Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Insekteneiweiß die Qualität und ernährungsphysiologischen Eigenschaften glutenfreier Backwaren verbessern kann.
Für eine stetig effizienter werdende Weltwirtschaft scheint die Versorgung mit Eiweiß und Mikronährstoffen auf dem Umweg über „tierische Produkte“ (Effizienz vergleichbar einer LED) wenig vielversprechend. „Beliebte“ Insekten wie etwa Grillen enthalten eine große Menge Eiweiß (bis zu 55 %) und sind reich an ungesättigten Fettsäuren, Vitamin B12 und den Mineralen Eisen und Zink.
Die Zucht von Insekten ist vor allem aus zwei Gründen ein ressourceneffizientes Verfahren: (1) Insekten sind kaltblütige Tiere und verwenden daher weniger Energie auf die Regulierung ihrer Körpertemperatur; (2) das gesamte Insekt steht für den menschlichen Verzehr zur Verfügung, während bei Schlachtvieh weniger als die Hälfte konsumiert wird. Insekten können daher weltweit einen wertvollen Beitrag zu einer gesunden Ernährung leisten, sofern sie in großen Mengen in die Küchen und Fertigungsunternehmen gelangen.
In Belgien, den Niederlanden und der Schweiz wurde der Einsatz von Grashüpfern und Mehlwürmern bei der Herstellung von Burger-Bratlingen als Fleischersatz erfolgreich getestet. Zusätzlich zum Verzehr von „Insektenburgern“ in neu eröffneten Restaurants können die Verbraucher verschiedene Burger-Bratlinge auch online oder, in der Schweiz, in Supermärkten kaufen. Diese Burger bieten eine Alternative zu vegetarischen Gemüseburgern und den berühmten Rindfleischburgern. Jedoch scheint der Verzehr von Burgern unzureichend, um den empfohlenen täglichen Bedarf an Mikronährstoffen und Eiweiß zu decken. Daher hat das finnische Unternehmen „Fazer Group“ Grillen verwendet, um die ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Backwaren zu verbessern, und damit einen Schritt zur Bekämpfung des weltweiten Hungers getan (The Guardian, 2017). Das Unternehmen hat als erstes das Potenzial von Backwaren als Träger von Insektenmehl erkannt, obwohl fragwürdig bleibt, ob die Nutzung von 70 gefriergetrockneten Grillen (entspricht etwa 4–21 g) für die Produktion eines Weizenbrotes wesentlich zur Anreicherung mit Eiweiß und Mikronährstoffen beiträgt. Es ist außerdem zweifelhaft, wie vernünftig der Einsatz von Insekten in Backwaren auf Weizenbasis ist. Der vergleichsweise hohe Eiweißgehalt von rund 13 % (Trockenmasse) macht Weizenmehl zu einer guten Quelle von Eiweiß. Das hochfunktionale Weizeneiweiß „Gluten“ ermöglicht eine gute Gasblasenstabilisierung und damit die Herstellung von Backwaren mit hohem spezifischem Volumen. Jedoch beruht diese einzigartige Fähigkeit von Gluten auf einem komplexen Zusammenspiel der Zutaten sowie des mechanischen Energieeintrags und der biologischen Lockerung. Eine geänderte Zusammensetzung wie etwa die Verringerung des Glutengehalts durch den teilweisen Ersatz des Weizenmehls durch Insektenpulver stört dieses System und verursacht ein Zusammenfallen des Teigs und folglich ein verringertes spezifisches Volumen. Dies erfordert die Suche nach einem geeigneteren Anwendungsbereich für Insektenmehl.
Großes Potenzial bei glutenfreien Backwaren
Derzeit erhältliche glutenfreie Backwaren auf Reisbasis weisen im Vergleich zu glutenhaltigen, auf Weizen basierenden Produkten beträchtliche qualitative Mängel auf. Reismehl fehlt es an einem (funktionalen) Eiweiß, das ein viskoelastisches Netzwerk bilden kann, welches zur Gasstabilisierung während der Gare und des Backens beiträgt. Dies führt zu Backwaren mit niedrigem spezifischem Volumen sowie schlechten ernährungsphysiologischen Eigenschaften. Von einem Ernährungsstandpunkt aus sind Reis-basierte Produkte nicht nur für Zöliakiepatienten ungeeignet, sondern auch für weite Teile der Weltbevölkerung, für die Reis die dominierende Getreideart ist. Der Einsatz von Insekten stellt jedoch eine geeignete Methode dar, um die ernährungsphysiologischen und funktionalen Eigenschaften von Produkten auf Reisbasis zu verbessern.
In aktuellen Studien an der Technischen Universität München wurde ein Teil des Reismehls (0–20 %) durch Insektenmehl (Alphitobius diaperinus) ersetzt, um die sensorischen und ernährungsphysiologischen Eigenschaften von normalem Reismehl (ohne Zugabe von Hydrokolloiden) zu verbessern. Die Aufzucht der Insekten erfolgte unter streng kontrollierten Bedingungen, sodass diese für den sicheren Verzehr geeignet waren. Die Zugabe von bis zu 30 % Insektenmehl verursachte eine Abnahme des spezifischen Volumens der Backwaren von 1,78 ± 0,03 auf 1,44 ± 0,03 N/m² (Abb. 1). Die Härte der Reismehl-Insektenmehl-Brote erhöhte sich mit zunehmender Substitution des Reismehls durch Insektenmehl von 9,46 ± 0,64 auf 12,21 ± 0,71 N/m² nach dem Backen. Überraschenderweise zeigten Brote, in denen Reismehl ersetzt wurde, nach einer Lagerung von zwei Tagen eine geringere Krumenhärte: Während die Krumenhärte bei reinen Reisbroten auf 25,35 ± 1,25 N/m² zunahm, betrug die Härte der Reismehl-Insektenmehl-Brote (Substitution von 30 % Reismehl) 19,29 ± 0,46 N/m² (vergleiche Abb. 2). Das Altbackenwerden der Krume während der Lagerung war unabhängig von dem spezifischen Brotvolumen der Reisbrote. Diese Ergebnisse bestätigen das große Potenzial von Insektenmehl in glutenfreien Backprodukten, da zwischen der Herstellung und dem vollständigen Verzehr glutenfreier Backwaren mit einer längeren Zeit zu rechnen ist. Die Abnahme des spezifischen Brotvolumens konnte bei einer Substitution von 10 % des Reismehls durch Insektenmehl und durch Anpassung des Wassergehalts (1,79 ± 0,03 N/m²) vollständig ausgeglichen werden (Abb. 3). Darüber hinaus hatten die Backwaren einen angenehm nussigen Geschmack, wenn bis zu 20 % des Reismehls ersetzt wurden, und negative, mit dem Reis in Verbindung gebrachte Geschmacksnoten nahmen ab. Die Substitution des Reismehls führte zu einer positiven Bewertung der Backwaren durch das Sensorikpanel, obwohl einige Testpersonen Ekel aufgrund der neuartigen Eiweißquelle zeigten.
Abbildung 1
Abbildung 2
Abbildung 3
Da auf Weizen basierende Backwaren überwiegend in Europa konsumiert werden, wurde die Substitution von Getreidemehl durch Insektenmehl auch anhand von Weizenteigen durchgeführt. Dabei wurden keine positiven Auswirkungen des Insektenmehls auf die Krumenhärte nach dem Backen (Zunahme von 107 %) und der Lagerung (Zunahme von 127 %) sowie beim spezifischen Brotvolumen festgestellt (Abnahme von 26 %) (vergleiche Abb. 1). Obwohl sich der Geschmack bei Substitution von bis zu 10 % des Weizenmehls in Bezug auf die Geschmacksvielfalt und -intensität verbesserte, überwogen die negativen Auswirkungen des Insektenmehls auf die Krumentextur.
Prognose
Um die Verwendung von Insekteneiweiß in der europäischen Lebensmittelindustrie erfolgreich zu etablieren, müssen negative Assoziationen und Ekel gegenüber Insekten überwunden werden. Obwohl Insekten bei Verunreinigung von Lebensmitteln ein ernstes Gesundheitsrisiko darstellen, können sie bei Verwendung als Rezeptbestandteil die ernährungsphysiologischen Eigenschaften (Eiweiß-, Zink- und Eisengehalt) verbessern. Das große Potenzial von Insekten im Backwarensektor ergibt sich bei der Herstellung von Backwaren auf Reisbasis. Dies ist in Ländern der Fall, wo (1) Reis das hauptsächlich verzehrte Getreide ist und (2) Insekten eine traditionelle Eiweißquelle sind (häufig afrikanische und asiatische Länder). Der Einsatz von Insektenmehl oder extrahiertem Insekteneiweiß verbessert die Qualität glutenfreier Backwaren für Zöliakiepatienten weltweit. Zusätzlich zur deutlichen Zunahme des Eiweißgehalts und der Verbesserung des Geschmacks werden den Backwaren durch Zusatz von Insektenmehl auch noch wichtige Mikronährstoffe wie Zink und Eisen zugefügt. Daher können Mängel in der Ernährung, wie sie häufig mit Zöliakie einhergehen, (teilweise) ausgeglichen werden. Obwohl Insekten eine geeignete Möglichkeit zur Verbesserung des Nährwerts von Produkten auf Reisbasis darstellen, steht dem Einsatz von Insektenmehl in Bäckereien der Ekel vieler Verbraucher entgegen. Da die Abneigung gegenüber Insekten ein erlerntes, kulturelles Verhalten ist, kann die Lebensmittelindustrie diesem Gefühl entgegenwirken, indem sie sichere, sensorisch attraktive und vielfältige Produkte herstellt.
Anmerkung
Erstveröffentlichung des Beitrags in englischer Sprache in „The Future of Baking. Science – Technique – Technology”, 2018, f2m food multimedia gmbh, Hamburg.
Literatur
+ LGL 2017: https://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/ueberwachung/betriebskontrollen/baeckereien_2017.htm
+ Welt, 2017, In fast jeder Backstube gibt es Mängel, Veröffentlicht am 05.07.2017: https://www.welt.de/regionales/bayern/article166288321/In-fast-jeder-Backstube-gibt-es-Maengel.html
+ WHO, 2017: http://www.who.int/mediacentre/news/re
leases/2017/world-hunger-report/en/
+ WHO, 2017: http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/255413/
1/WHO-NMH-NHD-17.3-eng.pdf?ua=1
+ WFP, Stand 2018: http://de.wfp.org/mangelernaehrung
+ The Guardian, Reuters in Helsinki, Fri 24 Nov 2017 00.46 AEDT: https://www.theguardian.com/world/2017/nov/
23/anyone-for-crickets-bread-made-insect-finnish-bakeryfazer
+ Insektenlutscher, 2018: https://insektenlutscher.de/Frit
tierte-Heuschrecken/Frittierte-grillen–grillen-essen–ess
bare-insekten–Insekten-essen–insekten-kochen/grillen-
Gefriergetrocknet–vakum-Grillen–grillen-essen.html
+ Insektenlutscher, 2018: https://insektenlutscher.de/Frit
tierte-Heuschrecken/Frittierte-grillen–grillen-essen–ess
bare-insekten–Insekten-essen–insekten-kochen/Frittierte-
grillen–grillen-essen–essbare-insekten–Insekten-essen–
insekten-kochen-28.html
Autoren
Sabina Paulik,
Dr.-Ing. Mario Jekle*,
Prof. Dr.-Ing. Thomas Becker
Technische Universität München (TUM), Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie
Arbeitsgruppe Getreidetechnologie und -verfahrenstechnik, 85354 Freising, Deutschland
E-Mail: mjekle@tum.de
*Korrespondenzautor