Egal, wie lang und intensiv die Corona-Krise noch wird: Das Geschäft mit den Konsumenten wird nie mehr so sein wie früher.
Theresa Schleicher gehört zu den renommierten Kennern des Handels. Für das Zukunftsinstitut hat Schleicher in der aktuellen Ausgabe ihres jährlich erscheinenden Retail-Reports den Fokus auf die Corona-bedingte Beschleunigung der Veränderungen auf dem Konsumgütermarkt gelegt. Nicht alles, was sich derzeit wandle, sei auf die Erfahrungen in der Pandemie zurückzuführen – etwa der Trend zum bargeldlosen Bezahlen oder die Bereitschaft, unrentable Standorte aufzugeben. Die Krise zeige sich hier lediglich als Trendbeschleuniger. Anderes werde ins Blickfeld gerückt, etwa der Wert der persönlichen Begegnung und die Bereitschaft, sich um Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl der Kunden zu bemühen. Galt bisher eine lange Schlange von Kunden vor dem Laden als Ausweis von Qualität und Nachfrage, so ist sie heute eher Ausweis von Ignoranz und der Unfähigkeit, den Einkauf im Laden neu zu organisieren.
Schleicher geht in ihrem Report auf den Handel in seiner ganzen Breite ein und widmet Sonderkapitel dem Bekleidungssektor, Möbeln und den Consumer Electronics. Dennoch lohnt sich die Lektüre auch für Lebensmittelanbieter, vor allem jene Passagen, die sich mit den Befindlichkeiten der Konsumenten auseinandersetzen.
Eine Rückkehr zum business as usual wird es nicht geben, so Schleicher. Die Krise habe vielen Konsumenten gezeigt, dass sie auf manchen Konsum verzichten können und dass es Wichtigeres gibt als Einkaufen. Andererseits schauen sie bei den Käufen, die sie tätigen, genauer auf Qualität, Regionalität, Service, aber auch darauf, wie das Produkt zu ihnen kommt und welchen Ruf der Hersteller als Arbeitgeber hat. Auch die Frage, ob ein Anbieter sich in regionale Netzwerke einbindet, wird zum Kaufargument.
Der Retail Report 2021 ist für 150 EUR (inkl. USt) im Online-Shop des Zukunftsinstituts erhältlich. Er umfasst 128 Seiten und erschien im August 2020. Die ISBN lautet:
978-3-945647-73-8.
Ein gravierendes Argument für die Konsumenten wird laut Schleicher künftig die Frage nach der Sicherheit sein. Wie sorgt der Anbieter dafür, dass der Konsument sich in seinem Laden sicher und aufgehoben fühlt, und welche Angebotswege geht er jenseits des Ladengeschäftes, etwa durch Online-Angebote und/oder Liefergeschäfte? Das Gefühl von Sicherheit, so Schleicher, ist eine höchst emotionale Angelegenheit. Das zeigt sich u. a. auch in der während der Krise rapide gewachsenen Bereitschaft quer durch alle Altersgruppen, auf bargeldlose Bezahlung umzusteigen. Die Einführung personalloser Läden, in der der Kunde alles selber macht, ist für Schleicher hingegen mittelfristig eher ein frommer Wunsch. Ausnahmen könnten Läden wie die österreichische „Landspeis“ sein, ein Pionierkonzept, das Container mit einem Bioangebot in ländlichen Gegenden positioniert und dort auf Vertrauen innerhalb der Dorfgemeinschaften setzt.
Gleichzeitig müssen sich die Anbieter auf dem Konsumgütermarkt damit auseinandersetzen, dass sich Lebens- und Arbeitswelten der Verbraucher in der Krise verändert haben, etwa durch die Neuorganisation von Arbeit in Richtung Homeoffice, und dass dadurch auch ein Teil der Laufkundschaft an Verkehrsknotenpunkten wegfällt. Der Tanz um das goldene Kalb „Globalisierung“ endete abrupt und Verbraucher wie Handel fragen sich jetzt, wie es weitergehen kann und soll. Interessant auch die These Schleichers, dass die Anpassungen an die Veränderungen und der Umgang mit den Herausforderungen keine Frage des Alters sind. Auch junge Verbraucher hat die Krise in Panik versetzt, wohingegen es vielen Alten leichter fällt, sich auf die Situation einzustellen, weil sie schon mehr als eine Krise erlebt haben und finanziell häufig besser abgesichert sind als die Jungen, ganz gleich auf welchem absoluten Niveau.
Die Krise hat den Lieferservices einen Boom gebracht. Künftig werden die Verbraucher, so Schleicher, aber auch darauf achten, wie nachhaltig gerade dieser Teil der Logistik abgewickelt wird. Nicht nur E-Fahrzeuge, sondern auch lokale Kooperationen seien ein Weg, zu punkten. Online-Hofläden, die ihre Ware gemeinsam so ausliefern, liegen derzeit im Trend, denn sie bieten Lokalität, Frische, plastikfreie Verpackung, Nachhaltigkeit und Vernetzung. „Support your locals“ in die Realität umgesetzt.
Die Pandemie, so Schleicher zusammenfassend, hat oder wird das Konsumgüterangebot und seine Formen verändern. Es wird Verlierer geben, die den Markt verlassen, aber es wird auch Gewinner geben. Dazu werden diejenigen gehören, die die Krise auch als Chance für Veränderungen nutzen, Fantasie und alternatives Denken und Handeln aktivieren und lokale Netzwerke nutzen. Denn die Digitalisierung der Präsentation, der wachsende Stellenwert von Service und der Online-Service werden nicht wieder verschwinden. Ein Komplex, der derzeit auch auf politische Unterstützung vor Ort hoffen darf, denn die Träume der Globalisierung sind ein Stück weit geplatzt.