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b+b-2021-05-Es geht um DAS Thema unserer Zeit

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Pflanzliche Lebensmittel sind sein neues Forschungsgebiet. Die Ziele von Prof. Dr. Mario Jekle in Hohenheim und die neuen Möglichkeiten, die er im 3D-Druck sieht.

Die TU München muss ohne ihn auskommen. Genau 12 Jahre und einen Monat war Prof. Dr. Mario Jekle am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie in Weihenstephan tätig als Leiter der Arbeitsgruppe Getreidetechnologie und -verfahrenstechnik, die er mit aufgebaut hat. Sieben vielbeachtete nationale und internationale Auszeichnungen für ihn fallen in diese Zeit, der Aufbau des Weihenstephaner Instituts für Getreideforschung (WIG) gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Becker und seiner Frau Dr. Margit Jekle sowie eine Vielzahl an Forschungsprojekten, die er inspirierte und leitete. Kurzum, er hat sich einen Namen gemacht, nicht nur in der Forschung selbst, sondern auch als Wissenschaftler, der im engen Austausch mit der Branche arbeitet und der getreideverarbeitenden Industrie beratend zur Seite steht.

„Es war an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen“

Seit August ist Prof. Jekle an der Universität Hohenheim tätig und leitet als Professor den Fachbereich Pflanzliche Lebensmittel am Institut für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie. „Es war an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen“, sagt er. „Vieles, was mich heute ausmacht und was mir die Möglichkeit gab, den Ruf anzunehmen, basiert auf dem Erreichten dieser 12 Jahre. Darauf baue ich auf.“ Einen solchen Lehrstuhl zu übernehmen, das ist aus seiner Sicht auch eine Ehre. Noch dazu, wenn es um DAS Thema unserer Zeit geht – die pflanzlichen Lebensmittel.

Seine Nachfolge an der TU München hat inzwischen Thekla Alpers angetreten. Apropos, sein Team in Weihenstephan hatte ihn 2018, ohne dass er davon wusste, für den „Best Supervisory Award“ (Auszeichnung für hervorragende Lehrtätigkeit) der TU München vorgeschlagen und den Entscheid für ihn gewonnen. Dass er diese Auszeichnung als eine seiner wertvollsten bezeichnet, sagt viel aus über den Menschen Mario Jekle. „Das Team in Weihenstephan funktioniert. Das zählt und das bleibt.“

Hohenheim ist die Heimatuni von Prof. Jekle. Hier schließt sich ein Kreis. „Ich stamme aus der Ulmer Gegend. Als bayerischer Schwabe kann ich sehr gut bayerisch leben, aber genauso gut schwäbisch.“ Dr. Margit Jekle, die als Geschäftsführerin das WIG verantwortet, setzt ihre Arbeit in Weihenstephan unterdessen momentan fort. Getreideforschung, das ist bei den Jekles Family Business.

Getreide bleibt ein Schwerpunkt, aber nicht der einzige. Mit „Pflanzlichen Lebensmitteln“ ist sein Forschungsfeld breiter gesteckt. Prof. Jekle: „Ich bin überzeugt, dass sich spannende Möglichkeiten eröffnen, weil die Lösungsstrategien der Branchen häufig anders sind. Meiner Erfahrung nach ist es hilfreich, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Das trifft auch zu, wenn es um Probleme in der Produktion geht.“ Sein Fachgebiet verortet sich als logische Ergänzung zur Prozessanalytik und Getreidewissenschaft, die von Prof. Dr. Bernd Hitzmann geleitet wird, sowie zum Gebiet der Weizenzucht und -forschung von Prof. Dr. Friedrich Longin. „Hohenheimer sind Teamplayer. Dass wir die komplette Supply Chain abdecken können, vom Anbau bis hin zu Wirtschaftswissenschaften, das ermöglicht ganz neue Lösungskonzepte.“

„Durch den 3D-Druck kann man
komplett neue Textureigenschaften erschaffen und damit die Grenzen
der jetzigen Lebensmittelproduktion neu definieren.“

Prof. Dr. Mario Jekle

Ein erstes Projekt ist eingereicht. Es befasst sich mit Fruchtzubereitungen: „Wir versuchen, über natürliche Fermentationen Stoffe zu generieren, die die Qualitätseigenschaften der Fruchtzubereitung positiv beeinflussen, sodass sie ohne Zusätze oder mit reduzierten Zusätzen auskommen und sich für Clean Label oder den Bio-Markt eignen, auch für den Backwarenbereich. Kurz vor dem Start steht ein Projekt über Acrylamidreduktion in Backwaren, und mit „Climate Smart Grains“ befindet sich ein internationales Projekt in der Planung. „Die Suche nach klima-resistenten Getreidearten und deren Verarbeitung wird uns weltweit fordern“, ist Prof. Jekle überzeugt.

Zur Person: Prof. Dr. Mario Jekle

+ August 2021: Berufung an die Universität Hohenheim, seither Leiter des Fachgebiets für Pflanzliche Lebensmittel am Institut für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie
+ 2019 Habilitation, Thema: „Texture design of starch-protein-based solid open-cell foams“, TU München
+ 2012 Promotion mit summa cum laude, Thema: „Struktur-Funktionsbeziehungen in Weizenteigen – Einfluss der Proteinmikrostruktur auf die Rheologie und das Prozessverhalten“, TU München
+ Juli 2009 bis Juli 2021: Leiter der Arbeitsgruppe (AG) Getreidetechnologie und -verfahrenstechnik am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TU München
+ bis 2009: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Prozessanalytik und Getreidetechnologie, Universität Hohenheim
+ Studium der Lebensmitteltechnologie, Universität Hohenheim

Branchenorganisationen
Mitgliedschaft in acht Branchenorganisationen,
darunter die DLG, EFFoST, VGMS und die EHEDG.
Im WIG (Weihenstephaner Institut für Getreide-
forschung) ist Prof. Jekle Vorsitzender des
Forschungsbeirats.

Auszeichnungen
Für seine wissenschaftliche Arbeit an der TU München erhielt er u. a. den „Rising Star in Texture Research“ (Journal of Texture Studies) sowie den „Young Scientist Research Award (AACCi)“, für seine Promotion den „Wissenschaftlichen Förderpreis des Verbandes Deutscher Großbäckereien“. Auf Initiative seiner Doktoranden wurde ihm der „Best Supervisory Award“ der TU München verliehen.

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Das Leitziel seines Fachgebiets „Sicherung der globalen Ernährung“ ist nicht ganz leicht zu greifen. „Es geht um die Frage des Wie“, erklärt er. „Themenschwerpunkte, die mich interessieren, sind die Fraktionierung und Isolierung funktioneller Inhaltsstoffe aus Pflanzen. Das können Proteine sein – das heiße Thema zurzeit –, es können aber auch Kohlenhydrate sein oder andere Stoffe. Gerade im Bereich der Extraktion tut sich viel. Ein zweiter Forschungsansatz liegt darin, Biopolymere (z.B. Pflanzenfasern) in die Richtung zu modifizieren, in der man sie für eine bestimmte Anwendung benötigt.“ Es gäbe enzymatische oder mechanische Verfahren, die man derart strukturieren könne, dass sie genau die Eigenschaften hervorbringen, die sich bislang vielleicht nur durch hochkomplexe Zusatzstoffe erreichen ließen.

Reverse Food Engineering nennt er als weiteren Ansatzpunkt seiner Arbeit. „Mein Ziel ist, Wissen zu erarbeiten, wie man Lebensmittelqualitäten – das können auch Eigenschaften sein, die zurzeit noch gar nicht bekannt sind – durch eine hochdefinierte Materialauswahl und eine Prozessauswahl zusammensetzen kann. Hat man diese Kenntnisse, spart man Entwicklungsarbeit. Sicher, das ist eine Idealvorstellung, aber ich bin überzeugt, dass man in kleinen Schritten darauf zugehen kann.“ Es sei vom Mindset her ein neuer Ansatz, Lebensmittel zu produzieren. Der 3D-Druck werde dabei vermutlich die größte Rolle spielen.

Chancen durch den 3D-Druck

Die Chancen durch den 3D-Druck sieht er zweigeteilt. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren steckt das Potenzial vor allem in der Aufklärung. Ich sehe ihn als analytisches Werkzeug, um z. B. klassische Backprozesse besser verstehen zu können. Wir können hochgenau Hitze, also Energie einbringen und Teige mit Gasblasen drucken. Wie viel Energie man zu welchem Zeitpunkt beim Backen braucht, der 3D-Druck kann hier zur Klärung beitragen.“ Auch wichtig: „Prototyping“. Durch den 3D-Druck könne man komplett neue Textureigenschaften erschaffen und damit die Grenzen der jetzigen Lebensmittelproduktion neu definieren. Zum Teil kenne die Wissenschaft das Limit des 3D-Drucks noch gar nicht.

Für den längeren Horizont sieht Prof. Jekle jedoch eine große wirtschaftliche Bedeutung. 3D-Druck sei fancy und es gäbe Ideen, das Verfahren in einen hochvolumigeren Markt einzubringen. „Ich bin mir sicher, dass der 3D-Drucker in den nächsten zehn Jahren nicht die 24/7-Anlage ersetzen wird. Aber neben der Monolinie gibt es weitere Verfahren und es gibt einen wachsenden Trend zur Individualisierung, vor allem im Ernährungsphysiologischen. Hier sehe ich das Potenzial. Allerdings braucht es noch Zeit bis zur vollständigen Marktumsetzung. Aber unsere Ausdauer wird sich für Hersteller und v.a. für die Verbraucher lohnen!“

Helga Baumfalk