Zu den zentralen Themen der Exzellenzstrategie der TUM gehörten Automatisierung und Digitalisierung. Die diesjährige Automatisierungstagung gab einen Vorgeschmack.
Die Automatisierung und Digitalisierung wird in der Backwarenindustrie eine ähnliche Tiefe erreichen, wie sie sie heute in der Getränkeindustrie bereits hat, und Online-Messtechnik wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Prof. Dr. Ing. Thomas Becker, Ordinarius am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, der auch das Institut für Getreideforschung beherbergt, betätigte sich zur Einführung der Tagung nicht nur als Orakel, sondern versprach den Gästen der diesjährigen Tagung auch massive Unterstützung durch den Lehrstuhl.
In welchem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext das Thema steht, darüber sprach Franz Guster von der Bühler AG, Uzwil. Derzeit gehen 70 % des vorhandenen Wassers und 30 % der produzierten Energie dieser Welt in die Nahrungsmittelindustrie, so der Leiter der neu geschaffenen Unternehmenseinheit „Consumer Foods“. Gleichzeitig aber gingen 30 % der produzierten Lebensmittel auf ihrem Weg durch die Wertschöpfungskette verloren oder würden verschwendet. Die Digitalisierung der Produktionsprozesse könne helfen, Qualität und Ertrag durch Leistungssteigerungen mittels Echtzeit-Überwachung von Maschinen und Anlagen zu verbessern. Ausfallzeiten und Energieverbrauch könnten dabei vermindert werden, u. a. weil die gewonnenen Informationen für die Fortentwicklung der Prozesse genutzt werden könnten. Last but not least werde die Echtzeit-Überwachung die Chance bieten, durch die Präzision der Geräte-Kalibrierung und der Registrierung manuelle Eingriffe sehr viel exakter entlang der vorgegebenen Spezifikation zu vorzunehmen. Das verringere den Ausschluss und erhöhe die Lebensmittelsicherheit.
Anhand verschiedener Systeme aus dem Portfolio der Bühler Digitalisierung wie der weltweit größten Datenbank für Lebensmittelsicherheit safefood.ai oder der selbstoptimierenden Schokoladenlinie DoMiReCo 4.0, die eine Walzenbelegung von bis zu 97 % bei gleichzeitiger Plastizitätskontrolle der Schokoladenmasse erreicht, zeigte Franz Guster die Ansätze, die bei Bühler verfolgt werden. Dazu gehört auch die Darstellung der Kontrolldaten in einem Dashboard, das eine zentrale Datenerhebung und -verwaltung erlaubt, ein intelligentes Alarm-System beinhaltet und durch prozessorientierte optisch klare Benutzeroberflächen den Bedienern Chancen für eine schnellere Reaktion und bessere Kontrolle komplexer Linien gibt.
In zwei anderen Vorträgen ging es um die Entwicklung spektraler und optischer Sensoren und eines innovativen Sensorkonzeptes für die Backwarenindustrie am Lehrstuhl von Prof. Becker. Bereits heute gibt es eine Reihe von Anwendungsfeldern spektraler und optischer Sensoren, wie Abstands- oder Temperaturmessungen. Auch die Messung eines Bräu-
nungsindex durch LAB-Farbmessgeräte oder die Messung von chemischen und physikalischen Eigenschaften durch UV/VIS/NIR-Spektrometer gehören heute zum Standard in den wissenschaftlichen Laboren. Neue Anwendungen im Bereich des sichtbaren Lichts eröffne die Aussicht, Dimensionen und Oberflächenbräunung zu messen und Gebäckoberflächen auf Homogenität zu überprüfen. Solche VIS-Kameras sind auch in der Lage, die Parameter der Gare eines Teiglings zu detektieren oder mit einem „Blick“ in den Knetbottich die Oberflächenbeschaffenheit des Teiges und damit den Stand des Knetprozesses zu analysieren.
Messungen im MIR-Bereich in den beladenen Ofen hinein können durch entsprechende Filterung der Daten Hinweise auf Krustenrisse und Backfehler geben, alternativ auch die möglicherweise ungleichmäßige Wärmeverteilung im Backraum aufdecken. Optische Sensoren, so Ronny Takacs am Ende seines Vortrages, werden in der Mess- und Regeltechnik eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Durch Neu- und Weiterentwicklungen würden die Sensoren aber auch günstiger, kleiner, robuster und in mehr Fällen einsetzbar.
Den zweiten Vortag hielt Michael Metzenmacher, der sich darin mit den Möglichkeiten von Qualitätskontrolle auf den verschiedenen Stufen des Herstellungsprozesses mittels Sensoren beschäftigte, vorgestellt an der Überwachung von Dichte- und Strukturparametern von getreidebasierten Backwaren entlang ihres Herstellungsprozesses sowohl mittels Offline-Methoden wie Inline-Methoden, wie Laser-Doppler-Vibrometer, Particle Image Velocimetry oder Ultraschall.
Der Nachmittag der Vortragsveranstaltung am Weihenstephaner Institut gehörte dann den Praktikern aus der Zulieferindustrie. Jürgen Kammer von der Jungheinrich Logistiksysteme GmbH stellte dabei die neuesten Entwicklungen der fahrerlosen Transportsysteme sowie Lösungen für die innerbetriebliche Logistik vor. Andreas Brülls von der ProLeit AG stellte das eigene Manufacturing Execution System MES vor, über das das von ProLeit entwickelte Plant iT zum Produktionsleitstand wird, der alle produktionsrelevanten Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette sammelt und auswertet. MES ist in der Lage, auch die Insellösungen unterschiedlicher Hersteller einzubinden.
Dr. Tobias Pfaff von der Firma Food Tracks aus Münster plädierte dafür, Bäckereien künftig mittels eines intelligenten Bäckerei-Controllings zu steuern, das alle verfügbaren Datenquellen im Unternehmen verknüpft und statt Zahlenfriedhöfen Handlungsempfehlungen gibt.
Werner Seidl von der Stäubli Tec.Systems GmbH Robotics aus Bayreuth zeigte auf, welche Vorteile der Einsatz von Robotern entlang der Wertschöpfungskette vom Produkt- und Equipmenthandling bis zur Verpackung mit sich bringen kann. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf die Kontrolle und den Stand der Hygiene, die damit erreicht werden könnten.
Den Abschlussvortrag hielt schließlich Dr. Rudolf Sollacher von der Abteilung Research and Development for Digitalization and Automation CR RDA FOA der Siemens AG. Einer der Schwerpunkte seines Vortrages war die wachsende Transparenz vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt, die sich mit der Digitalisierung realisieren lasse. Gerade in Zeiten begrenzter Ressourcen und mangelnden Verbrauchervertrauens werde dies ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte und Unternehmen werden. Siemens forsche derzeit sowohl an der Integration der Wertschöpfungsketten durch Digitalisierung und der Verbesserung der Nachverfolgbarkeit, aber auch an der Verbesserung der Effizienz und Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion und den Möglichkeiten einer flexiblen Produktion von personalisierten Lebensmitteln.
Die Digitalisierung ganzer Wertschöpfungsketten, so Sollacher, werde ein komplexes Ökosystem an digitalen Diensten vom Acker bis auf den Teller ermöglichen, Lieferanten und Behörden integriert. An entsprechenden Blockchain-Systemen arbeite man bei Siemens bereits.