Dass am Markt genug Platz ist zwischen automatisiertem Großbetrieb und reiner Handwerksbäckerei, beweist die MOIN Bio Backwaren GmbH aus Glückstadt. Ihre Formel für Qualität sieht das Unternehmerpaar Mattke in der Achtsamkeit. Zweistellige Zuwachsraten geben ihnen recht.
Die Volle Lotte ist ein 6 kg schweres Weizenmischbrot, das an den Backtheken in individueller Größe frisch geschnitten verkauft wird
Die achtsame Haltung der Menschen, die am Produkt arbeiten, darum geht es Hans-Paul und Brigitta Sui Dschen Mattke. „Welche Haltung die Menschen gegenüber dem Teig einnehmen, wie sie sich ihm zuwenden, das ist es, was gutes Essen ausmacht“, sind sie sich sicher. Man müsse den Teig anfassen und annehmen, dann „können wir sagen, ob wir eine halbe Minute länger kneten oder mehr Wasser hinzufügen müssen. Genau das tun wir in einer Permanenz und erreichen damit ein spürbar besseres Ergebnis.“
Hans-Paul und Brigitta Sui Dschen Mattke
Neben der Prozessseite zahlt die bewusste Gestaltung der Räume und die gelebte Beziehung zu den Menschen, für die Mattkes arbeiten, auf die Achtsamkeit ein und damit auf die seelische Qualität der Backwaren. Das ist eine außergewöhnliche Herangehensweise, sicherlich, aber eine mit messbarem Erfolg. Ohne Umsatz kein Idealismus, auch das gehört zur Firmenphilosophie.
Angekurbelt von der starken Nachfrage im Biofachhandel verbuchte der Hersteller von TK-Backwaren und -Teigen im Corona-Jahr 2020 zweistellige Zuwachsraten. Allein im März, als sich die Verbraucher im ersten Lockdown mit Lebensmitteln bevorrateten, lag das Plus bei 40 %. Der Jahresumsatz insgesamt kletterte auf 8 Mio. EUR und damit um 16 % über das Vorjahresergebnis. „Wir sind stolz, dass wir der Nachfrage nachkommen und alle Kunden beliefern konnten“, sagt Brigitta Sui Dschen Mattke. Sie berichtet vom großen bürokratischen Aufwand, der Aufteilung der rund 70 Mitarbeiter in Teams, die sich nicht begegnen dürfen, und ausgedehnten Produktionszeiten von vier Uhr morgens bis abends um zehn. Vorübergehend, denn abgesehen von der Corona-Sondersituation verzichtet MOIN auf Nacht- und Wochenendarbeit. Aus Überzeugung, weil für jede/n Mitarbeiter/in eine gesunde Work-Life-Balance essentiell ist.
MOIN Bio Sonntags Krustis, die MOIN im Stikkensystem produziert, kürte Stiftung Warentest zum Testsieger unter den TK-Aufbackbrötchen
Für alle Kunden ohne TK-Möglichkeit: Mit gekühlten, gerollten Frischteigen erreicht MOIN neue Kundengruppen
Mit der 2016 neugebauten Halle kommt das Unternehmen heute auf 4.500 m2 Produktionsfläche, auf der Teige, gebackene Brote und Brötchen, vorgegarte Feingebäcke und backfertige Snacks hergestellt werden, alle in Bioland-Qualität, ohne Zusatz technischer Enzyme und lange gereift.
Neben dem Biofachhandel beliefert MOIN Bäckereien, die Gastronomie und Cateringbetriebe. Mit Brötchen und Teigen (TK sowie Frischteige für die Kühltheke) unter der Marke „MOIN“ wendet man sich auch direkt an den Verbraucher.
Bislang waren Croissants und Blätterteige die Hauptumsatzbringer. 2020 änderte vieles und schob einen neuen Star ins Rampenlicht: die MOIN Bio Sonntags Krustis. Seit 15 Jahren in der Range, aber noch nie wurden so viele verkauft wie im letzten Jahr. Dass die Stiftung Warentest MOINs Brötchen Anfang März zum Testsieger unter den TK-Aufbackbrötchen kürte, dürfte den Verkauf weiter beflügeln. Für Hans-Paul Mattke zählt noch etwas anderes: „Das ist eine schöne Bestätigung für unsere Mitarbeiter. ‚Eure Arbeit kommt an!‘ Unsere Brötchen waren die teuersten im Ranking. Das bedeutet also, dass wir am Markt das bezahlt bekommen, was wir an Input leisten.“
Seit Corona wächst das Interesse an Bio. MOIN kann das beurteilen, denn seit Juli 2020 gibt es den Werksladen neben der Produktion in Glückstadt und mit ihm einen Touchpoint zum Verbraucher. Einerseits ist der Laden – durch eine große Fensterscheibe kann der Kunde in die Backstube schauen – ein Mitarbeiter-Projekt; sie bedienen und ihnen kommen auch die Erlöse zugute. Andererseits liefert er Erkenntnisse aus erster Quelle. Brigitta Sui Dschen Mattke: „Wir merken, dass sich die Menschen stärker dafür interessieren, was genau sie kaufen, was dahintersteht und wer das produziert.“
Was die Inhaber durch ihren Betrieb erreichen wollen, das geht aber über Bio hinaus. Da passt das Zertifikat der GWÖ, das MOIN als „Gemeinwohlorientiertes Unternehmen“ bestätigt. Es geht um ein alternatives Wirtschaftssystem, bei dem der Erfolg nicht am Profit, sondern daran gemessen wird, inwieweit der Betrieb zum Wohl von Mensch und Umwelt beiträgt. „Alle wünschen sich doch, dass die Welt besser wird. Wir wollen zeigen, dass es geht und man anders produzieren kann“, sagt Brigitta Sui Dschen Mattke und zitiert einen Buchtitel von Charles Eisenstein, der beschreibt, was sie meint: „Die schönere Welt, die Dein Herz kennt, ist möglich“.
Ihr Unternehmen sehen die Mattkes weder als Backfabrik noch als Brotmanufaktur. Das seien alte Bilder. Corfaktur – aus cor von lateinisch Herz und facere = machen – trifft es besser. Ein Qualitätsunterschied liegt nicht darin begründet, dass man etwas händisch oder maschinell herstellt, sagen sie, sondern darin, von wo aus man seine Arbeit denkt. Schwere, stupide Arbeiten dürfen die Maschinen den Menschen gerne abnehmen.
Nicht nur Unternehmer, auch Künstler
Neuprodukte haben bei MOIN nur dann eine Chance, wenn sie zur inneren Haltung passen. Weil die Mattkes nicht nur Unternehmer, sondern auch Künstler sind, kommen die Impulse aus ganz unterschiedlichen Quellen. „Wir sind intuitive Entwickler“, so Hans-Paul Mattke, „zwar analysieren wir die Märkte, folgen aber auch unseren eigenen Intuitionen, die wir aus unseren vielfältigen Lebensbereichen der Kunst und des Theaters ziehen.“
Erst kürzlich rückte die „Volle Lotte“ in die Range, ein 6 kg schweres Hausbrot, das 36 Stunden reift und direkt auf Steinplatte gebacken wird. Das Sortiment der veganen Backwaren erweiterte MOIN im vergangenen Jahr um eine Linsen-Curry-Tasche, ein Schokocroissant sowie aktuell um eine Laugenstange. Die gekühlten, gerollten Dinkel-Frischteige, die im vergangenen Jahr eingeführt wurden, wird MOIN in diesem Jahr um einen Pizzateig erweitern. Käufer veganer Produkte, stellt man im Unternehmen fest, sind oft gar keine Veganer. „Dass die Produkte vegan sind, sehen viele als Zusatznutzen“, weiß Hans-Paul Mattke. „Unsere Kunden sind Menschen, die super Qualität wollen und wissen, dass die Produkte gut und nachhaltig produziert werden. Hier liegt unser Fokus.“