FRITSCH ist seit 2019 Teil der MULTIVAC-Gruppe. Damit hat MULTIVAC sein Produktportfolio in Richtung Bäckereitechnik erweitert. Guido Spix, geschäftsführender Direktor der MULTIVAC-Gruppe, und Frank Gabriel, Geschäftsführer der FRITSCH Bakery Technologies, erläutern, wie beide Unternehmen in Zukunft mit Fokus auf Innovationen, Produktion und weiteres Wachstum voneinander profitieren werden.
Mihu: Zunächst einmal würde mich interessieren, wie die beiden Unternehmen überhaupt zusammenkamen, vor allem wenn man bedenkt, dass beide auf unterschiedliche Technologie-Bereiche spezialisiert sind. Deshalb die Frage: Warum genau hat MULTIVAC FRITSCH übernommen?
Guido Spix: FRITSCH war für MULTIVAC kein Unbekannter, denn beide Unternehmen waren bereits in der Vergangenheit an vielen Projekten gemeinsam beteiligt. Ein gutes Beispiel ist die Verpackung von Brezeln für die Backstationen im Einzelhandel. Dass FRITSCH für eine Übernahme zur Verfügung steht, haben wir durch Zufall erfahren und sofort die Chancen erkannt, die sich daraus ergeben, angefangen bei den technischen Ähnlichkeiten im Produktportfolio beider Unternehmen. Obwohl wir unterschiedliche Branchen bedienen, sind die Unternehmen aus technischer Sicht eng verbunden. Uns war von Anfang an klar, dass die Idee, beide Unternehmen unter einem Dach zusammenzuführen, perfekt funktionieren würde.
Wir haben schnell erkannt, dass FRITSCH – ein äußerst innovatives Unternehmen – von unserer „Operational Excellence“ profitieren kann. Innovation ist ein sehr wichtiger Teil unserer übergeordneten Unternehmensstrategie. Sowohl Fritsch als auch MULTIVAC sind in ihren Bereichen mit innovativen Produkten führend. Wir arbeiten systematisch an gemeinsamen Lösungen, sowohl was die Automatisierung als auch die Technologie selbst anbelangt.
1,5 Mrd. EUR
MULTIVACS prognostizierter Umsatz für 2022
Frank Gabriel: Während des Due-Diligence-Prozesses von MULTIVAC wurde deutlich, dass FRITSCH über eine hervorragende Expertise für innovative, technische Lösungen im Bäckereimaschinenbau verfügt und diese im Markt sehr angesehen sind. Es war allerdings auch schnell klar, dass durch den Zusammenschluss mit MULTIVAC neue Möglichkeiten geschaffen werden, die sich unmittelbar positiv auf das Geschäft von FRITSCH auswirkten. Beispiele sind der Zugang zu einem globalen Produktionsnetzwerk, gemeinsame Entwicklungen oder auch der internationale Vertrieb und Service. Wir konnten diese Vorteile direkt in unsere tägliche Arbeit einfließen lassen, allem voran Themen, die Herr Spix als „Operational Excellence“ bezeichnet hat. Zudem hatten wir sofort nach der Übernahme Kontakt mit Expertinnen und Experten von MULTIVAC, z. B. in den Bereichen Nassreinigung oder aber auch Wägetechnik, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auf der anderen Seite konnte MULTIVAC durch FRITSCH neue Erkenntnisse für die Gestaltung kompletter Linien und Anlagen gewinnen. Wir sahen von Anfang an, dass dies eine gute Ergänzung ist.
35 Mio. EUR
Auftragseingang bei FRITSCH in Q1 2022
Mihu: FRITSCH hat seit der Übernahme durch MULTIVAC bereits neue Technologieentwicklungen auf den Markt gebracht. Wie arbeiten die F&E-Teams zusammen?
Spix: Wir verfolgen eine klare Innovationsstrategie für unser Unternehmen. MULTIVAC hat schon vor vielen Jahren sehr erfolgreich einen agilen Entwicklungsprozess eingeführt und diesen immer wieder an neue Rahmenbedingungen angepasst. Diese Innovationsstrategie haben wir auch bei FRITSCH eingeführt. Die Digitalisierung unserer Maschinen und Anlagen spielt darin eine entscheidende Rolle. Außerdem setzen wir den Fokus klar auf Nachhaltigkeit. Ein Thema, das auch bei den FRITSCH-Kunden immer stärker in den Fokus rückt. Die ersten entsprechenden Anlagen sind bereits erfolgreich ausgeliefert worden. Es gibt einen regen Austausch und eine gute Zusammenarbeit in allen technischen Bereichen. Für mich darf das keineswegs eine Einbahnstraße sein. Die Muttergesellschaft hat von FRITSCH einiges gelernt. Beide Unternehmen wachsen wirklich zusammen.
Was die „Operational Excellence“ angeht, kann ich mit Stolz sagen, dass MULTIVAC zu den führenden Herstellern von Verpackungsmaschinen zählt. Wir arbeiten intensiv daran, sehr gut durchdachte Prozesse für die Produktion zu schaffen, angefangen bei der F&E bis hin zur Auslieferung an den Endkunden. In dieser Hinsicht war FRITSCH vor der Übernahme in seinem Geschäft weniger prozessorientiert und konnte leicht von unseren Ideen lernen.
Eine gut eingespielte Flotte
Mihu: Und wie hat sich die F&E aus Sicht von FRITSCH verändert?
Gabriel: Durch den neuen F&E-Prozess von MULTIVAC haben wir unsere existierenden Prozesse weiter verbessern können. Wir betrachten nun den gesamten Produktlebenszyklus mit einem umfassenden Blick und erweitern unseren Fokus weit über die Markteinführung hinaus. Es hilft uns sehr, mit den Teams von MULTIVAC weltweit zusammenzuarbeiten und Informationen abzustimmen und in unsere Innovationen mit einfließen zu lassen. Auf diese Weise konnten wir zudem die Markteinführungszeiten erheblich verbessern, da zum Beispiel Informationen bereits zu Beginn vollständiger zur Verfügung stehen. Darüber hinaus erhielten wir Zugang zu etablierten MULTIVAC-Technologien, wie etwa Lösungen von Wägetechnik, die schnell an die speziellen Bedürfnisse der Bäckereien angepasst werden konnten.
Spix: MULTIVAC ist eine Unternehmensgruppe mit 1,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Man könnte es deshalb als „Schiff“ betrachten, das in gerader Kiellinie durch die Welt der Märkte navigiert. Das ist aber so nicht ganz korrekt. Wir sind weiterhin eine Gruppe von kleinen, mittelständischen Unternehmen – „Speedboote“, wie wir sie nennen. Es gibt zum Beispiel ein „Speedboot“ für TVI-Fleischportionierung, eines für Schalenversiegelungstechnologie und eben eines namens FRITSCH. FRITSCH passte genau hinein in diese „Flotte“. Es ging nicht darum, dass ein „großes Schiff“ ein kleineres Unternehmen übernimmt, sondern FRITSCH reihte sich ein in eine agile Flotte weiterer kleinerer Unternehmen. Allerdings: Wenn man sich das Wachstumspotenzial von FRITSCH ansieht, wird es sehr bald eines der großen Schiffe der Gruppe sein. Wir freuen uns sehr über diese Reise.
„Die Basis für alle aktuellen und zukünftigen Entwicklungen bei FRITSCH ist unsere übergreifende Innovationsstrategie. Sie ist eng mit den anderen Unternehmen der MULTIVAC-Gruppe verzahnt.“
Frank Gabriel, Geschäftsführer, FRITSCH
Mihu: Das ist ein großartiges Bild! Passend zu dieser Idee scheint der Nutzen für die einzelnen Unternehmen in der Zusammenarbeit der kleinen „Speedboote“ zu liegen. Was können sie voneinander lernen?
Gabriel: In dieser Analogie sind wir tatsächlich ein „Speedboot“, das sich in einem Netzwerk von Schiffen verbindet. MULTIVAC stellt das Kommunikationssystem und die Navigationstechnik, sozusagen das Funksystem, das Radar und die Strategie zum Navigieren durch tiefes Gewässer, zur Verfügung. Wir als FRITSCH sind aber immer noch selbst dafür verantwortlich, mit unserem Team das „Speedboot“ FRITSCH weiter erfolgreich auf Kurs zu halten. Und nochmal zum Thema Unternehmens-Flotte: Wenn man ein Netzwerk ausbaut, bekommt man mehr Beobachtungspunkte auf dem ganzen Ozean. Wir sind in ständigem Austausch mit den anderen Unternehmenseinheiten im Verbund und lernen somit täglich voneinander und das auf allen Ebenen. Eine „Untiefe“, die ein Boot erkannt hat, wird sofort weitergegeben und kann von den anderen somit gezielt „umschifft“ werden.
Die Arbeit, die hinter den Innovationen steckt
Mihu: Der gemeinsame Antrieb für alle „Speedboote“ der Gruppe liegt in ihrer Einstellung zur Innovation. Welche Prioritäten setzt man bei FRITSCH beziehungsweise bei MULTIVAC?
Spix: Die größte Stärke der MULTIVAC-Gruppe ist ihr globales Vertriebsnetz. Wir arbeiten weltweit mit einem eigenen Mitarbeiterteam. Mit FRITSCH ergänzen wir einfach die Technologien und Produktportfolios, die wir über dieses Netzwerk anbieten. Darüber hinaus nutzen wir jetzt einen gemeinsamen F&E-Prozess, viele standardisierte Methoden (z. B. für den Einkauf von Komponenten), haben ein gemeinsames Konzept für Software und Digitalisierung und wir verwenden dieselben Werkzeuge. Wir müssen nichts von Grund auf neu erfinden und können uns stattdessen darauf konzentrieren, die richtigen Technologien anbieten zu können, um in den einzelnen Märkten innovativ zu sein.
Gabriel: Für uns ist Innovation einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für die Zukunft unseres Unternehmens. Diese Einstellung teilen wir zu 100 % mit MULTIVAC. Innovationen bedeuten für uns aber nicht zwingend, komplett neue Technologien hervorzubringen, sondern vielmehr, gezielt bestehende Technik so zu kombinieren, dass dadurch ein neuer Kundennutzen entsteht. Hier unterstützt uns der Zugriff auf ein weltweites Vertriebsnetzwerk, um somit neue Anforderungen in unterschiedlichen Regionen gezielt in unsere Innovationsprojekte mit einfließen zu lassen.
„Wenn man sich das Wachstumspotenzial von FRITSCH ansieht, wird es sehr bald eines der großen Schiffe der Gruppe sein.“
Guido Spix, geschäftsführender Direktor, MULTIVAC
PROGRESSA von FRITSCH, einem Unternehmen der MULTIVAC-Gruppe
Mihu: Eine der Lösungen, die FRITSCH kürzlich auf den Markt gebracht hat, ist die PROGRESSA bread. Sie ist die erste Maschine, bei der beide Teams zusammengearbeitet haben. Was waren die Schritte bei der Entwicklung und Perfektionierung des Programms?
Gabriel: Die Idee für die PROGRESSA bread kam uns bereits vor weniger als 2 Jahren, als wir hohen Bedarf an einer Lösung sahen, die weiche Teige verarbeiten kann, höchste Flexibilität bietet und sich für mittelgroße Produktionsmengen eignet. Das war noch während der Corona-Pandemie. Unser Ziel war es, die Maschine in weniger als zwei Jahren zu entwickeln. Auf der Grundlage unserer bewährten Technologien der industriellen IMPRESSA-Linien hatten unsere FRITSCH-Experten großartige Ideen, wie man diese Anlagen für die Anforderungen mittelständischer Bäcker anpassen kann. Außerdem wollten wir neu zur Verfügung stehendes Know-how aus der MULTIVAC-Familie mit einfließen lassen, das Wash-Down-Design für eine schnelle Reinigung zum Beispiel, die integrierte Liniensteuerung und die hochpräzise Wägetechnik. Alle Bereiche waren hochmotiviert, sich einzubringen und zu beweisen, dass eine solche Maschine innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens entwickelt werden kann. Und wir haben es geschafft und haben den vorgegebenen Zeitrahmen sogar noch unterboten. Darauf bin ich besonders stolz. Seit Mitte 2022 ist die PROGRESSA bread, als Ergebnis von hervorragendem Teamwork, zum Verkauf freigegeben. So entstand die PROGRESSA bread.
Spix: FRITSCH konnte auf alle bei MULTIVAC verfügbaren Ressourcen zurückgreifen. So wurde die Wägetechnik integriert. Das Entwicklungsteam bat auch um Unterstützung beim Hygienic Design und erfuhr Unterstützung bei der Fertigung bestimmter Komponenten. So konnte FRITSCH von der Einbindung in unser Netzwerk und den Ressourcen profitieren. Bei der Wägetechnik ging es zum Beispiel um etwas mehr als eine einfache Anpassung bestehender Technik. MULTIVAC „Marking and Inspection“ entwickelte eine spezielle Lösung genau nach den Anforderungen der FRITSCH Entwicklungsabteilung. Dies ist der Workflow zwischen allen unseren Unternehmen und Geschäftsbereichen.
Mihu: Wie haben die beiden Teams bei diesem Projekt zusammengearbeitet? Welche Prioritäten wurden gesetzt und für welche Herausforderungen gab es spezielle Lösungen?
Spix: MULTIVAC ist eine Gruppe von Unternehmen, die sehr eng zusammenarbeiten. Die Nutzung von Synergien ist Teil unserer DNA. Es vergeht kaum ein Tag, an dem es keinen Besuch von FRITSCH in Wolfertschwenden gibt und umgekehrt, jetzt, wo die Corona-Beschränkungen aufgehoben sind. Wir haben Arbeitsgruppen in vielen Bereichen: Digitalisierung, Software Framework, Hygienic Design, strategische Beschaffung, CAD und PDM, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus wird FRITSCH Teil des MULTIVAC Produktionsnetzwerks. 13 Produktionsstandorte gehören zur Gruppe; ein weiteres Werk in Indien befindet sich im Bau.
Das F&E-Management der gesamten Gruppe trifft sich alle drei Monate. Wir haben einen konzernweiten Entwicklungsprozess, dieselbe Innovationsstrategie, keine sich überschneidenden Portfolios, dieselben Werkzeuge, einen hohen Prozentsatz an gleichen Komponenten und Lieferanten usw. Die Zusammenarbeit konzentriert sich also nicht
auf einzelne Projekte, sondern ist Teil unserer täglichen Arbeit.
Mihu: Sie erwähnten mehrere Arbeitsgruppen nach Fachgebieten. Was trägt FRITSCH dazu bei und wie profitiert das Unternehmen im Gegenzug davon?
Gabriel: Wenn man beispielsweise die Digitalisierung betrachtet, so hat FRITSCH 2018 auf den letzten Messen vor der Pandemie schon einige Lösungen dazu vorgestellt. Wir waren keine Anfänger in diesem Bereich. Nach unserem Einstieg bei MULTIVAC haben wir gelernt, dass wir Lösungen aus dem entsprechenden Team adaptieren können, einschließlich Hardware, Architektur und Frameworks. Wir haben dadurch einen gewissen Rückenwind erhalten, den wir zuvor als eigenständiges Unternehmen nicht hatten. Heute kann jede FRITSCH Maschine bereits „Industrie 4.0 ready“ konfiguriert werden und die gleichen SMART Services nutzen, die auch für MULTIVAC Maschinen zur Verfügung stehen.
Spix: In der Akquirierungsphase gab es eine wichtige Regel: Wenn FRITSCH um Unterstützung bittet, können sie frei aus den Lösungen, Ideen und Prozessen wählen. Sie werden ihnen angeboten, nicht aufgezwungen. Diese Kultur der Unterstützung wird im gesamten Netzwerk gelebt. Jede Arbeitsgruppe arbeitet innerhalb der Gruppe zusammen. In den meisten Fällen verfügt jeder Bereich über Lösungen, die er den anderen anbieten kann. So muss nicht jeder Bereich alles selbst neu entwickeln. Das bedeutet nicht, dass alle Unternehmen gleich sein müssen. Im Gegenteil, jede Lösung muss auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten sein. Dennoch sorgen wir dafür, dass die Dinge, wenn sie gleich sind, auch so bleiben, denn das macht uns stärker.
Mihu: Wie wurde FRITSCH in das globale Produktionsnetzwerk von MULTIVAC eingebunden?
Spix: Die Blechfertigung und die Vormontage werden in diesem Netzwerk enger zusammenrücken. MULTIVAC besaß schon immer einen hohen Grad an Eigenfertigung, vor allem im Verpackungsbereich. Wir verfügen über drei Produktionswerke in Deutschland, Österreich und Bulgarien. Wir haben die anderen Gruppenmitglieder immer mit Fertigungskapazitäten unterstützt, und das gilt jetzt auch für FRITSCH. Im Zuge der Entwicklung neuer Fabriken, wie etwa derjenigen, die derzeit in Indien gebaut wird, ist es auch Teil des Plans, dass FRITSCH bestimmte Produkte herstellt. Wir nutzen dieses Netzwerk für alle unsere Geschäftsbereiche.
Mihu: Was sind die Themen der F&E-Management Group Meetings und wie verfolgen sie ihre Strategien?
Spix: Unser letztes persönliches Meeting fand erst vor Kurzem mit 50 Teilnehmern über zwei Tage statt. Dabei sprachen wir intensiv über unseren Entwicklungsprozess und tauschten uns über bewährte Verfahren aus. Die neuesten Innovationen wurden vorgestellt und in einer kleinen Ausstellung präsentiert. Wir haben sichergestellt, dass es keine Doppelentwicklungen gibt, was meiner Meinung nach der wichtigste Aspekt ist. Es war für unsere Ingenieure außerdem eine sehr gute Gelegenheit zum Networking.
Gabriel: Es war das erste Mal seit der Übernahme, dass wir uns alle persönlich treffen konnten. Für die tägliche Arbeit ist es hilfreich, wenn man seine Kollegen kennt und weiß, woran sie arbeiten. Es sind zudem direkt neue, gemeinsame Projekte aus diesem Meeting entstanden.
Mihu: Was wollten die Teilnehmer vor allem über FRITSCH erfahren?
Gabriel: Für die Kollegen von MULTIVAC ist es stets interessant zu verstehen, wie die Backbranche funktioniert, welche Merkmale sie auszeichnet und welche besonderen Herausforderungen es gibt. Bei der Teigverarbeitung ist der wesentliche Unterschied, dass wir es mit einem lebenden Produkt zu tun haben, das sich mit der Zeit verändert. Hier können Digitalisierungslösungen besonders hilfreich sein, etwa um zu verhindern, dass die Linie versehentlich angehalten wird. Ansonsten kann das dazu führen, dass Tonnen von Teig nach zu langer Standzeit entsorgt werden müssten.
Spix: Bei der Lieferung von Verpackungsanlagen an Bäckereien haben wir gelernt, dass der Backprozess nicht unterbrochen werden darf. Anders als in der Fleischindustrie, wo das kein Problem darstellt. Wir haben jetzt ein besseres Verständnis für die Anforderungen der Branche.
Smart Production Insights: Wie INTER EUROPOL die Effizienz verbessert
In Marki, einer kleinen Stadt am Rande der polnischen Hauptstadt Warschau, schreibt das Bäckereiunternehmen INTER EUROPOL seine eigene Erfolgsgeschichte. Produktionssysteme von FRITSCH tragen dazu bei. Einen maßgeblichen Anteil daran hat auch der INTER EUROPOL-Projektleiter Rüdiger Stollmeier. Stollmeier verbesserte die Effizienz von Anlagen durch die Nutzung von SMART Production Insights (SPI) von FRITSCH. Das SPI-Tool wurde am zweiten Standort der Großbäckerei in Malopole installiert, und zwar auf den beiden IMPRESSA-Brotlinien, die im Unternehmen im Einsatz sind.
FRITSCH bietet diese digitale Lösung seit Herbst 2021 für seine Linien an. Die SPI verschaffen dem User via Internet und Cloud einen detaillierten Überblick über die wichtigsten Leistungsdaten von Anlagen wie der IMPRESSA bread – und zwar in Echtzeit.
Alle wichtigen KPIs auf einen Blick
Für Stollmeier war die Darstellung des Dashboards mit allen verfügbaren Informationen besonders wichtig. Auf einer Grafik kann er heute unter anderem die Gesamtanlageneffektivität je Schicht in Form eines Balkendiagramms ablesen. Die Darstellung verdeutlicht letztlich, wo Verbesserungen möglich sind. Eine weitere SPI-Übersicht demonstriert über eine einfache tabellarische Darstellung mit einem Ampelsystem, wie die Anlage in den letzten 24 Stunden gearbeitet hat. Und zwar in Fünf-Minuten-Schritten: Wird Grün angezeigt, lief die Produktion reibungslos, Gelb signalisiert kleinere Störungen und Rot, dass die Anlage im Fünf-Minuten-Intervall ruhte. Für Reinigungs- und Wartungsintervalle wird Blau angezeigt.
Die SPI zeigen aber nicht nur Fehler an, sondern generieren auch Warnungen, wenn einzelne Komponenten heiß laufen oder auszufallen drohen. So können Schichtleiter und Techniker rechtzeitig reagieren und mögliche Ausfallzeiten vermeiden. Zudem verschaffen die SPI einen genauen Überblick darüber, wann, wo und welche der regelmäßig anstehenden Arbeiten anstehen. FRITSCH hat die Wartungsaufgaben und -intervalle, die meist von der Laufzeit der Anlage abhängen, in einem Benutzerhandbuch definiert. Auf diese Weise wird die Wartung schneller durchgeführt, Stillstandzeiten werden reduziert, die Effizienz gesteigert.
Nach dem Einsatz des SPI-Tools an zwei Linien plant INTER EUROPOL, demnächst auch die anderen Anlagen nachzurüsten.
Deutlich kürzer: Entwicklungs- und Markteinführungszeiten
Mihu: Wie arbeiten die Spezialisten von FRITSCH und MULTIVAC bei der Entwicklung neuer Projekte zusammen? Wie wurde dieser Workflow etabliert?
Spix: Die Leute kennen sich jetzt und die Arbeitsgruppen sind festgelegt, sowohl zwischen der Unternehmenszentrale und FRITSCH als auch innerhalb des gesamten Netzwerks. Wenn zum Beispiel eine neue Art Human Machine Interface (HMI) für alle unsere Technologien benötigt wird, müssen alle gemeinsam an einem solchen Projekt arbeiten, um sicherzustellen, dass es allen Anforderungen gerecht wird. Das funktioniert sehr gut.
Gabriel: Die Spezialisten, die zum Beispiel die Wägetechnik entwickeln, sind heute auch im Bäckereimaschinenbau tätig und haben die spezifischen Anforderungen im Blick. In Zukunft wird die Technologie einfach an unsere Bedürfnisse angepasst und nicht von Grund auf neu entwickelt. Die Basis für alle aktuellen und zukünftigen Entwicklungen bei FRITSCH ist unsere übergreifende Innovationsstrategie. Sie ist eng mit den anderen Unternehmen der MULTIVAC-Gruppe verzahnt. Das schafft von Grund auf zusätzlichen Kundennutzen und hilft uns am Ende auch bei der Reduktion von Entwicklungszeiten.
Mihu: Wie profitiert eine Bäckerei von den Ressourcen einer multinationalen Gruppe wie MULTIVAC, wenn sie eine Zusammenarbeit mit FRITSCH beginnt, etwa bei Auftrag, Installation und Service?
Spix: Der Entwicklungsprozess beginnt immer mit einer engen Kommunikation mit unseren Kunden und unserer Vertriebs- und Serviceorganisation. MULTIVAC hat weltweit mehr als 2.500 Vertriebs- und Servicemitarbeiter in 83 eigenen Tochtergesellschaften. Wir sind in mehr als 160 Ländern präsent. Bei der Inbetriebnahme und im After-Sale-Service sind wir mit lokalen Mitarbeitern, dezentralen Ersatzteillagern und regionalen Experten für alle unsere Technologien immer nah dran am Kunden.
Gabriel: Der Zugriff auf das globale Netzwerk von MULTIVAC bedeutet vor allem, dass die Vertriebs- und Serviceteams die gleiche Sprache wie unsere Kunden sprechen und sich zudem auch in der gleichen Zeitzone befinden. Vor allem während der Pandemie war es ein großer Vorteil, dass bereits MULTIVAC Teams in den jeweiligen Ländern vor Ort sind, Einreiserestriktionen waren für uns somit kein Thema, um unseren Kunden weltweit schnell helfen zu können.
„Zuverlässigkeit hat Priorität“
Mihu: Wie sieht Ihre Strategie aus, gemeinsam eine maßgeschneiderte Lösung zu entwickeln?
Gabriel: Die Ausgangsbasis für sämtliche Lösungen ist in unserer Branche immer das Endprodukt. Die spezifischen Kundenforderungen daran werden zum Beispiel in unserer World of Bakery gemeinsam definiert. Dabei werden auch andere Anforderungen berücksichtigt, die sich auf Aspekte wie die Leistung, die Form oder den Geschmack des Produkts beziehen. Dann legen wir die für den Kunden erforderliche technische Lösung fest.
Parallel zu den zusätzlichen Kundenanforderungen bringt FRITSCH immer wieder gezielt Neuentwicklungen auf den Markt, um neue Marktsegmente zu bedienen und bestehende Lücken im Produktportfolio zu schließen. Ein wesentliches Kriterium für alle Neuentwicklungen bleibt jedoch immer die Anbindung an unsere digitalen Lösungen sowie ein deutlicher Mehrwert in Bezug auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Unsere PROGRESSA bread ist ein gutes Beispiel für diesen Ansatz.
Spix: Es gibt eine weitere wichtige Regel bei MULTIVAC: Zuverlässigkeit hat Priorität. Wir sind für den Kunden da, so lange bis alle Fragen geklärt sind. Die Kunden erkennen, dass auch FRITSCH diesen Ansatz verfolgt, zusätzlich zu den Innovationen.
Mihu: Die Automatisierung ist ein Innovationstreiber in allen Bereichen der Produktion. Was sind Ihre neuesten Fortschritte?
Spix: 2007 haben wir entschieden, selbst Lösungen zu entwickeln, die am Markt fehlten, etwa für die Reinigung von Anlagen oder zur Verbesserung der Hygiene. Beides sind Kernanforderungen in der Fleisch-/Frischwarenindustrie. Seitdem entwickelt MULTIVAC eigene Robotik-Lösungen und ist heute weltweit führend auf dem Gebiet der Hygiene und der Reinigungsfähigkeit von Robotern. Das ist wertvolles Know-how, das auch in der Backbranche gefragt ist. Wir verfügen heute über eine große Vielfalt an hygienisch arbeitenden Robotern und bauen Produktionslinien mit hohem Automatisierungsgrad, während FRITSCH große, komplexe Produktionslinien bauen kann, die einen hohen Anteil an Komponenten von Drittanbietern enthalten können.
Gabriel: Bei FRITSCH führen wir mehrere Automatisierungs- und Robotik-Lösungen im Portfolio. Unsere Kunden fragen nach Lösungen, um den Personaleinsatz reduzieren zu können, ohne dass die Qualität und Individualität der Produkte darunter leiden: Es soll aussehen, wie von Hand gemacht, ohne dass es wirklich in die Hand genommen wird. Man muss deshalb beim Automatisierungsprozess sehr kreativ sein. Unser Brezelschlinger ist seit mehr als zwei Jahrzehnten ein weiteres äußerst erfolgreiches Beispiel für kreative, aber auch erfolgreiche Automatisierungslösungen. Mit unseren Robotern für das Biegen von Croissants oder die Dekoration können wir auch im Feingebäckbereich Prozesse weiter automatisieren. Gemeinsam mit MULTIVAC haben wir jetzt auch noch die Chance, unsere Kompetenzen zu bündeln und durch deren Automatisierungslösungen weitere Endproduktinnovationen zu schaffen.
Mihu: Der nächste Schritt in der Automatisierung ist die Errichtung von Smart Factories. Wie können FRITSCH und MULTIVAC gemeinsam zur intelligenten Produktion beitragen?
Spix: Im Zeitalter von Industrie 4.0 werden Maschinen und Anlagen immer komplexer, auch in der Lebensmittelproduktion. Das befeuert die Nachfrage nach Smart-Factory-
Lösungen. Mit unseren digitalen Lösungen über das gesamte Produktportfolio hinweg unterstützen wir unsere Kunden dabei, ihre Produktivität weiter zu steigern und Prozesse zu optimieren. Unsere SMART Services sollen die Bedienung vereinfachen. So bieten wir zum Beispiel einen MULTIVAC Pack Pilot an, der die Maschine über einen Cloud-Service automatisch auf unterschiedliche Folientypen einstellt.
Wir sind Teil der Industrie 4.0 Alliance und anderer Gruppen, um sicherzustellen, dass Komponenten von Drittanbietern in unsere Anlagen integriert werden können. Wir haben die MULTIVAC Line Control entwickelt, an die sich auch Dritte anschließen können, sogar unsere Wettbewerber. Auf der Plattform „myMULTIVAC“ sind zahlreiche Dienste verfügbar. Hunderte von Kunden sind bereits angeschlossen. Die von uns angebotene Konnektivität ist, mit Einschränkungen, auch für Nachrüstungen geeignet.
Gabriel: FRITSCH hat 2018 auf der Messe iba den Prototyp für SMART Services vorgestellt. Gemeinsam mit unseren Kollegen von MULTIVAC haben wir unser früheres Dashboard zu einer kompletten digitalen Lösung weiterentwickelt, die wir nun „SMART Production Insights“ nennen. Diese Lösung ist bereits bei mehreren Kunden mit großem Erfolg im Einsatz. Viele Stunden ungeplanter Stillstandzeiten können vermieden und versteckte Unproduktivität aufgedeckt werden. Außerdem haben wir gemeinsam Lösungen für die vorausschauende Wartung entwickelt, die bereits bei einigen Kunden getestet werden und für die wir unglaublich positive Rückmeldungen erhalten. Die Produktion wird mit diesen Werkzeugen intelligenter und kann unseren Kunden in Echtzeit „sagen“, was aktuell passiert und was wahrscheinlich passieren wird, um Stillstandzeiten zu vermeiden.
Mihu: Welche Innovationen können wir in naher Zukunft erwarten?
Spix: Die Innovationsstrategie der MULTIVAC-Gruppe umfasst vier wesentliche Aspekte: die Zusammenführung von Digitalisierung und Engineering, Nachhaltigkeit und das Anbieten von Lösungen. Wir wollen am Markt als Lösungsanbieter, nicht allein als Maschinenbauer wahrgenommen werden.
Gabriel: Generell sehen wir eine steigende Nachfrage nach Anlagen, die sich schneller (nass) reinigen lassen, auch mit Hochdruck. Zudem werden wir unser Portfolio gezielt für branchen- und marktspezifische Anforderungen weiterentwickeln. Die PROGRESSA bread wird hier bei allen zukünftigen Aktivitäten als Ausgangsbasis für Hygienic Design, Zugänglichkeit und Flexibilität dienen. Darüber hinaus werden wir bei allen Neuentwicklungen in Zukunft großen Wert auf Internationalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit legen. Lassen Sie sich überraschen. Ich kann Ihnen versprechen: Wir haben viele neue Ideen auf Lager!