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b+b-2021-05-Qualität ist wieder ein stärkeres Argument

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Armin Juncker, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Großbäckereien, über die Auswirkungen durch Corona, Themen, die bei der AIBI auf dem Tisch liegen, und die Frage nach der Kennzeichnung von Enzymen.

b+b: Europa scheint zumindest die schwerste Phase der Pandemie hinter sich zu lassen. Wie sieht das bisherige Fazit für die deutsche Backwarenindustrie aus?
Juncker: Das Frühjahr 2020, in dem es zu den ersten regional übergreifenden Restaurant- und Geschäftsschließungen gekommen war, hat auch in der Brot- und Backwarenindustrie Deutschlands für enorme Unruhe gesorgt. Hamsterkäufe, wie sie auch aus anderen Branchen berichtet wurden, gab es auch bei Brot und Backwaren. In der Folge wurde in vielen Großbäckereien die Sortimentsbreite zurückgefahren und über mehrere Wochen nur noch das Rumpfsortiment geliefert. Auf diese Weise konnte sichergestellt werden, dass die Brotregale im Discount und im Lebensmittelhandel nicht restlos leergekauft waren.
Da die Kunden über längere Zeit den Kauf von unverpackten Backwaren aus dem Bake-off-Bereich gemieden haben, konnte sich der Umsatz aus dem Brotregal und der Tiefkühltruhe stabil entwickeln. Der Bereich „unverpackt“ hat bis zum jetzigen Zeitpunkt den Stand von 2019 noch nicht wieder erreicht. Gleiches gilt für Unternehmen, die an Hochfrequenzstandorten, Flughäfen und Bahnhöfen positioniert sind, und etwa die Burger-Buns-Lieferanten. Auch der Catering-Bereich leidet unter dem nach wie vor eingeschränkten Geschäftsbetrieb in Kantinen und Restaurants.
Im Endergebnis ist aber festzuhalten, dass dies aus Branchensicht ein „Klagen auf hohem Niveau“ ist, denn die Großbäckereien haben diese Krise insgesamt gut überstehen können.
Als mittelbare Folgen der Corona-Pandemie wird es längerfristige Veränderungen im Verbraucherverhalten geben, die längst nicht nur den Brotsektor betreffen, aber eben auch. Die Digitalisierung und die Online-Bestellmöglichkeiten werden „Fahrt aufnehmen“ und wir Bäcker müssen sehen, wie wir mit unserem Baguette in das Lunch-Paket von Lieferando, Flaschenpost & Co kommen. Eine andere Verhaltensänderung der Verbraucherschaft wird daraus resultieren, dass die Krise die Sicht auf die Bedeutung gerade von Grundnahrungsmitteln geschärft hat. Leere Regale im Supermarkt oder in der Bäckereifiliale waren doch für uns alle unbekannt und eigentlich unvorstellbar. Der Kunde wird die Qualität wieder stärker als Argument für seine Kaufentscheidung hernehmen, weil deutlich geworden ist, wie wichtig ein „einfaches Brot“ ist!

b+b: Was berichten die Kollegen aus anderen nationalen Verbänden der AIBI?
Juncker: Die Auswirkungen auf den Brot- und Backwarenmarkt waren in den übrigen europäischen Ländern durchaus vergleichbar. Insgesamt ist der Brotverbrauch im Corona-Jahr 2020 zurückgegangen, etwa in Belgien um -3 % und in den Niederlanden um -5 %. Dabei ist die Entwicklung bei verpacktem Brot aber positiv und auch kleine Handwerksbäckereien, die die Nahversorgung unternehmen, haben sich gut behaupten können, offenbar, weil die Kunden ein großes Vertrauen in die Produkte gesetzt haben.

“Der Kunde wird die Qualität wieder stärker als Argument für seine Kaufentscheidung hernehmen, weil deutlich geworden ist, wie wichtig ein ‚einfaches Brot‘ ist!”

Armin Juncker, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Großbäckereien

b+b: Welche Themen beschäftigen die AIBI zurzeit?
Juncker: Die AIBI ist traditionell sehr interessiert an allen lebensmittelrechtlichen Vorgängen, die bekanntlich auf europäischer Ebene ihren Ausgangspunkt oder aber zumindest einen wichtigen Promoter haben. Zu diesem Zweck hat die AIBI schon vor längerer Zeit ein Technical Committee eingerichtet, in dem die Experten aller AIBI-Mitgliedsverbände die lebensmittelrechtlichen Themen bearbeiten. Vorsitzender dieses Ausschusses ist Alexander Meyer-Kretschmer aus dem deutschen Verband. Einige der aktuell bearbeiteten Themen finden sich in den nachstehenden Antworten wieder.
Daneben verfolgt die AIBI die wirtschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen der Märkte, die sich insbesondere in Südosteuropa und Osteuropa befinden. Die dort zu beobachtende Veränderung des Lebensmittelangebotes, die Veränderung insbesondere im Bereich der Backwarenmärkte, lenken das Interesse auf diese Märkte. Bedauerlicherweise sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Markteintritt oder auch für Investitionen nicht selten derzeit noch unklar.
Die von der von-der-Leyen-Kommission gesetzte ehrgeizige „Green Deal“-Agenda löst eine Reihe von wichtigen Diskussionen aus. „Vom Erzeuger zum Verbraucher“ erfasst die zunehmende Bedeutung ökologischer, ethischer und sozialer Aspekte. Die Nachhaltigkeit der Lebensmittelkette steht ganz oben auf der Tagesordnung der EU und damit auch auf der Agenda der AIBI. Die AIBI war eine der ausgewählten Organisationen, die in dem Multi-Stakeholder-Prozess, von der Primärproduktion bis hin zum Verbraucher, aktiv mitgewirkt haben. Die AIBI ist im Thema Lebensmittelverluste seit Jahren engagiert und Mitglied der entsprechenden EU-Plattform.

b+b: In einem FEI-Projekt erforschen Wissenschaftler die „Restaktivität und Funktionalität exogener Enzyme in Backwaren (wie Amylasen, Xylanasen, Lipasen und Glucoseoxidasen)“*. Welche Konsequenzen erwarten Sie für die Backwarenhersteller?
Juncker: Nachdem lange Jahre in Wissenschaft und Praxis die feste Vermutung vorhanden war, dass Enzyme den Backprozess, den Brot- und Backwaren regelmäßig durchlaufen, nicht „überleben“, also ihre enzymatische Aktivität einbüßen, gibt es nunmehr gesicherte Erkenntnisse, dass dies nicht in jedem Fall und nicht vollständig zutreffend ist. Geringe Restaktivitäten können vorhanden sein. Die Zugabe exogener Enzyme ist häufig erforderlich, um die Aktivität der endogenen Enzyme, also derjenigen, die natürlicherweise etwa in Weizenmehl und Hefe vorkommen, auszugleichen und zu verbessern. Diese technologische Notwendigkeit ist eine der Zulassungsvoraussetzungen für Enzyme überhaupt. Daher unterstützt unser Verband das FEI-Projekt, mit dem diese Sachfragen weiter aufgeklärt werden sollen. Sollte sich ergeben, dass es auch nach dem Backprozess enzymatische Aktivitäten gibt, ist die Frage der Kennzeichnung zu beantworten. Im Sinne der gebotenen Transparenz und Verbraucheraufklärung hielten wir in einem solchen Fall eine entsprechende Kennzeichnung für absolut sachgerecht.

b+b: Wie ist der gegenwärtige Stand bei der Acrylamidforschung? Es soll angeblich ein neues FEI-Projekt angeschoben werden – warum und mit welchem Ziel?
Juncker: In allen Lebensmittelbranchen, deren Produkte erhöhte Acrylamidgehalte aufweisen, konnten in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Fortschritte im Sinne einer Reduzierung dieser Werte erzielt werden. Hierzu gehört bekanntlich auch der Bäckereibereich. Diese Anstrengungen müssen aber weiter fortgesetzt werden und daher ist es notwendig, auch die entsprechende Forschung voranzutreiben. Die in unserem Verband zusammengeschlossenen Großbäckereien stehen einem entsprechenden FEI-Projekt oder anderen Forschungsaktivitäten daher sehr aufgeschlossen gegenüber.

b+b: Es gibt auf EU-Ebene Vorschläge, Grenzwerte für Blausäure, Morphin und Cadmium (in Mohn) zu definieren. Bedeutet das Konsequenzen für die Backwarenindustrie, insbesondere die Hersteller von Feinen Backwaren?
Juncker: Aktuell sind vonseiten der Rohstofflieferanten, insbesondere solche von Leinsamen und Mandeln, keine Probleme mit den im Entwurf diskutierten Grenzwerten gemeldet worden, insoweit gibt es auch keine direkten Auswirkungen auf die Verarbeitung in einer Bäckerei. Sollten solche Grenzwerte erlassen werden, hieße dies aber offensichtlich in jedem Fall, dass der von den Rohstofflieferanten und ggf. auch von den Backbetrieben zu betreibende Analyseaufwand deutlich steigen würde.

b+b: Zusatzstoffe stehen wieder im Fokus. Handelsgruppen in Frankreich planen gar ein Verbot diverser Substanzen in von ihnen gehandelten Produkten. Worum geht es da genau und welche Haltung hat die deutsche Branche dazu?
Juncker: Es ist eine große Errungenschaft der EU, dass es im Lebensmittelrechtsbereich für den europäischen Markt eine intensive Harmonisierung gibt. Diese nützt den Verbrauchern, aber auch den Herstellern, die in zunehmendem Maße nicht nur für einen einzelnen nationalen Markt arbeiten, sondern für mehrere. Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht nicht der richtige Weg, wenn einzelne EU-Mitgliedsstaaten, bspw. Frankreich, für bestimmte Zusatzstoffe einen separaten Weg einschlagen wollen. Dies gilt etwa für Uno- und Diglyceride von Speisefettsäuren, die in Backwaren als Emulgatoren eingesetzt werden. Aus Sicht der deutschen Großbäckereien steht dem Einsatz dieser Zusatzstoffe nichts entgegen. Sie sind technologisch hoch wirksam und helfen bei der vom Kunden geforderten Herstellung hochwertiger Backwaren. Die Diskussion entflammt daher auch nicht aus ernährungsphysiologischen Gründen, sondern vorrangig aus politischen Erwägungen.

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b+b: Die Begasung von Sesam, Gewürzen, Amaranth, Guar, Flohsamen mit Ethylenoxid und Di-Chlorethanol ist in der EU seit 1979 nicht mehr zugelassen, die USA und Kanada erlauben es nach wie vor mit einem Grenzwert. Zum Teil wird es aber auch zur Containerbegasung verwendet. Haben wir indirekt ein Problem?
Juncker: Die Begasung von bestimmten Zusatzstoffen mit Ethylenoxid (ETO) und Di-Chlorethanol, die in einigen außereuropäischen Ländern zugelassen ist, führt im gesamten europäischen Backmarkt, also nicht nur im deutschen, nicht nur zu „indirekten Problemen“, sondern zu massiven direkten Schwierigkeiten. Seit Anfang des Jahres 2021 gab es europaweit mehr als 150 Schnellwarnungen zu diesem Thema und auch zahlreiche Rückrufe. Die Rückrufe erfolgten dabei regelmäßig, weil in den eingesetzten Rohstoffen das Vorhandensein von ETO nachweisbar war, obwohl im Endprodukt dann kein ETO mehr nachzuweisen war. Auch in diesem Zusammenhang ist eine klare europäische Handlungsvorgabe sehr sinnvoll, denn durch die derzeitige Praxis kommt es zu Rückrufen und Lebensmittelvernichtungen, was eine vermeidbare Lebensmittelverschwendung zur Folge hat. Dies berichten etwa unsere Kollegen aus dem belgischen Brotverband. Daher wird in Belgien von dem Lebensmittelsektor (FEVIA) gefordert, diese sehr strenge Auslegung spätestens nach der Corona-Krise zu überprüfen.

b+b: Ein Vertreter der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer erläuterte kürzlich in einem Vortrag, dass die Bodenqualität in Österreich durch den Klimawandel sinke und Getreide mit dem Temperaturanstieg wenig gut klarkomme. Der Green Deal der EU und die dort geforderten Nitrateinträge hätten außerdem zur Folge, dass der Weizen künftig weniger proteinreich ausfalle. Gibt es ähnliche Erwartungen für Deutschland?
Juncker: Das in Deutschland erzeugte Getreideangebot ändert sich und damit auch bspw. der Proteingehalt des Brotweizens. Diese Entwicklung wird von den Großbäckereien in den eigenen Betriebslaboren oder aber mit externer Laborunterstützung bereits seit Längerem verfolgt und es wird durch Änderungen der Rezeptur und/oder des Backvorgangs nach Möglichkeit gegengesteuert. Aber auch in den Zuchtbetrieben, in der Landwirtschaft und in der Mühlenwirtschaft wird dieses Thema selbstverständlich intensiv verfolgt.

b+b: Stehen innerhalb der EU Veränderungen des Kennzeichnungsrechts zur Debatte?
Juncker: Das Kennzeichnungsrecht kennt keinen Stillstand. Unzählige Dienststellen und Institutionen auf nationaler und europäischer Ebene arbeiten beständig an einer Optimierung der Kennzeichnungsfragen. Diese Optimierung folgt dabei nicht immer wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern mindestens ebenso häufig auch politischen Erwägungen, etwa dem Transparenzgedanken. Aus Herstellersicht haben Großbäckereien aber hiermit traditionell kein relevantes Problem.

b+b: Herr Juncker, vielen Dank für unser Gespräch.

*siehe Beitrag „Aktivitäten exogener Enzyme in Backwaren“ ab Seite 56 in dieser Ausgabe