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b+b-2021-03-Neue Sanierungschancen

Mit dem zum 1. Januar in Kraft getretenen „Gesetz über die Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen“ (StaRUG) wurde ein Rechtsrahmen geschaffen, um strukturierten Sanierungen außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens den Weg zu ebnen.

War es bislang nur möglich, entweder in Gesprächen und Verhandlungen eine einvernehmliche Verständigung mit den Gläubigern oder aber die Sanierung auch gegen den Widerstand von Gläubigern im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens (ESUG) zu versuchen, gibt es seit dem
1. Januar 2021 eine weitere Alternative. Das neue Gesetz schafft verfahrensrechtliche Hilfsangebote für sanierungswillige Unternehmen und erstmals auch für Unternehmer (Einzelkaufleute), die ein von einer Mehrheit der Gläubiger unterstütztes Sanierungskonzept gegen den Willen widersprechender Gläubiger und außerhalb einer Insolvenz durchsetzen wollen.

Die bisherigen Lösungsansätze waren in vielen Fällen unbefriedigend. Bei einer einvernehmlichen Verhandlungslösung war man entweder auf das Wohlwollen seiner Gläubiger oder aber auf ein in Deutschland noch immer stigmatisiertes Insolvenzverfahren angewiesen. Das gilt auch bei einem Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren (ESUG). In beiden Fällen handelt es sich ebenfalls um Insolvenzverfahren. Die Insolvenz wird dabei – häufig zu Unrecht – als Sanierungsmittel gescheut, der Antrag oft viel zu spät gestellt und die Insolvenz verschleppt. Das kann ernsthafte zivil- und strafrechtliche Folgen für den Geschäftsleiter nach sich ziehen, bis hin zum Verlust seines gesamten Privatvermögens oder zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Häufig werden mit der Verschleppung realistische Chancen auf eine erfolgreiche Sanierung von Unternehmen leichtfertig vergeben.

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Rechtsanwalt Dr. Utz Brömmekamp

Ohne Insolvenzverfahren

Die EU verfolgte schon seit 2011 einen anderen Ansatz als der deutsche Gesetzgeber, nämlich eine Sanierungschance mit Mehrheitsentscheiden ohne ein Insolvenzverfahren. Mitte 2019 verabschiedete das EU-Parlament eine Richtlinie über ein präventives Restrukturierungsverfahren. Diese Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis Mitte 2021 in nationales Recht umzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich damit sehr beeilt und wollte dabei sicherlich auch einer drohenden Pleite- und Insolvenzwelle durch die wirtschaftlichen Schäden der Corona-Pandemie vorbeugen. Zwischen dem ersten Referentenentwurf und dem Inkrafttreten des StaRUG lagen gerade einmal drei Monate.

Die Hoffnungen, dass sich mit der Einführung des StaRUG ein modernes und konkurrenzfähiges Sanierungsinstrument etabliert, dürften sich im ersten Schritt vermutlich nur zum Teil erfüllen.

Das liegt zum einen daran, dass in einem solchen Verfahren nicht in Arbeitnehmerrechte eingegriffen werden darf. Dies bleibt weiterhin allein dem Insolvenzplanverfahren (ESUG) vorbehalten. Stehen Personalmaßnahmen im Fokus der Sanierungsmaßnahmen, ist folglich das StaRUG nicht vorrangig geeignet. Zudem erlaubt das StaRUG-Verfahren grundsätzlich keine Beendigung von Vertragsverhältnissen. Während im ESUG-Verfahren in der Insolvenz die Möglichkeit besteht, auch langlaufende Verträge und Dauerschuldverhältnisse innerhalb von drei Monaten zu beenden, wurde diese Option aus dem Gesetzesentwurf des StaRUG noch in letzter Minute wieder entfernt.

Gleichwohl stellt das StaRUG eine ernst zu nehmende und zukunftsweisende Sanierungsvariante außerhalb der Insolvenz dar, weil es insbesondere eines mit der Insolvenzlösung gemein hat, nämlich die Möglichkeit, widersprechende Gläubiger zu „überstimmen“ und auch gegen ihren Willen in die Sanierungslösung und die Sanierungsmaßnahmen einzubinden.

Anwendbarkeit des StaRUG

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des StaRUG ist das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Diese ist lt. Gesetz gegeben, wenn dem Unternehmen aus heutiger Sicht und aufgrund aktueller Planung innerhalb der nächsten 24 Monate das Geld ausgehen und damit Zahlungsunfähigkeit eintreten wird. Tritt eine Illiquidität erst zu einem späteren Zeitpunkt ein, ist der Weg in ein StaRUG-Verfahren (noch) verschlossen. Es muss also schon eine vertiefte Krise in Aussicht stehen.

Ist das Unternehmen allerdings bereits zahlungsunfähig oder überschuldet und damit insolvenzantragspflichtig, kommt ein StaRUG-Verfahren nicht mehr in Betracht. Dafür ist es dann zu spät. Eine Sanierung kann nur noch über ein ESUG-Verfahren innerhalb einer Insolvenz gelingen.

Zahlungsunfähigkeit ist im Grundsatz dann gegeben, wenn das Unternehmen nicht mehr dazu in der Lage ist, mindestens 90 % seiner (über)fälligen Verbindlichkeiten mit aktuell vorhandenen Mitteln (Barliquidität, Kontoguthaben, freie Banklinien o.Ä.) zu bedienen.
Im Vergleich dazu ist der Begriff der Überschuldung, also das Überwiegen der Passiva (Verbindlichkeiten) über die Aktiva (Vermögen), immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussion. Solange für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose besteht, spielt eine etwaige bilanzielle Überschuldung keine Rolle, egal wie schief das Bilanzbild sein mag. Schon das aussichtsreiche Betreiben eines StaRUG-Verfahrens rechtfertigt in der Regel eine positive Prognose.

Liegt keine positive Fortbestehensprognose vor, sind die Vermögenswerte zu Liquidationswerten (Zerschlagungswerten) anzusetzen, was in aller Regel zu einer Überschuldung und einer Antragspflicht führt.

Das neue Gesetz schafft die Möglichkeit, schrittweise und in Eskalationsstufen vorzugehen. Vorangestellt in § 1 ist die Verpflichtung der Firmenleitung, Frühwarnsysteme zu installieren und Risikomanagement zu betreiben, um Krisen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu reagieren. Je früher eine Krise erkannt wird, desto mehr Handlungsoptionen bestehen und desto größer sind die Aussichten auf eine erfolgreiche, nachhaltige Sanierung.

Die naheliegende und vor allem kostengünstige Möglichkeit zur Krisenbewältigung ist natürlich immer eine Einigung mit den betroffenen Gläubigern im Verhandlungsweg.

Ein Beispiel

Ein Unternehmen hat laufende Kredite bei drei verschiedenen Banken und kann diese nicht mehr adäquat bedienen. Den Banken wird eine Zinsreduzierung und Aussetzung von Tilgungen vorgeschlagen. Schon bei diesen Gesprächen bietet das StaRUG Hilfe in Gestalt einer Sanierungsmoderation an. Dabei wird in einem ansonsten gerichtsfernen Verfahren ein unabhängiger Sanierungsmoderator vom Restrukturierungsgericht bestellt, dessen Aufgabe es ist, kraft seiner Kompetenz, Erfahrung und Autorität zwischen den Verhandlungspartnern zu vermitteln, eine einvernehmliche Lösung zu erreichen und einen förmlichen Sanierungsvergleich abzuschließen, den das Gericht nur noch bestätigt.

Wenn sich aber nur eine der Banken querstellt, scheitert die Sanierungsmoderation und das Unternehmen kann die nächste Zündstufe aktivieren, nämlich in ein Restrukturierungsverfahren (StaRUG) einsteigen und in diesem zunächst ganz ohne gerichtliche Hilfe nun erneut eine Verständigung suchen und den Sanierungsvorschlag zur Abstimmung stellen. Bleibt die betreffende Bank auch im Zuge dieser offiziellen Abstimmung bei ihrer ablehnenden Haltung, besteht jedoch – wie im Übrigen auch beim ESUG-Verfahren in der Insolvenz – die Möglichkeit, die widersprechende Bank zu „überstimmen“.

Voraussetzung für eine solche Regelung ist in jedem Fall die Erstellung eines Restrukturierungsplans als Herzstück des Verfahrens und der beabsichtigten Sanierung. Dieser Plan muss durch das zuständige Restrukturierungsgericht bestätigt werden, sobald in die Rechte von Gläubigern zwangsweise eingegriffen wird. In diesem Plan wird der Weg zur erfolgreichen Sanierung des Unternehmens dargestellt und zugleich werden die dafür notwendigen Beiträge der einzelnen Gläubiger festgelegt. Hierbei werden die Gläubiger in verschiedene Gruppen (z. B. Banken, Vermieter, Lieferanten etc.) eingeteilt, die jede für sich mit einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent der betroffenen Forderungen dem Plan zustimmen müssen. Der so verabschiedete Plan wird durch das zuständige Restrukturierungsgericht bestätigt, damit er die gewünschten Rechtswirkungen entfaltet. Es müssen – anders als beim ESUG-Verfahren in der Insolvenz – nicht alle Gläubiger in die Planlösung eingebunden werden, sondern nur diejenigen, deren Forderungen gestaltet werden sollen. Hat man mehrere Gruppen gebildet und stimmt die Mehrheit der Gruppen zu, kann die Zustimmung der anderen, nicht zustimmenden Gruppen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen durch das Gericht ersetzt werden. Der Fachbegriff dafür lautet „gruppenübergreifender Mehrheitsentscheid“.

In Zeiten der Pandemie von besonderem Interesse ist bspw. dieUmgestaltung/Restrukturierung von Corona-Hilfen, rückständigen oder laufenden Mieten, ungesicherten Bankverbindlichkeiten, gestundeten Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen, Absonderungsrechten (z. B. Sicherheiten von Banken) oder Anteils- und Mitgliedschaftsrechten.

Weder eine Sanierungsmoderation noch ein Restrukturierungsverfahren nach neuem Recht wird öffentlich publiziert; es sei denn, dies wird vom Unternehmen bzw. Unternehmer ausdrücklich gewünscht.

Voraussetzungen

Das erfolgreiche Betreiben eines StaRUG-Verfahrens setzt voraus, dass das betroffene Unternehmen bzw. der betroffene Unternehmer noch über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um das Verfahren und die dabei anfallenden Kosten über die Laufzeit von einigen Wochen zu finanzieren oder durch einen Geldgeber finanzieren zu lassen. Eine solche Finanzierung hat den großen Vorteil, dass sie weitgehend vor Anfechtung und Rückforderung geschützt ist, sollte die Sanierung doch scheitern und ein Insolvenzverwalter auf den Plan gerufen werden.

Ist die Liquidität zu knapp und findet sich auch kein Finanzierer, ist eher die Sanierung mittels eines ESUG-Verfahrens innerhalb einer Insolvenz zu empfehlen. Denn dies bringt – vom Gesetzgeber gewollt – einige liquiditätsschonende oder -schöpfende Rechtsfolgen mit sich. So wird auf Antrag der Personalaufwand für die Dauer von bis zu drei Monaten großenteils von der Arbeitsagentur in Form des sog. „Insolvenzgeldes“ übernommen. Bei Antragstellung fällige Verbindlichkeiten dürfen nicht mehr gezahlt werden. Die in den ersten drei Monaten nach Antragstellung gezahlten Steuern und Sozialbeiträge können nach Verfahrenseröffnung in der Regel angefochten und auf diesem Wege zurückgeholt werden. Diese „Liquiditätssegnungen“ gibt es im StaRUG-Verfahren nicht.

Sei es mit StaRUG oder ESUG, sei es innerhalb oder außerhalb der Insolvenz; es ist auf jeden Fall zu begrüßen, dass der Gesetzgeber rechtliche Möglichkeiten geschaffen hat, Unternehmen und Unternehmer vor dem Ruin und Totalverlust zu bewahren und ihnen die viel zitierte „2. Chance“ zur Sanierung und zum Fortbestand zu eröffnen.