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b+b-2022-03-Eine strategische Partnerschaft

Seit der Übernahme durch MULTIVAC im Jahr 2019 geht es für FRITSCH steil bergauf: Im Jahr 2021 wuchs der Umsatz um 40 Prozent, und das in einem Jahr, das von verschiedenen pandemischen Einschränkungen geprägt war.

2022 verzeichnete die FRITSCH Bakery Technologies GmbH & Co. KG das beste Quartalsergebnis ihrer Geschichte und einen rekordverdächtigen Auftragseingang von 35 Mio. EUR, während gleichzeitig neue Maschinen im Markt eingeführt wurden. Christian Traumann, geschäftsführender Direktor MULTIVAC und Konzernchef, und Andreas Eyd, Geschäftsführer FRITSCH Bakery Technologies, sprachen mit uns über die Strategie, die zu diesen Ergebnissen geführt hat, und wie sie den Erfolg von FRITSCH weiter vorantreiben wollen.

Catalina Mihu: FRITSCH Bakery Technologies hat im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatzzuwachs von 40 Prozent für sich verbuchen können. In welchen Regionen wurden die größten Umsätze erzielt?
Andreas Eyd: Wir haben ein hervorragendes viertes Quartal in 2021 verzeichnet, und der Schwung setzt sich in diesem Jahr 2022 fort. Die größten Zuwächse gab es bislang in Ost- und Westeuropa, aber auch in Nordamerika und in anderen Regionen. Die MULTIVAC Organisation mit ihren 83 Niederlassungen weltweit hat sich als äußerst vorteilhaft erwiesen, da wir auf diese Weise viele Länder erreichen können – und die Ergebnisse werden sichtbar.

Mihu: Welches Segment verzeichnete den größten Umsatzanstieg?
Andreas Eyd: Unsere Kunden suchen in der Regel nach größtmöglicher Flexibilität bei Anlagen, um Produktvielfalt erzielen zu können. Sie wollen Trends folgen und die Möglichkeit haben, die Linien einfach auf neue Produkte auszurichten. Deshalb entscheiden sie sich häufig für unsere IMPRESSA universal, die die höchste Flexibilität aufweist. Darüber hinaus haben wir unseren MULTITWIST. Der Brezelschlinger ist in der ganzen Welt sehr gefragt. Normalerweise gelten Brezeln als europäische – deutsche oder sogar bayerische – Spezialität. Aber wir haben die Maschinen auch in Asien und den USA verkauft, und die Nachfrage nach dem MULTITWIST wächst weiter. Kürzlich besuchte uns ein Kunde aus Südeuropa und fragte nach genau dieser Linie, da höchste Produktvielfalt gewünscht ist. Der MULTITWIST kann auch süße und weiche Teige verarbeiten, die beispielsweise in Asien bevorzugt werden. Schnelle Umrüstzeiten und die Verfügbarkeit einer Vielzahl von Optionen hilft den Bäckern, neue Ideen für neue Märkte zu entwickeln.

Mihu: FRITSCH verzeichnet zwar ein beeindruckendes Wachstum, aber die Ereignisse außerhalb der Branche erfordern dennoch Aufmerksamkeit. Wie nehmen Sie den Krieg in der Ukraine wahr?
Christian Traumann: Zunächst einmal muss man sagen, dass wir die Tapferkeit des ukrainischen Volkes und des Präsidenten Selenskyj zutiefst bewundern. MULTIVAC tut alles, was möglich ist, um zu unterstützen. Unsere Gedanken sind bei all jenen, die ihr Leben riskieren, um ihre und damit auch unsere Freiheit zu schützen.
Nicht nur für unsere Tochterfirma in der Ukraine, auch in Russland sind gute, hart arbeitende Menschen für uns tätig, und wir bewundern diejenigen, die dort auf die Straße gehen, um gegen diesen Krieg zu protestieren. Generell handelt es sich um ein humanitäres Thema, das auch mit Trauer verbunden ist. Geschäftlich gesehen machen Russland, die Ukraine und Weißrussland nur zwei Prozent unseres weltweiten Umsatzes aus, der nach unserer ersten Schätzung in diesem Jahr etwa 1,5 Mrd. EUR betragen wird. Die Auswirkungen auf unser Geschäft werden insofern nicht so prägnant sein.

Mihu: Wie nutzt FRITSCH das Vertriebs- und Servicenetz von MULTIVAC?
Christian Traumann: Wir sind als MULTIVAC in fast 170 Ländern weltweit aktiv und haben 83 Tochterunternehmen. Die gleiche Strategie verfolgen wir, wenn wir ein neues Unternehmen erwerben. Als wir FRITSCH im August 2019 übernommen haben, haben wir uns sofort auf unsere eigenen Vertriebstöchter konzentriert, um deren Portfolio zu erweitern. Wir haben unsere Mitarbeiter sehr intensiv geschult, da viele von ihnen nur begrenzte Kenntnisse im Bereich Bäckerei hatten. Es war ein mühsamer Prozess, aber mittlerweile haben wir die Leute auf den neuesten Stand gebracht. In unserer „World of Bakery“, unserem Technologiezentrum in Kitzingen, schulen wir Mitarbeiter vor Ort und zudem auch online. Andererseits hat uns FRITSCH mit seinen hoch qualifizierten Mitarbeitern einen großen Vorsprung verschafft! Das Ergebnis zeigt sich in unserem aktuellen Auftragseingang: Wir nutzen die Vorteile, die sich aus der Zugehörigkeit von FRITSCH zu einer internationalen Organisation ergeben.

Mihu: Welche neuen Türen haben sich für FRITSCH nach dem Einstieg bei MULTIVAC sofort geöffnet?
Andreas Eyd: Im August 2019, als FRITSCH aus der Insolvenz kam und von MULTIVAC übernommen wurde, waren unsere Kunden beruhigt, dass sich die Lage stabilisiert hat und FRITSCH wieder am Markt ist. Der Grund ist einfach: Wir liefern qualitativ hochwertige Anlagen und auch die daraus resultierenden Endprodukte sind hervorragend. Manch einer mag sich über die Verbindung zwischen FRITSCH und MULTIVAC gewundert haben: ‚Was weiß MULTIVAC, ein Verpackungsmaschinenspezialist, schon von Teigen?‘ Was wir stattdessen sahen, war ein hohes Cross-Selling-Potenzial: Wir brachten viele Kunden zu MULTIVAC, um sich über Verpackungs- und Automatisierungslösungen zu informieren, und MULTIVAC brachte im Gegenzug viele Kunden mit, die sich für unsere Bäckereitechniklösungen interessierten – ein großer Gewinn für uns alle.

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„Um es in einem Wort zusammenzufassen: Der Plan war, FRITSCH zu internationalisieren.“

Christian Traumann, geschäftsführender Direktor MULTIVAC und Konzernchef

Ein neuer Businessplan

Mihu: Welche Investitionen wurden in den MULTIVAC Tochtergesellschaften getätigt, um neben der Ausbildung der Mitarbeiter spezialisierte Vertriebsteams für den Bereich Bäckerei aufzubauen?
Christian Traumann: Glücklicherweise fand der Zusammenschluss im August statt, und zu diesem Zeitpunkt legen wir unsere Planungen für das Folgejahr fest. Wir haben jedem Tochterunternehmen sofort die Aufgabe gestellt, einen Businessplan zu erstellen, der ein Budget für den Bereich Bäckerei enthält, um Fachwissen aufzubauen und an Messen teilzunehmen. Außerdem haben wir gerade erst eine neue World of Bakery in Kanada für den nordamerikanischen Markt eröffnet. Bald werden weitere Technologie Zentren in Südamerika, Asien und Australien hinzukommen. Zusätzlich zu den Investitionen, die wir in das Unternehmen FRITSCH getätigt haben, investieren wir umfassend in den Bereich Bäckerei. Wir investieren in unsere Vertriebsorganisation, um sie in die Lage zu versetzen, verkaufen zu können. Wir sehen bereits einen Boom im Verkauf.

Mihu: Was beinhaltete der neue Businessplan für FRITSCH direkt nach der Übernahme, welche Aspekte waren darin enthalten, die dem Unternehmen vorher nicht zugänglich waren?
Christian Traumann: Um die damalige Situation ehrlich zu bewerten, ist FRITSCH nicht ohne Grund in die Insolvenz gegangen. Was wir beim Übernahmeprozess bei FRITSCH vorgefunden haben, war eine perfekte Marke, eine sehr gute Technik und hoch motivierte Mitarbeiter. Wir haben aber auch ungünstige Organisationsstrukturen vorgefunden, die wir optimieren und anpassen mussten. Wir sahen, dass FRITSCH nicht global präsent war, woran wir ebenfalls arbeiten mussten. Der Plan war, all diese Aspekte zusammenzuführen, einschließlich der Investitionen (wie die enormen Gebäudeinvestitionen, die wir jetzt in Angriff nehmen, und in die IT, um nur einige zu nennen), um FRITSCH wieder auf ein technologisches Niveau zu bringen, auf dem sie international agieren können. Mit einem Wort: Der Plan war, FRITSCH zu internationalisieren.

Mihu: Welche Änderungen in der Organisationsstruktur waren notwendig?
Andreas Eyd: Um die riesige Organisation von MULTIVAC mit der von FRITSCH zu verbinden, mussten wir unser Vertriebsteam anpassen und uns mit den Tochterunternehmen der Gruppe abstimmen. Wir haben jetzt sogenannte Sales Directors, die für bestimmte Gebiete zuständig sind, zum Beispiel für Nordamerika, Ostereuropa oder Asien. Wir verstehen die MULTIVAC Tochtergesellschaften in aller Welt als Kunden und versuchen, ihnen zu helfen, ihr Bäckereitechnikgeschäft in ihren Märkten auszubauen. Das ist ein völlig anderes Setup in Bezug auf den Vertrieb. Das Gleiche gilt für den Service: Wir haben ein kleines Team, das wir ‚the flying doctors‘, die ‚fliegenden Ärzte‘, nennen, das einspringt, wenn es ein größeres Problem gibt. Sie fliegen rund um die Welt und unterstützen.
Alle kleineren Probleme, die auf der Strecke auftreten können, können bereits von Servicekräften vor Ort behoben werden. Sie verfügen auch über das Wissen und die große Erfahrung hinsichtlich MULTIVAC Anlagen, was ein wichtiger Vorteil ist. Wenn man eine MULTIVAC Anlage mit einer FRITSCH Lösung vergleicht, sind sie zu 80 Prozent ähnlich, vom mechanischen bis zum elektrischen Aufbau, Elemente, die einfach zu verstehen und bei Bedarf auszutauschen sind. Die Unterschiede liegen in den Teilen der Anlage, die mit dem Teig in Berührung kommen. Für diese Bereiche haben wir unsere 20 Bäckermeister.
Christian Traumann: Außerdem haben wir fast 1.000 Servicetechniker auf der Gehaltsliste, die über die ganze Welt verteilt agieren. Sogar auf der Südinsel Neuseelands gibt es sechs, so stellen wir sicher, dass unsere Kunden umfassend betreut werden.

Mihu: Was ist mit dem Team der ‚fliegenden Ärzte‘? Wer gehört dazu?
Andreas Eyd: Es sind acht Spezialisten, die hier bei FRITSCH am Standort arbeiten. Sie übernehmen auch Schulungen vor Ort. Sie alle sind hoch spezialisiert auf unsere Maschinen.
Christian Traumann: Mit einer sehr ähnlichen Organisation wie bei unseren traditionellen Produkten werden wir auch hier ein Schlüsselteam haben, das jederzeit Probleme lösen kann. Aber im Allgemeinen kommen die Mitarbeiter in ihren Märkten sehr gut zurecht – auch weil sie von FRITSCH sehr gut geschult wurden. Das Team von FRITSCH hat einen großen Beitrag dazu geleistet, die Kollegen der weltweiten MULTIVAC Organisation zu schulen.
Andreas Eyd: Hierfür haben wir die FRITSCH Academy gegründet, in der unsere Spezialisten alle Mitarbeiter der Gruppe weltweit schulen, die mit FRITSCH Anlagen arbeiten, vom Vertrieb bis zum Service.

Auf den Stärken des anderen aufbauen

Mihu: Auf diese Weise sind die Teams in ihrer Arbeit eng aufeinander abgestimmt. Wie sehen Sie die Partnerschaft zwischen FRITSCH und dem Mutterkonzern MULTIVAC jetzt, fast drei Jahre nach der Übernahme?
Christian Traumann: Als wir erfuhren, dass FRITSCH zum Verkauf steht, hatten wir einen ganz klaren Plan. Wir haben sofort verstanden, dass FRITSCH perfekt zu MULTIVAC passt. Schon vor der Übernahme hatten wir Berührungspunkte mit dem Unternehmen, denn seine Lösungen sind unseren Anlagen vorgeschaltet, die all die wunderbaren Backwaren produzieren, die wir dann verpacken. Das war ein hervorragender Ausgangspunkt für uns, denn wir wussten, dass wir uns als Weltmarktführer im Bereich Verpackung und Verarbeitung nach neuen, lukrativen Feldern umsehen müssen, wenn wir Wachstum generieren wollen. Wir haben die Bäckereibranche eindeutig als eines davon identifiziert, eine überall auf der Welt wachsende Branche. Aus unserer Organisation delegierten wir Andreas, verantwortlich für den Vertrieb und die Organisation, und Frank Gabriel, gemeinsam als Geschäftsführer für FRITSCH. Sie brachten die Geschichte und Kultur von MULTIVAC mit an Bord und sind mit den Schnittstellen im Werk vertraut. Aber wir  haben versucht, das Managementteam von FRITSCH zu erhalten und seine Expertise zu würdigen. Wir wollten ganz klar das Know-how und die Erfahrung des FRITSCH Teams bewahren.
Andreas Eyd: Genau, die MULTIVAC Gruppe ist wie eine große Familie; das ist es, was wir leben und was wir fühlen, seit dem ersten Tag, der ersten Minute im August 2019, als FRITSCH in die Gruppe integriert wurde. Es ist eine wirklich nachhaltige Integration, bei der die Menschen sich um uns kümmern und wir uns um sie. Wir lernen voneinander, denn mit FRITSCH als neues Mitglied sind wir eine noch größere Familie geworden. Ich habe Fusionen und Übernahmen gesehen, die wie eine Sammlung von Markennamen abliefen: Sie kaufen, sie verkaufen. Die Unternehmen werden so belassen, wie sie waren, ohne dass eine wirkliche Integration dahintersteht. In unserem Fall ist das anders: Wir sind ein echtes Mitglied, nicht nur der Gruppe, sondern der MULTIVAC Familie.
Christian Traumann: Wir geben ein ganz klares Statement ab: FRITSCH ist hier, um zu bleiben.

Mihu: Sie sehen also den Wert darin, die Identität von FRITSCH als Teil von MULTIVAC zu bewahren.
Christian Traumann: Richtig, es geht darum, unsere Synergien zu nutzen, um dem Kunden ein einzigartiges Kundenerlebnis zu bieten.
Andreas Eyd: Das ist auch Teil der Philosophie von MULTIVAC: Akquisitionen werden in vielerlei Hinsicht integriert, aber sie behalten die Identität, die das Unternehmen erst wertvoll gemacht hat. Wir behalten unser rotes Logo – FRITSCH ist ein guter Markenname, der einen guten Wert hat. Alles andere wird gründlich integriert.

Mihu: FRITSCH war bisher mit eigenen Tochtergesellschaften und einem Netz von Vertriebs- und Servicepartnern vertreten. Nach der Integration hat FRITSCH keine eigenen Niederlassungen mehr und nutzt stattdessen das Netzwerk von MULTIVAC. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Christian Traumann: Nach der Übernahme war es unser Ziel, die FRITSCH Vertriebsorganisationen sofort in unser bestehendes Netzwerk zu integrieren. Unsere eigene Vertriebsorganisation ist immer in Business Units strukturiert: Innerhalb der einzelnen Ländervertriebsorganisationen gibt es eine Business Unit FRITSCH. Wir hatten viele Händler, mit denen wir versucht haben, einvernehmliche Lösungen zu finden – und in vielen Ländern ist uns das auch gelungen. Von einigen mussten wir uns trennen, für einige andere haben wir alternative Lösungen gefunden (z. B. die Betreuung von Spezialsegmenten). Wir versuchen immer, individuelle Lösungen zu finden. Das ist, glaube ich, das Besondere an MULTIVAC, denn wir sind uns absolut einig, dass es keine Einheitslösung gibt. Wir versuchen, alle Details zu erfahren und zu verstehen: War der Händler an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert, wie gut war seine Leistung in der Vergangenheit? Auf diese Weise finden wir in jedem Fall Lösungen.

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„Automatisierung wird in Zukunft ein großes Thema sein, mehrere unternehmensübergreifende Automatisierungslösungen befinden sich in der Entwicklung.“

Andreas Eyd, Geschäftsführer, FRITSCH Bakery Technologies

Und gemeinsam Lösungen entwickeln

Mihu: Sie erwähnten integrierte Lösungen. Wie werden solche Komplettlösungen mit Anlagen von FRITSCH und MULTIVAC entwickelt?
Andreas Eyd: FRITSCH und MULTIVAC arbeiten eng zusammen, um Komplettlösungen von A bis Z anzubieten, von der FRITSCH Linie bis zur MULTIVAC Verpackungsmaschine. Darüber hinaus arbeiten wir auch eng mit MULTIVAC zusammen, um Lösungen in Bereichen wie Automatisierung, digitale Dienstleistungen und Hygienic Design zu erweitern. Es gibt eine große Nachfrage nach Automatisierung, nicht nur bei Industriekunden, sondern auch (und immer mehr) bei mittelständischen Betrieben. Sie benötigen Automatisierungslösungen, um den Mangel an Personal oder Fachkenntnissen auszugleichen. Wir entwickeln unsere digitalen Dienstleistungen gemeinsam, was den Prozess erheblich beschleunigt, immer mit dem Ziel, wenn möglich, integrierte Lösungen von FRITSCH und MULTIVAC zu produzieren.

Mihu: Wie werden kundenspezifische Lösungen von FRITSCH zusammen mit MULTIVAC automatisiert?
Christian Traumann: Wir haben bei MULTIVAC ein traditionelles Automatisierungsgeschäft, das etwas mehr als 100 Mio. EUR Jahresumsatz ausmacht. Unsere Produkte sind sehr individuell, daher sind wir es gewohnt, Einzelmaschinen zu bauen. Es liegt in unserer DNA. Unsere Produkte variieren: Wir haben zum Beispiel Linien, die bis zu sechs verschiedene Verpackungsprodukte mit einem hohen Automatisierungsgrad verarbeiten.
Andreas Eyd: So ist es auch bei FRITSCH. Es sind sehr individuelle Lösungen. Unsere Gespräche mit den Kunden beginnen immer mit der Vorstellung eines Endprodukts. Dann sprechen wir über den Prozess und entwickeln gemeinsam mit dem Kunden die Lösung. Auch Automatisierungslösungen sind sehr individuell und werden von FRITSCH und MULTIVAC gemeinsam mit den Kunden entwickelt.

Mihu: Welche Trends lassen sich aus den meistverkauften Lösungen des letzten Jahres ableiten? Und wie spiegeln sich diese in der zukünftigen Forschung und Entwicklung wider?
Andreas Eyd: Es gibt große Herausforderungen im Bereich F&E. Die Märkte entwickeln sich und flexible Lösungen sind sehr gefragt. Die Menschen wollen flexibel sein. Aus vielen Gesprächen mit Kunden sind wir in letzter Zeit zu dem Schluss gekommen, dass das Ende der Monolinien gekommen ist. Während Bäckereien in der Vergangenheit ein einziges Produkt über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren hergestellt haben, müssen sie jetzt alle paar Monate, wenn nicht sogar eher, das Produkt wechseln.

Mihu: Und was bedeuten solche Trends für Ihre gemeinsame Strategie?
Christian Traumann: Wir beschäftigen ein Grundlagenforschungsteam aus etwa 50 Personen zusätzlich zu unseren traditionellen Geschäftsbereichen. Wir haben auch zusätzliche F&E-Teams innerhalb unserer Geschäftsbereiche, die gezielte, individuelle Forschung betreiben. Diese F&E-Teams in der Konzernzentrale und bei FRITSCH arbeiten eng zusammen.
Wie Andreas schon sagte, sind diese integrierten Linien nicht nur vom Teig bis zum fertig verpackten Produkt durchgängig, sondern können zum Beispiel auch vom Mehl hin zum gelagerten Produkt reichen. Hier können wir einen erheblichen Mehrwert schaffen.

Mihu: Apropos Flexibilität, welche Projekte haben Sie in letzter Zeit in Zusammenarbeit entwickelt?
Andreas Eyd: Bei allen Arten von Produkten, von Brot bis Pizza oder laminierten Produkten, sehen wir einen Trend zur Variation. Wir haben eine Präsentation mit über 160 Folien mit Produktinnovationen, auf die unsere Kunden sehr gespannt sein können. Wir können Wege finden, sie gemeinsam in der World of Bakery zu produzieren. Die Variation kann in der Form oder der Rezeptur liegen. Wir sehen zum Beispiel ein Wachstum bei alten Getreidesorten und eine Wiederbelebung von glutenfreien Produkten. Es gibt immer mehr Kunden, die Menge mit hochwertigen, handwerklich hergestellten Produkten kombinieren möchten. Das ist einer der Punkte, an denen wir derzeit arbeiten, um Lösungen für die Herausforderungen dieses Prozesses zu entwickeln.
Christian Traumann: Auf der technischen Seite bringen wir gerade eine neue, kompakte Brotlinie auf den Markt (die PROGRESSA bread). Auch Lösungen für extrudierte Produkte sind gefragt. Daher liefern wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden entsprechende innovative technische Lösungen. Das Produkt ist das, was jeder anfassen und begutachten möchte, wie ich in den letzten Jahren gelernt habe.
Andreas Eyd: Es gibt so gut wie keinen Kunden, der nach einer bestimmten Maschine fragt, im Gegenteil. Sie zeigen immer das Produkt, was im Bäckereigeschäft etwas sehr Emotionales ist. Das sieht man bei unseren Kunden und unseren Bäckermeistern. Die Linie, die wir gerade auf den Markt gebracht haben, ist eine mittelgroße Lösung mit hoher Gewichtsgenauigkeit, niedrigem Ölverbrauch und einem hygienischen Design. Sie erhält bereits hervorragende Rückmeldungen. Die Bestellungen gehen ein.

Mihu: Zum Thema Innovation: Die World of Bakery bietet die Bühne für neue Entwicklungen. Wie gehen Sie dabei vor?
Andreas Eyd: Wir schauen uns die wichtigsten Trends an, die unser Geschäft beeinflussen, von digitalen Dienstleistungen über cloudbasierte Lösungen bis hin zur Vernetzung aller Prozessschritte und der Harmonisierung unserer Human Machine Interfaces. Nachhaltigkeit steht ebenfalls ganz oben auf dieser Liste, und wir arbeiten mit MULTIVAC zusammen, um Lösungen in dieser Hinsicht anzubieten. Wir suchen nach Lösungen, um die Gesamtbetriebskosten zu senken, weniger Öl auf der Anlage zu haben, weniger Restteig zu produzieren und weniger Energie zu verbrauchen, um nur einige Beispiele zu nennen. Auf diese Aspekte legen unsere Kunden und Besucher der World of Bakery momentan besonders viel Wert. Darüber hinaus fragen die Kunden nach den neuesten Trends bei Verpackungsmaterialien wie Mehrwegverpackungen mit faserbasierten Materialien.

1,5 Mrd. EUR
MULTIVACs prognostizierter Umsatz für 2022
Ein komplett neues Werk

Mihu: FRITSCH ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Standort in Unterfranken. Bitte erzählen Sie uns etwas über dieses Projekt und die geplanten Räumlichkeiten.
Christian Traumann: Als wir FRITSCH gekauft haben, haben wir von Anfang an gesehen, dass die Räumlichkeiten nicht ganz geeignet sind. Deshalb haben wir die Niederlassungen zunächst nur gemietet, statt sie zu kaufen. Derzeit haben wir fünf Standorte in einem Umkreis von ca. 15 km um Kitzingen und Markt Einersheim, was auf Dauer weder effizient noch nachhaltig ist. Wir haben eine Machbarkeitsstudie durchgeführt und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir ein komplett neues Werk in der gleichen Gegend brauchen, weil wir unser bestehendes, gut ausgebildetes und hoch motiviertes Personal behalten wollen. Wir brauchen eine hochmoderne Produktion und Ausstattung, die den Erwartungen unserer Mitarbeiter und denen unserer Kunden gerecht wird. Und, last but not least, wir wollen wachsen, also brauchen wir sowieso mehr Platz. Deshalb suchen wir jetzt ein 100.000 qm großes Grundstück für das neue Werk.

Mihu: Sie haben einen sehr wichtigen Aspekt erwähnt: Nachhaltigkeit. Wie wird dieser Aspekt im täglichen Betrieb und in der Strategie für die Zukunft berücksichtigt?
Christian Traumann: Bei MULTIVAC gibt es einen Standardprozess für die Produktentwicklung. Wenn ein Entwicklungsprojekt nicht digitalisiert ist oder keinen Nachhaltigkeitsnutzen hat, geht es nicht in Produktion. Alle Entwicklungen in der MULTIVAC Gruppe müssen die Nachhaltigkeit berücksichtigen und die Digitalisierung einbeziehen.
Andreas Eyd: Wir gehen bei FRITSCH in dieser Hinsicht nach derselben Philosophie vor. Wir haben gerade eine neue Linie auf den Markt gebracht, die zum Beispiel nur zehn Prozent der Ölmenge verbraucht wie vergleichbare Maschinen. Da die Kunden niedrigere Betriebskosten fordern, bedeutet dies erhebliche Einsparungen bei den Kosten für Öl. Gefragt sind zum Beispiel auch hocheffiziente Motoren. Wir bieten jetzt Nachrüstsätze für bestehende Maschinen an, um die Motoren auf das höchstmögliche Effizienzniveau zu bringen.

Mihu: Welche Arbeiten werden derzeit im Technologiezentrum durchgeführt und was sind die Pläne für diese Ressource nach der Erweiterung der Einrichtung?
Andreas Eyd: Die derzeitige Auslastung ist groß. Während den pandemiebedingten Schließungen konnten natürlich nicht viele Kunden kommen, aber wir haben diese Zeit genutzt, um mit unseren Bäckermeistern Produktinnovationen zu entwickeln. Daraus ist eine riesige Produktliste entstanden. Heute besuchen im Schnitt drei Kunden täglich unser Technologiezentrum, um die Anlagen zu Testzwecken zu nutzen. Wir organisieren Demoläufe und helfen bei der Rezepturentwicklung, denn selbst bei Produkten, die lange bewährt sind, können sich die Rezepturen ändern. Am einfachsten geht es, wenn man in der World of Bakery Tests durchführt, um zum Beispiel den Zucker- oder Hefeanteil im Teig zu reduzieren.
Wir organisieren auch im Namen der Veranstaltungsreihe ‚Live Experience‘ Events für bis zu drei Kunden gleichzeitig, die uns im Voraus mitteilen, was sie sehen möchten. Wir bereiten ein Programm vor und veranstalten einen ganzen Tag zu einem bestimmten Thema. Am Ende des Tages gehen sie mit ein paar Kisten mit Endprodukten nach Hause und sind begeistert, die Ergebnisse aus erster Hand zu sehen.

Mihu: Unmittelbar nach der Übernahme begann die Welt beispiellose Veränderungen zu durchlaufen, von Corona über die Energiekrise und die Preisvolatilität bis hin zum Krieg. Wie wollen Sie sich auf solche Wellen von Veränderungen vorbereiten, von denen wir einige vorhersehen können und andere völlig unvorhersehbar sind?
Christian Traumann: Es war ein Glücksfall, dass wir uns Ende 2019 zusammengeschlossen haben. Da wir unsere Tochterunternehmen auf der ganzen Welt haben, brauchten die FRITSCH Teams nicht zu reisen, da auch entlegene Orte erreichbar waren. So konnten wir sogar während der Pandemie wachsen, FRITSCH und MULTIVAC gleichermaßen. Wir alle haben gelernt, wie wir digitale Tools nutzen können, von Fernunterricht bis hin zu Videokonferenzen. Außerdem haben wir unsere Produkte mithilfe von Videoaufzeichnungen ausführlich vorgestellt, was sehr gut funktioniert.
Was die Materialverfügbarkeit angeht, war unsere interne Stärke ein großer Vorteil: Wir stellen einen Großteil der benötigten Materialien selbst her. Wir haben eine Fabrik in Bulgarien, zwei große Produktionen in Deutschland und weitere in Österreich und Spanien. FRITSCH konnte davon profitieren, dass irgendwo in der Gruppe jemand etwas herstellen konnte, das er sonst nicht über die üblichen Lieferketten bekommen konnte.

Mihu: Die Kommunikation verlagert sich immer mehr ins Internet. Inwieweit erwägen Sie, sie auch in Zukunft online stattfinden zu lassen? Und wann werden Sie es vorziehen, sich stattdessen persönlich zu treffen?
Christian Traumann: Was wir von unseren Kunden wissen, ist, dass sie uns gerne sehen. Sie lieben es, die Maschinen selbst zu erleben, also werden wir immer einen gewissen direkten Kontakt mit den Kunden haben. Wir treffen uns auch mit unseren Mitarbeitern in der ganzen Welt. Aber viele Dinge können einfach online erledigt werden, und wir haben uns inzwischen daran gewöhnt. Ich persönlich schätze, dass wir etwa 50 Prozent unserer Reisezeit einsparen können, wenn wir unsere Besprechungen online abhalten. Unterm Strich ersetzt aber nichts den persönlichen Kontakt.
Andreas Eyd: Dem stimme ich voll und ganz zu, etwa die Hälfte der Meetings kann virtuell stattfinden. Das spart allen Zeit und ist nachhaltiger. Aber ich bin jetzt seit 30 Jahren im Vertrieb tätig und ich mag es, wenn die Leute an einem Tisch sitzen und wir direkt miteinander sprechen können.

Mihu: Wir haben die Strategie zum Zeitpunkt der Übernahme besprochen. Wo stehen Sie jetzt?
Christian Traumann: Ich denke, wir haben gezeigt, dass unsere Investitionen und unsere harte Arbeit von beiden Seiten nach zwei Jahren Früchte tragen, denn wir sehen einen enormen Auftragseingang, der stark wächst und nachhaltig zu sein scheint. Auch auf der technischen Seite sehen wir neue Entwicklungen von FRITSCH, die auf den Markt kommen. Wir sehen, dass immer häufiger eine Linienintegration stattfindet, z. B. bei gemeinsamen Steuerungssystemen. Wir sehen auch, dass unsere Organisation als Gruppe stabiler wird, weil wir gemeinsame IT-Systeme nutzen. Ich bin mehr als begeistert und denke, dass dies nur der erste Schritt ist und FRITSCH in Zukunft eine wichtige Säule der MULTIVAC Gruppe sein wird und einen wichtigen Teil unseres Umsatzes ausmachen wird.

Mihu: Das erste Ziel ist erreicht, was sind die nächsten zwei bis drei Schritte?
Christian Traumann: Intern sage ich immer, dass ich erwarte, dass FRITSCH unser größter Geschäftsbereich wird! Im Moment macht unser größter Geschäftsbereich 350 Mio. EUR Umsatz. FRITSCH liegt im Moment bei 70 bis 80 Mio. EUR. Sie haben zwar noch einen weiten Weg vor sich, aber ich sehe keinen Grund, der dagegenspräche. Es gibt nichts, was uns aufhalten kann, denn wir haben die besten Leute, das beste Produkt und wir sind in einem großartigen Markt tätig.
Andreas Eyd: Ich stehe in engem Kontakt mit den meisten Tochtergesellschaften. Ich sehe die Begeisterung, die alle für unsere Produkte aufbringen: Sie alle lieben die Welt der Backwaren, sie lieben die Maschinen und den Teig. Ich weiß auch um die Kraft dieser Organisation, da ich schon seit einigen Jahren für MULTIVAC arbeite. FRITSCH gewinnt mehr und mehr an Zugkraft, ich sehe hier eine große Zukunft.

Mihu: Die Pandemie hat das Wachstum bei FRITSCH und MULTIVAC nicht behindert, im Gegenteil. Was erwarten Sie für das laufende und das nächste Jahr?
Christian Traumann: Wir sind nicht negativ gestimmt, sagen wir es mal so, unter den aktuellen Umständen. Es gab schon immer Themen, die sich negativ auf das Geschäft auswirken konnten. Leider ist Krieg das Schlimmste, was der Menschheit passieren kann. Wir haben eine solide Organisation, die solche Probleme bewältigen kann, und wir blicken positiv auf die Jahre 2022 und 2023. Wir rechnen mit einem Wachstum von etwa zehn Prozent in diesem Jahr und hoffentlich auf etwas mehr als das im nächsten Jahr.

70–80 Mio. EUR
die aktuelle Umsatzschätzung von FRITSCH

Mihu: Was ist Ihre gemeinsame Vision für die zukunftsfähige Bäckerei, von der Herstellung bis zur Verpackung?
Andreas Eyd: Wir haben hohe Stückzahlen im Blick, bei dennoch flexiblen Linien. Digitale Lösungen erreichen ein neues Niveau, einschließlich künstlicher Intelligenz. Nachhaltigkeit ist ein weiterer großer Schwerpunkt, und MULTIVAC investiert große Ressourcen in diese Richtung. Automatisierung wird in Zukunft ein großes Thema sein. Mehrere unternehmensübergreifende Automatisierungslösungen befinden sich in der Entwicklung.

Mihu: Was wäre ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit zwischen den Teams bei FRITSCH und MULTIVAC?
Andreas Eyd: Wir haben ein großes Team, das sich ausschließlich mit Automatisierung beschäftigt, ein Team mit 100 Mio. EUR Umsatz. Es hat keinen speziellen Fokus auf die Bäckerei, aber mit FRITSCH haben wir jetzt einen ganz neuen Zugang zu dieser Welt. Wir arbeiten auch eng mit MULTIVAC zusammen, wenn es um digitale Lösungen geht, da wir beide digitale Serviceteams haben, die neue Funktionen entwickeln. Wir tauschen uns regelmäßig über unsere Fortschritte aus. Wir arbeiten auch an einer neuen Generation des Hygienedesigns für unsere Anlagen, ein Bereich, in dem MULTIVAC über umfassendes Know-how verfügt. Sie können es bereits in der neuen PROGRESSA Brotlinie sehen.

Mihu: Ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch!