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b+b-2021-06-Prozessdesign mittels forcierter Teigentspannung

Mittels invasiver mechanischer und elektrischer Impulse kann die Teigruhezeit von Weizenteigen nach mechanischen Energieeinträgen drastisch verkürzt werden. Teigeigenschaften lassen sich äquivalent zu geruhten Teigen in Sekundenschnelle erzielen.

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Abbildung 1: Schematische Darstellung der Glutenstruktur unmittelbar nach einer mechanischen Belastung (links), sowie deren Veränderung durch eine Ruhezeit bzw. eine forcierte Entspannung (rechts)

Die mechanisch-elektrische Stimulation zur Optimierung der Teigruhezeiten bei Weizengebäck ist ein AiF/FEI-gefördertes Forschungsprojekt, welches an der TU München, Lehrstuhl Brau- und Getränketechnologie in der Arbeitsgruppe Getreidetechnologie und -verfahrenstechnik durchgeführt wurde. Das Projekt verfolgt das Ziel, die zeitintensiven und prozessunterbrechenden Ruhezeiten der Backwarenherstellung auf ein Minimum zu reduzieren, sodass die Prozessschritte der Teigentspannung in-line in bestehende Abläufe integriert werden können und Prozessunterbrechungen durch Ruhezeiten wegfallen können. Zwar stehen bereits einige verfahrenstechnische Lösungen zur kontinuierlichen Teigverarbeitung ohne Entspannungsphasen zur Verfügung (z. B. Extrusionsverfahren), allerdings sind diese zum einen aufgrund der Anlagengröße oftmals ungeeignet. Zum andern stellen diese häufig Speziallösungen für spezifische Anwendungen dar [1] und erzeugen z. T. Produkte mit veränderten texturellen Eigenschaften [2]. Folglich sind die derzeit am Markt verfügbaren Lösungen für die meisten Produkte und Unternehmen ungeeignet. Somit müssen für die meisten Backwaren komplexere Prozesse mit dem Zwischenschritt der Teigruhe eingehalten werden.

Dies liegt in den strukturellen Eigenschaften von Weizenteigen begründet. Nach einem mechanischen Energieeintrag, wie beispielsweise dem Kneten, ist das Glutennetzwerk sehr elastisch. Hierdurch ist vor allem die maschinelle Verarbeitbarkeit des Teiges eingeschränkt. In der anschließenden Ruhephase erfolgt eine Restrukturierung des Glutennetzwerkes, welches die mechanischen Eigenschaften des Teiges verändert. Relaxierte Teige sind plastischer und weisen eine höhere Dehnbarkeit sowie Nachgiebigkeit auf. Diese Veränderung der Teigeigenschaften ist unbedingte Voraussetzung für die erfolgreiche Weiterverarbeitung. Ohne sie wäre die einwandfreie maschinelle Teigteilung bzw. Formgebung drastisch erschwert [3]. Je nach Knettechnik und Kleberqualität betragen diese Ruhezeiten zwischen 10 bis 30 Minuten [4], was sich vor allem bei Kurzzeit-Gärführungen deutlich in der Prozesszeit widerspiegelt. Ebenso werden produktabhängig in vielen Unternehmen zwischen dem Rundwirken und dem Langwirken Ruhezeiten angewandt, da ansonsten die Oberfläche durch die zu starke Belastung beim Backen aufplatzen könnte. Die Aufeinanderfolge von mechanischen Belastungen mit anschließenden Entspannungsphasen ist also unumgänglich, um die gewünschten Struktureigenschaften im Endprodukt auszubilden. Eine Methodik, die Teigeigenschaften entsprechend zu geruhten Teigen in wenigen Sekunden ermöglicht, bietet daher für alle glutenhaltigen Teige ein wesentliches Potenzial zur Prozessoptimierung und -verkürzung. Vor allem vor dem Hintergrund, dass durchschnittlich jeder deutsche Haushalt knapp 58,9 kg Brot und Backwaren pro Jahr verzehrt und diese Backwaren zu 67 % aus Bäckereien mit industriellem Charakter stammen [5], wäre die Integration der Teigruhe in den laufenden Prozess (In-line-Lösung) mit einem hohen Potenzial zur Effizienzsteigerung verbunden. Unabhängig von der Betriebsgröße und dem Automatisierungsgrad ermöglicht die Verkürzung der Teigruhezeit jedoch grundsätzlich eine Vereinfachung und Verkürzung der Prozessabläufe.

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Abbildung 2: Darstellung der Methoden der forcierten Entspannung mittels a) Wechselspannungsimpulsen sowie d) Ultraschall und der daraus resultierenden mechanischen Teigeigenschaften. Messung der Dehnbarkeit mittels Mikrozugversuch (Kieffer-Rig-Methode) für unterschiedlich lang geruhte Teige (b & e) und forcierte Teige mittels Wechselspannung (b) und Ultraschall (e). Messung der Teignachgiebigkeit mittels Kompressionstest für unterschiedlich lang geruhte Teige (c & f) und forcierte Teige mittels Wechselspannung (c) und Ultraschall (f)

Um die Restrukturierungsvorgänge des Glutennetzwerks während der Ruhezeit forciert ablaufen lassen zu können, haben sich invasive Impulse, vor allem elektrische, aber zum Teil auch mechanische Impulse, als geeignet erwiesen. Die elektrischen Impulse werden in Form von Wechselspannung in einem Spannungsbereich zwischen 110 und 260 V für Anwendungszeiten von 1 bis 5 Sekunden appliziert. Für die Applikation der mechanischen Impulse wird Hochenergie-Schall (20 KHz) mit Amplituden von 5 bis 30 µm und Anwendungszeiten von 30 bis 120 Sekunden genutzt. Die Versuchsstände sind in Abbildung 2 a) für Wechselspannung und 2 d) für Ultraschall dargestellt. Unmittelbar nach dem Kneten werden die Teige der forcierten Entspannung unterzogen und über diverse Laboranalysen und Backversuche mit den Eigenschaften von nicht geruhten und geruhten Weizenteigen verglichen. Hierbei zeigen vor allem spannungsbehandelte Teige in allen gemessenen Eigenschaften (Dehnbarkeit, Nachgiebigkeit, Relaxationsverhalten) übereinstimmendes Verhalten mit geruhten Teigen. So lässt sich aus Abbildung 2 b) erkennen, dass die Dehnbarkeit eines spannungsbehandelten Teiges (200 V, 2 Sek) in etwa der eines 25 Minuten geruhten Teiges entspricht. Betrachtet man die Nachgiebigkeit (Softness), wird das Potenzial der forcierten Entspannung noch deutlicher: Hier entspricht die Nachgiebigkeit der spannungsbehandelten Teige der eines 50 Minuten geruhten Teiges. Für die ultraschallbehandelten Teige ist der Effekt auf die Dehnbarkeit ähnlich zum Effekt einer Spannungsbehandlung (Abb. 2 e)). Auch hier werden Dehnbarkeiten erreicht, die einem 15 bis 20 Minuten geruhten Teig entsprechen. Jedoch zeigt Ultraschall keinen Effekt auf die Nachgiebigkeit. Hier entspricht der ultraschallbehandelte Teig dem nicht geruhten Teig (Abb. 2 f)). Diese übereinstimmenden viskoelastischen Teigeigenschaften zwischen forciert entspanntem Teig, vor allem spannungsbehandeltem Teig, und herkömmlich geruhtem Teig zeigen, dass die Restrukturierungsvorgänge des Glutennetzwerkes durch elektrische bzw. mechanische Impulse forciert und kontrolliert werden können.

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Abbildung 3: Einfluss der Teigruhezeit bzw. der forcierten Entspannung (Ultraschall bzw. Wechselspannung) zwischen Kneten und Aufarbeitung auf das Porenbild von Kastenweißbrot. Bildliche Darstellung in a) sowie Auswertung über die Porenanzahl und den Flächenanteil der Poren an der Gesamtfläche der Brotscheibe in b)

Da es sich bei den verwendeten Impulsen zur forcierten Teigentspannung um invasive Applikationen handelt, die biologische Strukturen aktiv modifizieren, ist die Beurteilung der Vitalität der Hefe und der Backfähigkeit der Teige essentiell. Hierzu dienen Standardbackversuche mit Kastenweißbroten. Als Referenz werden Teige, die zwischen dem Kneten und dem Aufarbeiten für 0, 10 oder 20 Minuten ruhen, verwendet. Die forcierte Entspannung erfolgt ebenfalls zwischen Kneten und Aufarbeitung mittels Wechselspannung (260 V, 1 Sek) bzw. mittels Ultraschall (Amplitude 18,9 µm, 60 Sek). Die restlichen Prozessschritte (Kneten, Gare und Backen) werden identisch gehalten, um eine Vergleichbarkeit der beiden Prozesse zu ermöglichen. Nach dem Backen werden die Brote über die Messung des Volumens, der Krumenhärte und des Porenbildes analysiert. Wie schon in den Ergebnissen der Teiganalyse angedeutet, lassen sich auch hier die übereinstimmenden Eigenschaften der forciert entspannten und herkömmlich geruhten Brote bezüglich ihres Volumens und der Krumenhärte besonders für spannungsbehandelte Teige bestätigen (Ergebnisse nicht dargestellt). Ebenfalls zeigen sich nach dem Backen ruhezeit-äquivalente Effekte für ultraschallbehandelte Teige bezüglich des Volumens und der Krumenhärte. Allerdings ist im Vergleich zur Spannungsbehandlung der Effekt der Ultraschallbehandlung deutlich geringer. Dies wird ebenfalls sichtbar, wenn das Porenbild der Referenzbrote mit 0 bzw. 10 Minuten Ruhezeit zwischen Kneten und Aufarbeitung mit dem Porenbild der forciert entspannten Brote verglichen wird (Abb. 3 a)). Durch die 10- bis 20-minütige Ruhezeit zwischen dem Kneten und der Aufarbeitung erhalten die Brote eine grobporigere Struktur. Dies lässt sich ebenfalls über die Abnahme in der Porenanzahl bei gleichzeitigem Anstieg des Flächenanteils der Poren an der Gesamtfläche der Brotscheibe erkennen (Abb. 3 b)). Die Poren werden durch die Ruhezeit also insgesamt weniger, dafür aber größer. Einen nahezu identischen Effekt wie bei einer 20-minütigen Ruhezeit weist dabei die Spannungsbehandlung auf. Dies lässt sich sowohl visuell erkennen als auch über die nicht-signifikant unterschiedliche Porenanzahl und -fläche. Auch die Ultraschallbehandlung zeigt einen ruhezeit-äquivalenten Effekt auf das Porenbild, jedoch entspricht dieser in etwa einer Ruhezeit von 10 Minuten. Mit den vorliegenden Ergebnissen der Backversuche lassen sich somit struktur- und/oder hefeschädigende Effekte der forcierten Entspannung ausschließen und Broteigenschaften (Volumen, Krumenhärte, Porenbild) entsprechend geruhter Teige nachweisen.

Die einfache Anwendbarkeit und kurze Anwendungsdauer (1–60 Sek) der elektrischen/mechanischen Impulse ermöglicht eine Integration des Prozessschrittes der Teigruhe in den laufenden Prozess. Dies führt zu einem vereinfachten und effektiveren Prozess in Bezug auf Anlagenaufwand und Zeit. Durch die zum Teil hier dargestellten, ausführlichen mikro- und makrostrukturellen Analysen, die aus rheologischen Analysen, Dehnungsmessung, mikroskopischen Methoden und Backversuchen bestanden, sind die zugrunde liegenden funktionalen Mechanismen der forcierten Teigentspannung für verschiedene Mehlqualitäten aufgeklärt. Auf Basis des dargestellten Verkürzungspotenzials wurden bestehende Prozessabläufe in Bäckereien hinsichtlich ihrer Eignung (Verweilzeit zur Anwendung der Impulse) für die Integration der Entspannungsmethoden evaluiert: Hierbei erweisen sich besonders Förder- und Transportbänder als geeignete Applikationsstellen. Zusammenfassend steht mit der forcierten Teigentspannung ein Verfahren zur Verfügung, welches Dehnbarkeit, Nachgiebigkeit und Elastizität entsprechend geruhter Weizenteige in wenigen Sekunden ermöglicht, ohne wesentlich die Gasfreisetzung und -haltefähigkeit der Produkte zu verändern.

Das IGF-Vorhaben 18565 N der Forschungsvereinigung Forschungskreis der Ernährungs-industrie e.V. (FEI), Godesberger Allee 125, 53175 Bonn, wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Autoren:

S. Brandner, T. Becker, M. Jekle
Technische Universität München, Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie in Weihenstephan, Arbeitsgruppe Getreidetechnologie und -verfahrenstechnik, 85354 Freising;
Kontakt: mario.jekle@uni-hohenheim.de

Referenzen
1 (2005), Teige am laufenden Band. Brot und Backwaren 4: 20-22
2 Lösche, K. (2015), Beeinflussung rheologischer Weizenteig-Eigenschaften. Brot und Backwaren 1: 54-61
3. Freund, W. (1995), Verfahrenstechnik Brot + Kleingebäck, 1. Aufl. Bäckerei-
Konditorei-Management, vol 5. Gildebuchverl., Alfeld
4. Klingler, R.W. (2010), Grundlagen der Getreidetechnologie, 2., vollst. überarb. Aufl. Behr, Hamburg
5 Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V. Zahlen & Fakten – Bäckerhandwerk, www.baeckerhandwerk.de/baeckerhandwerk/zahlen-
fakten Zugegriffen: 9. April 2019