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b+b-2022-01-„Taste Tomorrow“ ist der Schlüssel

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Die Strategie von Puratos orientiert sich an den Ergebnissen der Studie „Taste Tomorrow“, die ständig aktualisiert wird, um die Entscheidungen an den raschen Wandel der Verbraucher anzupassen, wie der neue CEO, Pierre Tossut, berichtet.

Catalina Mihu: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Aufgabe! Bitte teilen Sie uns Ihre Gedanken über den Start als neuer CEO von Puratos am Anfang eines neuen Jahres in einem noch nie da gewesenen globalen Geschäftsumfeld mit.
Pierre Tossut: Da Daniel Malcorps sich darauf vorbereitete, von seiner Position als CEO zurückzutreten [Malcorps leitete das Unternehmen 20 Jahre lang, bis Ende 2021 – Anm. d. Red.], haben wir vor zwei Jahren einen Übergangsprozess eingeleitet, sodass ich Anfang Januar dieses Jahres meine Arbeit aufnehmen konnte. Gleichzeitig hat Cédric van Belle den Verwaltungsratsvorsitz übernommen. Wir haben in den letzten zwei Jahren zusammengearbeitet, um uns auf die Übernahme der neuen Aufgaben vorzubereiten.

Mihu: Was hat der Übergang mit sich gebracht?
Tossut: Als wir die Pläne vor zwei Jahren zum ersten Mal intern kommunizierten, hatten wir uns ursprünglich einen Übergang vorgestellt, bei dem wir in alle Länder reisen würden, in denen wir tätig sind, um meine Kollegen zu treffen. Wir hatten intensiv daran gearbeitet, unsere Strategie zu überprüfen und zu aktualisieren. Aber dann kam COVID-19, und wir mussten alle Pläne überdenken und haben stattdessen einen Krisenstab eingerichtet. Ich übernahm zwei Jahre lang die Leitung des Krisenstabs, während sich die Situation von Asien über Italien und Europa bis nach Amerika ausbreitete. Es gab viele Unbekannte, die das Krisenteam zu bewältigen hatte.
Das Positive war, dass wir gezwungen waren, alles, was wir taten, zu überprüfen. Zu Beginn der Krise haben wir eine Studie durchgeführt, um herauszufinden, was sich auf der Ebene der Verbraucher verändert. Wir sahen zum Beispiel, dass die Menschen zunehmend nach Produkten für Gesundheit und Wohlbefinden, nach Lebensmitteln, die ihr Immunsystem stärken, und nach Produkten mit weniger Fett suchten. Wir mussten damals unseren Produktfokus ändern und nachschärfen. Dabei haben wir versucht, die Prozesse zu verschlanken und uns auf das zu konzentrieren, was wirklich relevant war. Am Anfang gab es Auswirkungen auf den Umsatz, aber dann begannen wir uns zu erholen, da wir dafür sorgten, dass wieder eine gewisse Normalität einkehrte. Es war ein völlig neuer Tätigkeitsbereich in dieser Zeit und eine unglaubliche Lernkurve.

Mihu: Welche Schlüsselaspekte aus den letzten zwei Jahren werden sich in Ihrer Führung des Unternehmens widerspiegeln?
Tossut: Die Verbraucherstudie war der Ausgangspunkt. Früher haben wir unsere „Taste Tomorrow“-Studie alle zwei Jahre durchgeführt, aber dann beschlossen wir, sie viel regelmäßiger durchzuführen. Wir haben Erkenntnisse aus der Studie genutzt, um unsere Pläne anzupassen. Bei den Produktpaletten legten wir den Schwerpunkt auf alles, was pflanzlich ist, um der großen Bewegung gerecht zu werden, die wir beobachten. Ich würde diesen Trend fast als einen Tsunami bezeichnen, der an der Westküste der USA begann und sich dann über die ganze Welt ausbreitete. Zuerst wurde Fleisch und dann Milch ersetzt; inzwischen hat sich der Trend weiterentwickelt und umfasst Alternativen für eine flexible Lebensweise. Ich denke, das ist jetzt das Ziel: Menschen, die sich an einer bestimmten Anzahl von Tagen rein pflanzlich ernähren und seltener auch Fleisch, Käse oder andere tierische Produkte verzehren wollen, sollen die Möglichkeit dazu haben. Wir haben uns intensiv mit diesem Ansatz beschäftigt und allein für diesen Trend eine eigene Geschäftseinheit mit einem eigens dafür eingestellten Team geschaffen.
Was das Wohlbefinden betrifft, so haben wir festgestellt, dass die Menschen nach Produkten mit weniger Zucker und mehr Obst suchen. Als Reaktion darauf haben wir unsere Angebote mit Fruchtanteil überprüft und den Zuckergehalt reduziert, während wir den Fruchtanteil in einigen Fällen um bis zu 85 % erhöht haben.
Wir investieren außerdem weiterhin in den digitalen Bereich. Wir haben bereits 2015 mit dem Online-Verkauf begonnen, sahen aber, dass E-Commerce mit der Pandemie wuchs. Seither haben wir unsere Bemühungen in diese Richtung beschleunigt und verzeichnen nun ein dreistelliges Wachstum im E-Commerce. Zudem investierten wir in „virtual reality“, weil es eine wachsende Zahl von Kunden gibt, denen unsere Techniker mit Hilfsmitteln wie Smart Glasses helfen können. Auch Experten für KI haben wir an Bord geholt, die erforschen, wie wir KI nutzen können, um beispielsweise an neuen Produktentwicklungen arbeiten zu können.

„Bei den Produktpaletten haben wir den Schwerpunkt auf alles gelegt, was pflanzlich ist, um der großen Bewegung zu entsprechen, die wir sehen – ich würde diesen Trend fast als einen Tsunami bezeichnen, der an der Westküste der USA begann und sich dann auf der ganzen Welt ausbreitete.”

Pierre Tossut, CEO, Puratos

Mihu: Nach 26 Jahren in einer Spitzenposition bei Puratos bringen Sie ein umfassendes Wissen über das Unternehmen mit. Wie wirkt sich dieses Wissen auf Ihre Herangehensweise an künftige Produktentwicklung aus?
Tossut: Obwohl ich viele Jahre in der F&E gearbeitet und zahlreiche Entwicklungen miterlebt habe, glaube ich, dass ich immer noch sehr wenig weiß. Die besten Lernerfahrungen mache ich, wenn ich mit Fachleuten und Kunden spreche.
Ich versuche, viel Zeit damit zu verbringen, mich mit Kunden zu treffen und ihnen zuzuhören, um sowohl die Bedürfnisse zu verstehen, von denen sie berichten, als auch die Bedürfnisse, die manchmal nicht klar ausgedrückt oder sogar gar nicht identifiziert werden. Ich bin nicht der Einzige, der das tut. Die Innovation, die durch unsere Einsichten aus „Taste Tomorrow“ vorangetrieben wird, basiert auf der genauen Beobachtung der Kunden und der Konsumenten als Priorität. Auf diese Weise erkennen wir die relevanten Trends und was wir entwickeln müssen. Dies ist natürlich eine subjektive Einschätzung – manchmal erweisen sich die Entscheidungen als richtig, manchmal nicht. Das sind Risiken in jedem innovativen Unternehmen, und obwohl der Erfolg nie garantiert ist, ist dies unsere Innovationspipeline. Auch Mut ist einer unserer wichtigsten Werte, und unsere Vision. Wir werden immer gefragt, was als Nächstes kommt; jetzt haben wir COVID-19, was kommt danach? Das ist es, was uns antreibt: uns vorzustellen, was passieren wird, innovativ zu bleiben und den Trends voraus zu sein.
Manchmal kann man zu früh sein und etwas entwickeln, für das der Markt noch nicht bereit ist. Wir hatten 12 Jahre lang Lösungen für Gesundheit und Wohlbefinden und zur Zucker-
reduzierung entwickelt, die sich nicht immer und überall durchsetzen konnten. Als der Bedarf durch COVID-19 bestieg wurde, waren wir bereit, denn wir hatten den Trend vorausgesehen und waren vorbereitet. Innovation ist keine Theorie, sondern eine Reise. Man lernt, indem man es tut, wobei immer wieder neue Methoden auftauchen, von denen man sich inspirieren lassen kann, um schneller und schlanker zu werden. Man muss erforschen, Dinge ausprobieren, manchmal scheitern, umschwenken, bei Bedarf etwas anderes tun und weitermachen.

Pierre Tossut

Pierre Tossut ist verantwortlich für die Bereiche F&E, Marketing, Produktmanagement und den Vertrieb des Unternehmens. Er steht hinter dem Gesundheits- und Wohlfühlkonzept der Gruppe und ist seit dem 1. Januar CEO von Puratos. Tossut ist Agraringenieur und kam vor 26 Jahren zum Unternehmen, zunächst als Spezialist für F&E im Bereich Sauerteig. Seitdem hat er verschiedene Geschäftsbereiche geleitet und im Laufe seiner Karriere die Produkt- und Prozessentwicklung optimiert. 16 Jahre lang war er Leiter der F&E-Abteilung der Gruppe, eine Funktion, die er auch parallel zu anderen Aufgaben ausübte. Er ist viele Male um die Welt gereist, um alle Feinheiten der Brotherstellung, der Konditorei und der Schokoladenherstellung zu erlernen, um ein tiefes Verständnis dafür zu erlangen, was die Kunden brauchen, wie die Zutaten funktionieren und was die Verbraucher wollen.

Mihu: Hier kommt also das Fachwissen ins Spiel, zusätzlich zu der Anfängermentalität, die Sie immer für einen wichtigen Aktivposten halten.
Tossut: Ja, wir haben erfahrene Leute und Prozesse, um die besten Ideen auszuwählen und sie dann auf den Markt zu bringen.

Mihu: Welche Stärken, Werte und F&E-Arbeitsabläufe bei Puratos wollen Sie angesichts dieses Stroms von Ideen bewahren und ausbauen?
Tossut: Den Verbraucher zu verstehen ist ein wichtiger erster Schritt. „Taste Tomorrow“ ist der Schlüssel, aber wir haben auch den Sensobus für die sensorische Analyse am Point of Sale. Darüber hinaus gewinnen wir Erkenntnisse aus Kundenbeobachtungen, die wir zur Analyse heranziehen. Wir wählen die besten Ideen auf der Grundlage ihres Potenzials und von Differenzierungsüberlegungen aus (z. B.: Können wir sie durch ein Patent schützen?). Das ist ein guter Arbeitsablauf, aber er kann Zeit in Anspruch nehmen. Wir beschleunigen einige Ideen, überspringen bestimmte Schritte und verwenden eine vereinfachte Stage-Engage-Sequenz, um die Produkte schneller auf den Markt zu bringen. In jedem Fall überwachen wir die Arbeitsabläufe, um sicherzustellen, dass wir sie kontinuierlich verbessern und ihre Effizienz messen können. Wir verfolgen systematisch die Verkäufe der Innovationen. So verwenden wir beispielsweise ein sehr interessantes und innovatives Instrument – das Puramid –, das uns hilft, die verschiedenen Arten von Innovationen, die wir auf den Markt bringen, zu messen. Wir verbreiten es sogar als Best Practice in Universitäten.

Mihu: Welche lokalen Inspirationsquellen findet Puratos in Anbetracht seiner globalen Präsenz? Können Sie ein Beispiel nennen?
Tossut: Was wir als „Brot“ kennen, ist die westliche Art von Brot, ein Laib Brot, Toastbrot oder Baguette. Wenn man um die Welt reist, sieht man andere Traditionen. Im Nahen Osten bevorzugen die Menschen Fladenbrot und Baklava-ähnliche Produkte; in Asien wird das Brot gedämpft. Wir gehen in Bäckereien und beobachten, wie die Leute arbeiten. Ciabatta zum Beispiel wurde eingeführt, kurz bevor ich zu Puratos kam. Wir hielten es für eine unglaubliche Art von Brot, weil man es einfrieren und bei Bedarf kühlen kann und es immer gut ist, sobald es gebacken ist. Wir brachten die erste Ciabatta-Mischung auf den Markt – typischerweise ein Teig mit langer Gärung, der viel Wasser benötigt. Das ist ein Beispiel für ein Produkt, das ursprünglich aus Norditalien stammt, das wir auf den Markt gebracht haben und das sich dann auf den Märkten der ganzen Welt verbreitet hat, indem wir eine komplette Mischung entwickelt haben, um es konsistent herzustellen.

Mihu: Und wie sollte man mit Ideen umgehen, die ihrer Zeit voraus sind? Wie werden sie zu Trendsettern?
Tossut: Ich erinnere mich, dass wir 1998 eine Technologie zum Aufweichen von Körnern und Saaten patentiert haben, ausgehend von einer Tradition, die wir in Deutschland gesehen hatten, was dem Brot einen unglaublichen Geschmack verlieh, insbesondere Vollkornbrot. Wir haben damals versucht, es auf den Markt zu bringen, aber es war noch zu früh. Vor ein paar Jahren brachten wir es wieder auf den Markt. Wir sahen einen sprunghaften Anstieg der Verkaufszahlen. Der Markt war jetzt bereit.

Mihu: Bitte teilen Sie uns Einzelheiten über das Unternehmensziel von 5 Mrd. EUR bis 2030 mit.
Tossut: Um zu dieser Zahl zu gelangen, haben wir uns zunächst die historische Leistung des Unternehmens angesehen. Der Markt für Fertigprodukte (Brot, Konditoreiwaren und Schokolade) hingegen wird nach unseren Schätzungen in den kommenden Jahren um 3 bis 5 % wachsen. Wir planen, weiterhin ein komplettes Produktsortiment anzubieten für Bäckereien, Konditoreien und Schokoladenhersteller. Innovationen werden sich auf Gesundheit und Wohlbefinden, verantwortungsvolle Produkte, pflanzliche Alternativen und Clean Label konzentrieren. Darüber hinaus müssen wir das Portfolio an geografischen Regionen berücksichtigen. Wir wollen unsere geografische Abdeckung weiter vervollständigen, um überall dort in der Nähe der Kunden zu sein, wo sich die Märkte für diese drei Arten von Endprodukten befinden.

5 Mrd. EUR
Puratos’ UmsatzZiel bis 2030

 

Mihu: Wie ist das Verhältnis zwischen weltweit verfügbaren Produkten und Lösungen für lokale Märkte?
Tossut: Was wir für bestimmte Länder entwickeln, ist sehr lokal, wir versuchen immer, uns an die verschiedenen lokalen Geschmäcker anzupassen. Allein in Belgien werden zum Beispiel drei Hauptbrotsorten gebacken. Die Technologie, die wir entwickeln, bringen wir jedoch zentral ein, wie zum Beispiel neue Enzyme für Clean-Label-Produkte. Sie werden dann in den Ländern in lokale Rezepturen umgesetzt, weshalb es schwierig ist, eine eindeutige Antwort zu geben.

Mihu: Wie würden Sie die F&E bei Puratos und ihre Prioritäten zusammenfassen? Wie werden Gesundheit und Wohlbefinden gefördert?
Tossut: Wir setzen uns klare Ziele. Ein neues Team, das wir vor einigen Jahren zusammengestellt haben, widmet sich der Gesundheit und dem Wohlbefinden, insbesondere der Darmgesundheit. Auch die Fermentierung ist ein wichtiges Thema für uns. Wir nehmen uns auch Früchte vor, um sicherzustellen, dass wir die bestmögliche Qualität der Rohstoffe für Füllungen erzielen. In diesem Zusammenhang prüfen wir die vertikale Integration bis hin zur Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Betrieben, um beispielsweise neue Sorten auszuwählen und sicherzustellen, dass nicht zu viel Dünger verwendet wird. Wir entwickeln auch innovative Technologien für die Herstellung von Füllungen.

Mihu: Da der Plant-based-Trend so stark wächst: Wie wird er Ihrer Meinung nach die Backwarenindustrie langfristig beeinflussen?
Tossut: Ich weiß nicht, ob sie sich verändern wird. Wir sehen, dass dieser Trend wächst, und wir wollen einen Teil des Marktes in verschiedenen Kategorien auffangen, von Ei über Butter bis hin zu Milchschokolade zum Beispiel. Wir führen eifreie Backmischungen und pflanzliche, milchfreie Sahne. Der Trend eröffnet neue Möglichkeiten.

Mihu: Welche anderen Markttrends sehen Sie voraus und worauf bereiten Sie sich vor?
Tossut: CO2-Neutralität ist ein wichtiger Punkt – wie können wir Brot mit geringen CO2-Emissionen backen, angefangen bei der Produktion des Weizens über das Mahlen, Backen, den Versand und das Handling von Abfall. Wenn man versteht, wie CO2 in der gesamten Wertschöpfungskette entsteht, erhält man Anhaltspunkte dafür, wie es minimiert werden kann. Dies ist ein wichtiges Projekt, das wir für die Zukunft entwickeln und das auch das Ziel unseres Projekts „Mission to Mars“ ist – wir arbeiten an nachhaltigeren Fertigprodukten, wobei wir sowohl die Emissionen als auch die Ressourceneffizienz berücksichtigen. Auf dem Mars würde es zum Beispiel keine Backhefefabrik, keinen nahrhaften Boden oder zuverlässige Wasserversorgung geben; dieses Projekt gibt uns Anregungen für die Zukunft.
Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Integration der Lieferkette, zusammen mit anderen spannenden Themen wie der Darmgesundheit. Neue Produkte werden bald auf den Markt kommen.

Mihu: Um welche Art Produkte wird es sich handeln?
Tossut: In diesem Jahr werden wir einen innovativen Sauerteig einführen, der vom Mission to Mars-Projekt inspiriert ist. Weitere Informationen über unsere anderen Projekte werden bald folgen!

Mihu: Ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch!