Scroll Top

b+b-2022-01-Zeit und Nähe als Konzept

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Bulle Bäckerei

Von Helga Baumfalk

Düsseldorf, Birkenstraße 55. Hier im hippen Stadtteil Flingern betreibt Michael Gauert seine Bulle Bäckerei. Den Fokus legt er auf Sauerteige, null Kompromisse bei der Mehlqualität und eine große Nähe zum Kunden.

Die Bulle Bäckerei ist eine Backstube mit Verkaufsraum und einem Tresen auf nicht mehr als 80 qm. Für Sozialräume fehlte der Platz, darum mietet Michael Gauert eine Wohnung im Stockwerk darüber. Seine Bäckerei ist ein Nachbarschaftsversorger, sagt er. Ein Konzept, das während Corona kräftig zulegen konnte. Auch beim Bulle Bäcker lag der Umsatz in den Lockdownphasen im Plus. „Die Leute konnten ja kein Geld ausgeben, als Ausgleich haben sie gutes Brot gekauft.“ Der Firmenchef berichtet von langen Warteschlangen, ausverkauften Regalen, aber genauso von manchem genervten Kunden.

Bulle bedeutet Brötchen auf Schwedisch. Bäckerei Gauert, nein den eigenen Namen wollte er nicht verwenden, schließlich ist die Bäckerei eine Teamleistung. Und Bulle klingt einfach gut. „Ob Namen funktionieren, erkennt man, wenn Kinder sie aussprechen können. ‚Ich möchte zum Bulle Bäcker‘, höre ich die Kleinen häufig zu ihren Eltern sagen.“

Vom Hinkel zur eigenen Bäckerei

Michael Gauert kommt aus dem Hause Josef Hinkel. Dort hat er seine Ausbildung absolviert und früh, schon mit 19 Jahren, war er fertig mit der Meisterschule. Es folgten Stationen in Lanzarote, bei Bastian‘s in Köln und in einem Hotel auf Ibiza, bis er schließlich zurückkehrte zum Hinkel nach Düsseldorf. Nur eine Wintersaison wollte er bleiben, knapp zehn Jahre sind es geworden. Er war die rechte Hand vom Chef und der Lenker fürs tägliche Geschäft. Die gute Verbindung zu Josef Hinkel ist geblieben. Sie telefonieren häufig. „Chef“ sagt Gauert heute noch zu ihm.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Gauert
„Brot in Plastikbeutel zu verpacken ist für mich ein Graus.“

Michael Gauert , Bulle Bäckerei

Erst Flingern, dann das Bistro, dann die Oststraße

Für Gauert war früh klar, dass er Bäcker werden wollte, ohne dass er einen familiären Bäcker-Background gehabt hätte. Genauso früh klar war ihm, dass er etwas Eigenes wollte. „Wenn man Bäcker wird, so wie ich es geworden bin, gehört es zur Vorstellung dazu, sich eines Tages selbstständig zu machen.“

Irgendwann habe er angefangen, sich umzuschauen, und 2017 fand er schließlich das Objekt in Flingern, einem trendigen Düsseldorfer Stadtteil mit schicken Altbauwohnungen, jungem Publikum und jeder Menge Kneipen. Dass der Vermieter an gleicher Stelle früher eine Metzgerei betrieben hat, half, die Genehmigung für die Bäckerei inmitten des Wohngebiets zu bekommen. Heute ist Flingern das Hauptgeschäft. 2019 kam das Bulle Bistro im Hinterhof hinzu und im März 2021 die zweite Bulle Bäckerei in der Oststraße in der Düsseldorfer Innenstadt. Aber dort mache er nur den Papierkram. Den Standort samt Backstube führt sein Geschäftspartner, Bäckermeister Jannis Rippin. „Wir arbeiten zusammen. Die Oststraße produziert für Flingern und umgekehrt.“ Anderenfalls könne er die Mengen, die er brauche, nicht mehr bewältigen. In Flingern brummt der Laden. Die Oststraße hinkt noch hinterher. Das Publikum sei ein anderes, die Bäckerei dort noch nicht etabliert. Ist Corona erst vorbei, kommt auch die Oststraße zum Fliegen, ist sich der Firmenchef sicher.

Das „Du“

In Flingern hat „Bulle“ überwiegend Stammkunden. Die meisten kommen aus der Nachbarschaft, einige reisen aber auch aus anderen Regionen des Ruhrgebiets an. Manager sind darunter, genauso Leute mit schmalem Budget und insbesondere junge Familien. „Wir haben einen super Draht zu den Menschen.“ Das ist Michael Gauert wichtig. Die meisten kennt er, viele duzt er. „Ich versuche, die Leute mit Namen anzusprechen. Wenn‘s mal schief geht, ist das so. Beim nächsten Mal weiß ich‘s besser.“

Auch mit ihrem begrenzten Sortiment hebt sich die Bäckerei von anderen ab. Kleingebäcke (16 Sorten), Croissants und Laugengebäcke gehören dazu, dafür gibt es keinen Kaffee und keine Bäckersnacks wie belegte Brötchen. Beim Brot (12 Sorten) liegt der Schwerpunkt auf Sauerteigführung, auf Roggen und auf Vollkorn. „Was unsere Preise angeht, würde ich sagen, sind wir fast günstig. Ein freigeschobenes, 750-g-Roggenvollkornbrot kostet bei uns 4,50 EUR.“

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Brot
„Ich wollte das geilste Mehl auf diesem Planeten.“

Michael Gauert , Bulle Bäckerei

Beim Mehl nur Bio

Auch wichtig: Storytelling. Er mag es, wenn hinter den Rohstoffen Geschichten stehen. „Zum Beispiel verarbeiten wir Eier von einem Hof in Neuss. Den kannst du besuchen und siehst, dass es den Tieren gutgeht.“ Null Kompromisse geht Gauert beim Getreide ein. „Wir sind nicht Bio-zertifiziert, nutzen jedoch viele Rohstoffe mit Bio-Siegel und wenn wir es nicht tun, hat das seinen Grund. Beim Getreide aber geht nichts über Bio.“ Er wollte „das geilste Mehl auf diesem Planeten“. Gefunden hat er es bei der Eiling Mühle, die in Warstein ausschließlich Bio-Getreide verarbeitet und die Bulle Bäckerei heute mit 2 t Mehl pro Woche versorgt. Wer bei Eiling in diesen Mengen ordern will, braucht Geduld. Die Mühle führt eine Warteliste.

„Das muss man wissen“

Weil die Mehlqualität von Charge zu Charge variiert, wird bei jeder Lieferung der Kleberanteil gecheckt. Alle Rezepturen sind Circa-Rezepturen und müssen sich dem Mehl anpassen. „Die Bio-Mehle sind sehr enzymaktiv, deshalb braucht die Teigführung besondere Aufmerksamkeit.“ In der Bulle Bäckerei wird Brot fast ausnahmslos mit Sauerteig gelockert (Roggen- und Weizensauerteig), nur beim Buttermilchbrot und Brioche kommt etwas Hefe zum Einsatz. „Einige Kunden, die zum ersten Mal zu uns kommen, denken, das Brot sei nicht gut durchgebacken. Es klebt einfach länger, weil wir mit Sauerteigen arbeiten. Ganz früher gab es nur solches Brot. Es ist auch kein Nachteil, im Gegenteil, Ausdruck von Qualität. Das muss man wissen und kommunizieren.“ Brot im Laden bereits in Scheiben zu schneiden kommt für Gauert schon deshalb nicht infrage, genauso wenig wie Brot in Plastikbeutel zu verpacken. „Das ist für mich ein Graus. Wir verpacken in neutralen, nicht bedruckten Brötchentüten, auch unser Einpackpapier ist schlicht und nicht gelabelt.“ Manche Verpackungen würden deshalb vielleicht nicht ganz so schön aussehen, sie seien aber durchdacht. „Einigen gefällt das nicht, aber das ist OK für mich. Wir haben ein großes Einzugsgebiet. Wenn nur 2 % der Leute uns toll finden, reicht mir das.“

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-collage
„Wir arbeiten nicht nachts“

Gebacken wird ab morgens um 5 Uhr aus der Kühlung. Die am Vorteig aufgearbeitete und in der Kühlung über Nacht gereifte Ware wird verarbeitet. Die Teigproduktion beginnt nicht selten 20 Stunden vorher. Rechnet man die Führung der Sauerteige hinzu, sind es eher zwei komplette Tage. Die lange Vorlaufzeit hat einen Haken. „Wir sind total unflexibel. Wenn morgens die Hütte brennt und vielleicht Baguettes fehlen, weil das Wetter besser wird als erwartet, haben wir ein Problem. Aber damit lebe ich.“

Wer mit Sauerteigen lockert, brauche einfach mehr Zeit. „Trotzdem müssen wir nicht nachts arbeiten. Und trotzdem möchte ich das Geschäft morgens um 7 Uhr aufmachen.“ Frühe Öffnungszeiten gehören aus seiner Sicht zu einer Bäckerei dazu. Der erste Mitarbeiter beginnt um 5 Uhr, die nächsten kommen um 6 bzw. 7 Uhr und die „Spätschicht“, zu der er selbst oft gehört, legt um 9 Uhr los und arbeitet bis Ladenschluss um 17 Uhr. Montags bleibt das Geschäft zu, damit am Sonntag nicht produziert werden muss.

Personalsuche? Kein Problem!

Probleme, Personal zu finden, hat Michael Gauert nicht. Er mutmaßt, es liegt am Hype ums Backen seit Corona. Wahrscheinlich aber sind die Arbeitszeiten (keine Nachtarbeit) ein Argument, und die Attraktivität seiner Bäckerei. Denn Bulle ist angesagt. Was wohl nicht zuletzt auch mit ihm als Person zusammenhängt. Ob er ein Kultbäcker ist? Das bestimmen andere. Titel wie diesen verleiht man sich nicht selbst.

15 Leute arbeiten für ihn in beiden Backstuben, darunter viele mit Abitur und allein fünf Azubis. Jeder soll alles können. Explizites Verkaufspersonal gibt es nicht, alle sind Bäcker. Damit verkaufen also Bäcker ihre Produkte selbst und erfahren hautnah, wie ihre Kunden darauf reagieren. Und: Sie können ihre Ware auch erklären.

Die Sache mit der Bargeldzahlung

Diese Sache mit der Bargeldzahlung im Sommer 2021 hat Michael Gauert einen Gang durchs Social-Media-Fegefeuer abverlangt. Wilde Beschimpfungen erreichten ihn, sogar Morddrohungen. Auslöser war ein kleiner Aushang in der Oststraße: „Bitte nicht mit Bargeld zahlen.“ Irgendwie kam das in den falschen Hals, womöglich habe er sich auch falsch ausgedrückt, auf jeden Fall stand er urplötzlich da im unerwünschten Rampenlicht, „bei ihm könne nicht mit Geld bezahlt werden“. „Kompletter Blödsinn, ich wollte nur ankündigen, dass mir die Karte lieber ist.“ Längst hat sich die Empörung gelegt und mit seinen echten Kunden hatte das Ganze sowieso nie was zu tun. In der Oststraße laufen 95 % aller Käufe längst bargeldlos ab, in Flingern liegt der Anteil bei 80 %. Umsatz hat die Bulle Bäckerei durch diese Aktion nicht verloren, aber an positiver Aufmerksamkeit gewonnen.