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b+b-2022-01-Sauer macht lustig!? Das gilt nicht mehr!

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Roggenbrot

Von Markus Hombach

Wie man mit geänderten Teigführungen für roggenhaltige Gebäcke die heutigen Kundenerwartungen besser erfüllt.

In der gängigen Fachliteratur ist beschrieben, dass ab einem Roggenmehlanteil von 20 % in Gesamtgetreideanteil die Verwendung von Sauerteig und/oder säuernden Zusätzen technologisch, d. h. zur Erzielung einer elastischen und gelockerten Brotkrume, notwendig ist. Seit mehr als 20 Jahren ist es jedoch bekannt, dass selbst 100 % Roggenmehl durchschnittlicher Qualität ohne Zusatz von Säure zu einer geschlossenen, gelockerten und weitgehend elastischen Krume verbacken werden kann. In der Praxis wird richtigerweise darauf wegen des mangelhaften Brotaromas und -geschmacks sowie mangelnder Frischhaltung verzichtet. Wie viel Säure zum Backen von roggenhaltigen Gebäcken benötigt wird und welche Teigführungen wichtig sind, wird nachfolgend erläutert.

Grundlagen

Zur Charakterisierung von Säuren in Lebensmitteln werden zwei Messgrößen verwendet, der pH-Wert und der Säuregrad, welche üblicherweise in wässrigen Lösungen ermittelt werden. Der pH-Wert ist ein Maß für die Stärke einer Säure, er beschreibt die dissoziierten (freiliegenden) Wasserstoff-ionen (H+). Der Säuregrad hingegen bezeichnet die Menge einer Säure und beschreibt sowohl die dissoziierten als auch die undissoziierten (gebundenen) Wasserstoffionen. In der Abbildung 2.4 sind Richtwerte für pH-Werte und Säuregrade verschiedener Brotsorten dargestellt.

Zur Beurteilung von Brotqualitäten werden in Deutschland meist auch pH-Wert und Säuregrad herangezogen. Dabei gilt allgemein, dass der Brotsäuregrad mit steigendem Anteil an Roggenmahlerzeugnissen und insbesondere bei Verwendung von dunklen und groben Mahlerzeugnissen höher sein soll. Der technologisch notwendige Säuregrad des Brotes wird dabei auch von Teigausbeute, Teigeinlage und Backzeit bestimmt. Je höher die Teigausbeute und Teigeinlage, desto mehr Säure wird benötigt. Ist durch die Brotform oder durch Verwendung von Backkästen ein langsamer Temperaturanstieg in der Krumenmitte zu erwarten, wird ebenfalls eine höhere Säuremenge und somit ein höherer Säuregrad benötigt.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Abbildung-2.4

Hinsichtlich der Säuregrade bzw. des Säuregehaltes von Brot sind nach wie vor große regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Dies erklärt die vergleichsweise große Spannbreite von Säuregraden bei Roggenmischbroten. Auch wenn pH-Wert und Säuregrad wichtige Messgrößen für die Beurteilung von Sauerteigen, Brotteigen und Broten sind, wird heute verstärkt auf die Gesamtbrotqualität und damit auf das Brotaroma in Krume und Kruste, auf die Lockerung, Verquellung und Saftigkeit sowie die Weichhaltung und „den Schmelz beim Verzehr“ geachtet.

Allgemein werden zunehmend weniger saure Brote und Gebäcke bevorzugt. Das muss nicht heißen, dass Brotaroma und -geschmack weniger ausdrucksvoll sein sollen. Die vielen fermentativen Vorgänge im Sauerteig und Brotteig sowie die zusätzlich eingebrachten Vorstufen beeinflussen mit der Länge der Gesamtverarbeitungszeit das Ergebnis.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Abbildung-3-1.
Die Dreistufen-Vollsauerführung

Als „Königsdisziplin“ der Herstellung von Roggenmischbrot, Roggenbrot und Roggenschrotbrot gilt die Dreistufen-Vollsauerführung. Der relativ milde Vollsauer sorgt für die notwendige Säuremenge und das richtige Verhältnis von Milch- und Essigsäure, die Ausbildung der Aromavorstufen, den Teigtrieb und einen hohen Anteil an vorverquollenen Getreidemahlerzeugnissen. Dies spiegelt sich in der Gesamtbrotqualität entsprechend positiv wider.

Die zu versäuernde Roggenmehlmenge vom Gesamtmehl des Brotteiges ist aufgrund der niedrigen Säuregrade des Vollsauers relativ hoch, wodurch die Brotfrischhaltung und das Gebäckaroma sehr gut ausfallen. Temperatur, Teigausbeute und Reifezeit der einzelnen Stufen sind so abgestimmt, dass sich neben den Milchsäurebakterien auch die Sauerteighefen vermehren, welche maßgeblich zur Teiglockerung beitragen und somit bei korrekter Sauerteigführung die Herstellung von Broten ohne Hefezugabe ermöglichen. Die Sauerteighefen tragen zusätzlich zur Aromabildung bei.

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Varianten der Dreistufenführung. Soll zu Arbeitsbeginn ein reifer Vollsauer aus der Dreistufenführung zur Verarbeitung bereitstehen, wird mit der „Vollsauerführung über Nacht“ mit einer Vollsauer-Reifezeit von 8 – 10 Stunden gearbeitet. Ist dies nicht notwendig, wird der Grundsauer über Nacht geführt und erst morgens bei Arbeitsbeginn der Vollsauer, welcher dann nach dreistündiger Reifezeit zur Verfügung steht.

Der Vollsauerteig muss relativ zeitnah verarbeitet werden, da die Verarbeitungstoleranz des gäraktiven Vollsauerteiges sehr gering ist. Das Anstellgut für die nächste Sauerteigbereitung wird vom reifen Vollsauer abgenommen und bis zur Weiterverarbeitung im Kühlhaus gelagert.

Die jeweilige Reifezeit der einzelnen Sauerteigstufen bestimmt ihre Mengenverhältnisse zueinander. Die zu versäuernde Mehlmenge je Sauerteigstufe kann mit der IREKS-Vervielfältigungsregel berechnet werden. Danach wird die Mehlmenge der einzelnen Stufen durch die Stundenzahl der Reifezeit dieser Stufe dividiert und ergibt somit die Mehlmenge der vorausgegangenen Stufe.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Backvergleich

Beispiel der Berechnung einer Dreistufenführung für die Herstellung von Roggenmischbrot 70/30
Die Versäuerung erfolgt über eine Dreistufenführung (Grundsauer über Nacht). Die TA des Vollsauers beträgt 180 und der Säuregrad soll bei 11 – 13 liegen. Es wird eine Rezeptur mit 100 kg Gesamtmehl erstellt. Bei einem 70/30-
Roggenmischbrot stehen 70 kg Roggenmehl zur Verfügung. Für eine mittlere Säuerungsintensität wird empfohlen, ca. 50 % der Roggenmehlmenge zu versäuern (Brandt & Gänzle 2006).
Ausgehend von 36 kg zu versäuerndem Roggenmehl und den Angaben zur Reifezeit und Teigausbeute aus der „Dreistufenführung mit Grundsauer über Nacht“ lässt sich mithilfe der IREKS-Vervielfältigungsregel, in einer Rückrechnung, die jeweilige Mehlmenge der einzelnen Sauerteigstufen ermitteln.

Mit den 36 % versäuertem Gesamtmehl (als Roggenmehl gerechnet) lässt sich bei der angegebenen Teigausbeute und dem erzielten Säuregrad von ca. 12 der Roggenanteil sicher versäuern und auch bei hohen Teigeinlagen oder bei Kastenbroten eine schnittfeste und elastische Krume erzielen. Eine Reduzierung des Sauerteiganteils ist bei kleineren Teigeinlagen bei einer Verlängerung der Teigruhezeit und Stückgärzeit gut möglich. Dadurch erzielt man eine bessere Verquellung der zugegebenen Roggen- und Weizenmehle und lässt diese länger mit fermentieren.

Backvergleich Roggenmischbrot mit unterschiedlicher Versäuerung
Das Roggenmischbrot mit dem reduzierten Vollsaueranteil und den daraus resultierenden längeren Verarbeitungszeiten zeichnet sich durch einen milderen und aromatischeren Geruch und Geschmack sowie eine etwas saftigere Krume aus. Das Foto auf Seite 16 zeigt das Roggenmischbrot nach klassischem Rezept (l.) und das Roggenmischbrot mit reduziertem Vollsaueranteil (r.) im direkten Vergleich.

Pumpfähige Roggensauerteige

Bei den flüssigen bzw. pumpfähigen Roggensauerteigen kann zwischen den milden Vollsauerführungen (Teigausbeute 210 – 230) und den Langzeitsauerteigen (Teigausbeute 200 – 220) unterschieden werden. Während bei den Vollsauerteigen mit Säuregraden von 13 – 15 und pH-Werten von 3,8 – 4,1 vergleichsweise hohe Mengen verwendet werden können, reduziert sich die Anwendungsmenge und somit auch die Menge an vorverquollenem Mehl bei Langzeitsauerteigen mit Säuregraden von 25 – 30 und pH-Werten von 3,5 – 3,9 deutlich.

Insbesondere in der warmen Jahreszeit steigen die Säuregrade der Langzeitsauerteige, bei denen oft auch Brot mit fermentiert wird, auf Werte deutlich über 30 Säuregrade an. Dies führt häufig zu übersäuerten Broten mit mangelhafter Frischhaltung. Zudem fehlt es Broten aus Langzeitsauerteigen, die mit relativ hohen Hefezugaben von 1,5 – 2,5 % hergestellt werden, an Aroma.

Angesichts der durchschnittlichen Roggenmehlqualitäten der letzten Jahre und der Tendenz zur Bevorzugung von mild versäuerten, aber dennoch aromatischen Brotqualitäten wird empfohlen, die Sauerteigführungen, die Sauerteiganteile und die Teigführung kritisch zu prüfen. Eine Verringerung der Sauerteiganteile in Verbindung mit etwas reduzierter Hefezugabe und verlängerten Teigführungen ist ein wichtiger Ansatz, um die Brotqualität zu steigern.

Veränderungen der Roggenmehlqualität und Einfluss auf die Sauerteigführung

Seit Anfang der 1970er Jahre werden zunehmend Hybrid-Roggensorten, eine Kreuzung zweier Roggensorten mit definierten Eigenschaften, angebaut. Diese neuen Sorten sind auswuchsresistenter, ertragsstärker, aber auch enzymärmer als die früheren Roggensorten. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die früher beim Roggen so gefürchteten Auswuchsschäden heutzutage keine große Bedeutung mehr haben. Die Veränderungen der Roggenmehlqualität wird deutlich, wenn man die Analysewerte von Fallzahl und Amylogramm von 1960 mit den heutigen Werten vergleicht.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Grafik

Abbildung 5.2: Vergleich von Amylogrammen von 1960 und 2019

Aufgrund ihrer geringeren Enzymaktivität und den entsprechenden Eigenschaften der Stärke führen die heutigen Roggenmehle häufiger zu Fehlerbildern, wie zu kleines Brotvolumen, schlecht gelockerte, trockene Krume mit Trockenrissen sowie eine mangelhafte Frischhaltung der Brote, obwohl die neuen Roggensorten bis zu 10 % mehr Wasser aufnehmen als die Sorten vor 60 Jahren.

Früher bestand die wichtigste Aufgabe des Sauerteiges darin, die Roggenbackfähigkeit, also die Bildung einer geschlossenen und elastischen Brotkrume, sicherzustellen. Bei den neuen Roggensorten geht es vornehmlich um eine Optimierung der Krumeneigenschaften, es wird nicht mehr so viel Säure benötigt. Zur Verbesserung von Brotfrischhaltung und -aroma der Roggen- und Weizenmischbrote können die traditionellen Sauerteigführungen entsprechend angepasst werden.

Dazu versucht man, einen höheren Anteil an vorverquollenen Mehlinhaltsstoffen in den Brotteig einzubringen, um die mehleigene Enzymatik zu erhöhen. Dadurch verbessert sich die Frischhaltung und Krumenstruktur der Brote. Erreicht wird dies durch die Zugabe von höheren Mengen Sauerteig mit einem niedrigeren Säuregrad. Um eine zu schnelle und zu starke Säurebildung zu vermeiden, sollte mit niedrigen Anstellgutmengen und Ansatztemperaturen sowie hohen Teigausbeuten und dabei längeren Stehzeiten gearbeitet werden. Bei den Brotteigen sollte darauf geachtet werden, dass die Teigtemperaturen nicht über 28 °C liegen und die eingesetzten Hefemengen nicht zu hoch gewählt werden.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Abbildung-5

Um trotz der Verarbeitung von enzymschwachen Roggenmehlen qualitativ hochwertige Brote mit einer saftigen Krume und einer guten Frischhaltung herstellen zu können, helfen neben den Führungsparametern auch speziell entwickelte Backmittel oder die Zugabe von Malzmehl und/oder Malzextrakt. Die Vielfalt der heute verfügbaren Malzvarianten ermöglicht die Entwicklung neuer charakterstarker Qualitätsbrote sowie eine Differenzierung zu den bestehenden
Brotsorten.

Weitere Möglichkeiten zur Optimierung der Verquellung von Roggenmahlerzeugnissen und somit der Verbesserung der Saftigkeit bieten Kochstücke aus Mehlen und Schroten. Hier muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Teigausbeuten nicht zu hoch werden. Auch Roggenvorteige mit Teigausbeute 200 – 220 und Hefezugaben von 0,2 – 1,0 % auf Roggenmehl und einer Stehzeit von bis zu 15 Stunden eignen sich zur Steigerung von Saftigkeit und Optimierung des Aromaprofils der roggenhaltigen Brote.

f2m-bub-2022-01-Sauerteig-Abbildung-5.
Roggenhaltige Brote ohne Zusatz von Bäckerhefe

Die Herstellung von roggenhaltigen Brotsorten ohne den Zusatz von klassischer Bäckerhefe zeichnet sich als weiterer Trend ab. Mithilfe des milden und triebstarken Lievito Madre lassen sich lockere, saftige Brote mit ausdrucksstarkem Geschmack backen. Die Lockerung von Roggenmischbroten mit einem Roggenanteil von 60 % oder höher ist durch Dreistufen-Vollsauerteige ohne den Zusatz von Bäckerhefe gut möglich. Bei höheren Weizenanteilen wird jedoch zusätzlich Bäckerhefe benötigt, da sonst der Säureanteil zu hoch wird. Alternativ kann gäraktiver Lievito Madre eingesetzt werden.

Die ursprünglich aus Italien kommenden Lievito Madre (Mutterhefe) oder Lievito Naturale (Naturhefe) eignen sich durch die milde Säure und die Triebkraft hervorragend, um eine gute Verquellung und feine Fermentationsaromen ins Brot zu bringen. Die in Lievito Madre enthaltenen Hefen stammen dabei ausschließlich aus der mehrstufigen langen Fermentation von Weizenmehl und Wasser. Dies entspricht vielfach dem Wunsch der anspruchsvollen Kunden und lässt sich in der Werbung für bestimmte Brotsorten mit langer Fermentationszeit nutzen. Mit dem Lievito Madre wird auch ein hoher Anteil des eingesetzten Weizenmehles über längere Zeit fermentiert.

Fazit

Die heute verfügbaren Roggenmehl- und Weizenmehlqualitäten ermöglichen die Herstellung von weniger stark gesäuerten Roggen-, Roggenmisch-, Misch- und Weizenmischbroten. Durch Anpassungen bei den Sauerteiganteilen, den Hefezugaben, den Reifezeiten und Stückgärzeiten sowie durch die Verwendung von nicht gesäuerten Vorstufen lassen sich Brote mit komplexen Fermentationsaromen herstellen. Zudem lässt sich die vielfach gewünschte offenere Porung und saftigere Krume erzielen. Werden die Brote kräftig gebacken, erhält man einen ausdrucksstarken Geruch und Geschmack und kann die Kunden mit der hohen Brotqualität und -kompetenz überzeugen. Eine selbstkritische Prüfung der Brotqualität lohnt sich nicht erst, wenn einzelne Brotsorten einen Absatzrückgang zu verzeichnen haben. Dass die Brotkompetenz sehr wichtig ist, haben die vergangenen 24 Monate mit insgesamt mehr Brotabsatz deutlich gezeigt.

Autor

Markus Hombach ist Prokurist und
Leiter der Backakademie bei IREKS in Kulmbach