniert das Profil einer klassischen Kette für Brot und eines modernen Bäckerei-Cafés, betreibt mehrere eigene Produktionen zur Belieferung der Filialen
Wettbewerb um Marktanteile
In vielen Ländern sind Bäckerei- und Coffeeshop-Ketten heute die wichtigsten Akteure in der gesamten Lieferkette für Backwaren. Im Jahr 2021 entfielen auf sie in den 15 untersuchten Ländern: 15 % des Vertriebs von Frischbackwaren, 2 % der vor den Augen der Kunden produzierten Backwaren und 13 % der industriellen Bäckereiproduktion. Die wichtigsten Geschäftsmodelle sind klassische Bäckereien, Coffeeshops und Sandwich-Ketten, auf die 70 % der Gesamtzahl der Verkaufsstellen und 62 % des Gesamtumsatzes mit frischen Backwaren im Kettensektor entfallen.
Die durchgeführte Studie liefert erstmals auch eine umfassende Analyse zu den Beschaffungsstrategien, wobei es um das Backen im eigenen Betrieb geht, den Kauf und Weiterverkauf von frischen Backwaren oder das Backen von Bake-off-Backwaren. GIRA schätzt, dass 2021 etwa die Hälfte der Frischbackwarenlieferungen der Bäckereiketten in ihren eigenen zentralen Betrieben hergestellt (und als Frischware oder Bake-off an die Verkaufsstellen geliefert) wurden. Darüber hinaus haben ihre Betriebe damit begonnen, externe B2B-Kunden (Einzelhändler, Restaurants) zu beliefern, was zu einem Anteil der Bäckereiketten von 13 % an der gesamten industriellen Frisch- und Bake-off-Backwarenproduktion in Europa führte.
Das Unerwartete erwarten
In einigen Ländern haben Bäckereiketten ein Plateau erreicht. Neue Wachstumsmotoren müssen gefunden werden. Darüber hinaus hatte die Corona-Krise erhebliche Auswirkungen auf den Produktmix, was von der Rationalisierung des Angebots bis hin zur Einführung neuer Produkte wie „Survival Kits“ zum Backen für zu Hause oder der Hinwendung zu gesünderen, traditionellen oder regionalen Produkten reichte.
Die Einführung von Click & Collect und das Liefergeschäft war für viele Betriebe die Rettung während der Pandemie. Dennoch liegen viele in ihren Online-Serviceangeboten noch weit hinter denen der Restaurants oder Fast-Food-Läden zurück. Die Beschleunigung der Digitalisierung und die Entwicklung eines CRM (Customer Relationship Management), also eines Kundenbeziehungsmanagements für mehr Kundenloyalität, werden zukünftige Herausforderungen sein.
Der Übergang zum Omnichannel-Vertrieb wird der Schlüssel zur Vervielfachung potenzieller Kundenkontakte und zur Steigerung der Markenbekanntheit einer Kette sein. Dies kann durch B2B-Direktlieferungen von frischen Backwaren an Restaurants oder benachbarte Einzelhändler erreicht werden, alternativ auch über den B2C-Verkauf verpackter Markenprodukte im Einzelhandel, in der Gastronomie oder über die eigene Website. Dies wird von Coffeeshop-Ketten mit ihrem Markenkaffee bereits in großem Umfang genutzt. Für Bäckereiketten liegt das Potenzial weit weniger im Fokus. Ausnahmen gibt es. Pret (UK) beispielsweise verkauft TK-Viennoiserie-Teiglinge und Müsli an Tesco und Lagkagehuset (DK) vertreibt eine große Auswahl an Gebäck und frischem Brot über den Online-Händler nemlig.com.
Neuproduktentwicklungen in Bäckerei- und Coffeeshop-Ketten konzentrieren sich vor allem auf vegane, vegetarische, glutenfreie oder gesundheitsfördernde Produkte, aber auch hochwertige Rezepturen (handwerkliche Produkte, Sauerteigbrot) werden zunehmend nachgefragt, ebenso wie Markenware und individualisierte Produkte.