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b+b-2022-02-Die Facetten des Lievito Madre

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„Lievito Madre steht für italienische Backkultur“, sagt Markus Hombach, Prokurist und Leiter der Backakademie bei der IREKS GmbH in Kulmbach, und erklärt, wie man mit dem milden, traditionellen Weizensauerteig Gebäcke mit typisch mediterranem Charakter herstellen kann.

Helga Baumfalk: Lievito Madre ist ein traditioneller, italienischer Weizensauerteig, der über Generationen in einem ganz speziellen, langwierigen Verfahren gezogen wird und u. a. in Panettone und ähnlichen Gebäcken eingesetzt wird. Im Joint Venture mit der Meraner Mühle hat IREKS Lievito Madre auf den Markt gebracht. Kann man von einem Lievito Madre 2.0 sprechen, also einer modernen Adaption des alten Verfahrens?
Markus Hombach: Wir stellen den Lievito Madre ganz nach dem traditionellen Verfahren her. Den Begriff 2.0 würde ich deshalb nicht wählen. Durch eine besonders schonende Trocknung versetzen wir ihn in eine Art „Winterschlaf“, sodass die Hefen und Milchsäurebakterien ihre Aktivität behalten. Ansonsten bleibt das Prinzip unangetastet, bei dem Weizenmehl nur mit Wasser nach traditioneller Art in einem mehrstufigen Prozess fermentiert wird.

Baumfalk: Welche Weizensorten nutzen Sie zur Herstellung?
Hombach: Proteinreiche Sorten. Zudem achten wir auf eine niedrige Enzymaktivität, gehen also nach klassischer Mehlanalyse vor. Natürlich ganz wichtig: die Mikrobiologie. Auch wenn Lievito Madre nach einem traditionellen Verfahren hergestellt wird, läuft der Prozess kontrolliert ab. Speziell ausgebildete Lievitisti sorgen dabei für die richtige Verstufung und ein wohliges Ambiente. Deshalb vermeide ich Begriffe wie ‚wilde Hefe‘ oder Ähnliches. ‚Wild‘ würde bedeuten, dass etwas schiefläuft. Wir wissen aber ganz genau, was passiert, und steuern die Vorgänge.

Baumfalk: Welche teigtechnologischen und geschmacklichen Eigenschaften bringt der Lievito Madre mit?
Hombach: Im Teig zeigt er eine stabilisierende Wirkung. Deshalb kann auf Ascorbinsäure verzichtet werden. Geschmeidige, dehnbare und stabile Teige unterstützen einen starken Ofentrieb. Die fertigen Gebäcke haben diese typisch mediterrane, offenporige Krume, einen zarten Schmelz und einen markanten Ausbund. Was Geschmack und Geruch anbelangt, dominieren die feinen, milden Fermentationsaromen des Lievito Madre. Man kann also spannende Gebäcke mit italienischem Charakter herstellen.

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Baumfalk: Wie erklärungsbedürftig ist der Einsatz?
Hombach: Er erfordert schon ein gewisses Know-how. Dieses wollen wir in den Markt weitertragen. Deshalb haben wir unseren Außendienst intensiv geschult und sind permanent im Austausch. Unser Außendienstteam gibt dieses Wissen an die Backbetriebe weiter und unterstützt sie vor Ort. Darüber hinaus bieten wir aktuell Webinare zum Thema an und informieren interessierte Kundinnen und Kunden auch in Kulmbach über die Möglichkeiten des Einsatzes von Lievito Madre.

Baumfalk: Welches Wissen und Können verlangt er den Bäckereimitarbeitern vom Teigmacher bis zum Ofenführer ab?
Hombach: Im Umgang lässt sich Lievito Madre mit einem reifen Sauerteig vergleichen. Auch ein reifer Vollsauerteig ist empfindlich und hat nur eine gewisse Verarbeitungstoleranz, was Zeiten angeht, und eine gewisse Toleranz, was den Temperaturkorridor anbelangt, in dem er sich optimal verhält. Weicht man davon ab, passen die Ergebnisse nicht mehr. Der Lievito Madre verhält sich ähnlich, aber ganz anders als eine klassische Bäckerhefe.

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Baumfalk: Worauf kommt es in der Teigherstellung an?
Hombach: Genauso wie beim Vollsauer kommt es auf die Temperatur und die Reifezeiten an. Man muss bedenken, dass man die in den Schlaf versetzten Hefen und Milchsäurebakterien wieder aktivieren muss. Damit sie die volle Aktivität entfalten können, benötigen sie eine warme Starttemperatur von etwa 27–29 °C und eine Reifezeit von 14–15 Stunden, währenddessen die Temperatur nicht unter 22 °C absinken sollte. Auch die richtige Nahrung, also das Mehl, das die Bäcker verwenden, ist mitentscheidend.

Baumfalk: Kommt man ganz ohne Backhefe aus?
Hombach: Ja, man kann ohne Hefezusatz arbeiten, auch mit Kälteführung, aber man muss die Prozesse anders denken. Die Hefen des Lievito Madre sind andere Hefen. Sie sind komplexer. Noch dazu beeinflussen die Milchsäurebakterien die Teigentwicklung. In seiner Triebleistung lässt sich ein Lievito Madre in etwa mit einer Dosierung von 0,5–0,75 % frischer Bäckerhefe vergleichen. Allerdings zeigen sowohl die Teige als auch die Gebäcke eine andere Charakteristik.

Baumfalk: Können Sie die Prozesse an einem Beispiel erklären?
Hombach: Wenn man einen Weizenteig mit frischer Hefe ansetzt, sagen wir, es geht um ein Weizenbrot mit 0,5 % Hefe-Zusatz, stellt man den Teig bei 4 °C in die Kühlung und fährt die Temperatur am Folgetag auf 15 °C, dann auf 25 °C hoch. Die Bäckerhefe wird hier ihre Arbeit mit einer gewissen Gleichmäßigkeit erledigen. Würde man in derselben Weise mit Lievito Madre verfahren, wäre er ‚beleidigt‘. In diesem Temperaturbereich würden sich die enthaltenen Hefen nur sehr schleppend entwickeln, während die Milchsäurebakterien schon aktiv sind. Das Miteinander aus Hefe und Milchsäurebakterien ist dann gestört. Darum muss man den Prozess bei einer Gärverzögerung anders denken: Man lässt die Teiglinge komplett reifen, um sie dann bei 4 °C kühl zu lagern und am nächsten Tag zu backen.

Baumfalk: Was unterscheidet einen Lievito Madre von einem Weizensauer?
Hombach: Weizensauerteig, wie er meist in Bäckereien hergestellt wird, bringt Aroma und Geschmack, vor allem kräftigen Geschmack ins Brot. Aber zur Lockerung eignet er sich weniger. Deutscher Weizensauerteig ist üblicherweise kein volumenförderliches Produkt, sondern eher ein geschmack- und geruchgebendes. Bei Lievito Madre hingegen ist es das Ziel, zusätzlich auch eine Teiglockerung, also Volumen, zu erzeugen. Zwischen einem reifen Lievito Madre und einem Weizensauerteig liegen Welten. Man schmeckt, spürt und riecht sofort die Unterschiede. Auch die Teigkonsistenz ist ganz anders.

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Das Joint Venture

IREKS aus Kulmbach und die Meraner Mühle aus Südtirol/Italien haben im Herbst 2021 das Joint Venture MONDO LIEVITO MADRE S.r.l. gegründet. Das gemeinsame Ziel: innovative Sauerteige entwickeln. Zum Startsortiment von IREKS gehören ein Lievito Madre mit aktiven Hefen und Milchsäurebakterien und zwei Cuvées mit Hartweizenmehl. Die eine Variante ist auf Brot und Kleingebäcke abgestimmt, die andere auf Hefefeinteiggebäcke.

Baumfalk: In Deutschland werden Sauerteige vor allem in roggenhaltigen Brotwaren eingesetzt und sind üblicherweise säurebetont. Kann mit dem Produkt ein neues Marktsegment eröffnet werden?
Hombach: Als neuen Markt möchte ich es nicht gleich bezeichnen. Man kann Lievito Madre aber auch bei roggenhaltigen Gebäcken einsetzen und so auch hier eine eigenständige Note erzielen. Die Fermentationsaromen werden betont, die Säure rückt in den Hintergrund.

Baumfalk: Neben dem aktiven Lievito Madre bieten Sie Mischungen (Cuvées) mit Hartweizenmehl an. Welche Konzeptidee verfolgen Sie mit der Range?
Hombach: Viele Bäckereien wollen Weizen- und Hefefeinteiggebäcke mit mediterranem Profil backen und dabei auch ‚clean label‘ arbeiten. Mit den Cuvées bieten wir den Betrieben Sicherheit in der Verarbeitung. Der Bäcker gibt hier zur Teiglockerung Hefe in der für seine Prozesse erforderlichen Dosierung hinzu. Die Prozesse lassen sich so an die klassischen Abläufe adaptieren. Dennoch empfehlen wir auch hier längere Reife- und Gärzeiten.

Baumfalk: Wo sehen Sie das Potenzial für Ihr Produkt?
Hombach: Überall dort, wo mit Weizen gebacken wird. Das dürfte überall auf der Welt sein. In Weizengebäcken kann der Lievito Madre seine Vorteile besonders gut ausspielen, ob in Brot, Kleingebäck oder Hefefeinteiggebäck, Pizza oder anderen mediterranen Gebäcken. Nach dem Start in Deutschland stellen wir unsere Produkte jetzt in vielen Ländern vor, in denen wir tätig sind.

Baumfalk: Herr Hombach, vielen Dank für unser Gespräch.