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b+b-2019-03-Effizienz durch Vernetzung

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Die neue Produktion des italienischen Backwarenherstellers Galbusera geht erste Schritte in Richtung Industrie 4.0. Mit dabei Oripan, ein IT-Unternehmen, zu dessen Eigner Sancassiano gehört.

Südlich von Mailand sind im vergangenen Herbst 16.000 m2 Produktionsfläche in Betrieb gegangen. Geplant und realisiert vom italienischen Backwarenhersteller Galbusera, der seine Produktion von Kuchen und Saisonprodukten wie Panettone und Colomba aus dem bisherigen Standort in der Innenstadt von Mailand hierher verlagerte. Die Linie für Panettoni und Colombe ist komplett neu, die für Kuchen bis auf den Ofen ebenfalls. Eine dritte neue Linie für eine Produktneuheit geht gerade in die Produktionsphase und eine vierte für Cracker ist im Aufbau.

Grund für den Neubau waren aber nicht nur die Vergrößerung der Produktion durch mehr Kapazität und neue Produktlinien, sondern auch die Entscheidung, einen deutlichen Schritt in Richtung Automatisierung und Digitalisierung zu gehen. Schützenhilfe gab es dabei durch neue staatliche Förderungsprogramme für Industrie 4.0.

Enterprise Resource Planning (ERP)
Damit werden aufgrund einheitlicher Datenbasis betriebliche Ressourcen wie Kapital, Personal oder Produktionsmittel bestmöglich gesteuert und verwaltet, üblicherweise umfasst das System Materialwirtschaft, Vertrieb und Marketing, Finanz- und Rechnungswesen, Controlling, Personalwesen, Management von Produktdaten, Stammdaten, Dokumenten und eine Schnittstelle zur Produktion bzw. Produktionsplanung.
Manufacturing Execution System (MES)
Ein mehrschichtiges Managementsystem für die Fertigung, das in Prozessketten denkt und die Produktionsanforderungen aus dem ERP-System in eine möglichst effiziente Produktionsplanung übersetzt, erfasst Produktions-, Maschinen- und Betriebsdaten und ermöglicht Fertigungskontrolle in Echtzeit.
Oripan Factory System (OFS)
Übernimmt die Kommunikation und kreiert die Anweisungen an die Maschinen, was in welchen Mengen wann in welcher Prozesskette produziert werden soll. Die Planung beginnt mit der Anzahl der SKUs (stock keeping units = eindeutig identifizierbarer Artikel, Varianten des Artikels haben andere SKUs), die produziert werden sollen. Es entscheidet daraufhin die Anzahl der Batches, kalkuliert die Zeit bis zur Verpackung.
Maschinen (PLC)
Steuerung der einzelnen Maschinen und Anlagen

Ein Rückverfolgungssystem für die Rohstoffe gab es bereits im alten Werk. Ziel hier, so IT-Chef Dante Gelmini, war und ist es, mehr Informationen über den detaillierten Status der Prozesskette zu bekommen und so die Effizienz zu erhöhen. Als Beispiel nennt er die Linie 1, die von September bis Dezember Panettoni und von Januar bis Mai Colombe produziert. Trennt man das Produktionsprogramm nach Prozessparametern und Rezepturen, sind es 20 verschiedene Sorten und 300 verschiedene SKUs, die in dieser Zeit 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche effizient und störungsfrei vom Band laufen müssen.

Galbusera S.p.A.

Das italienische Familienunternehmen wurde 1930 von Ermete Galbusera als Kekshersteller in Morbegno gegründet und von seinen Söhnen Mario und Enea Galbusera zu nationaler Bedeutung ausgebaut. Am heutigen Firmensitz in Cosio Valtellino produziert es auf acht Linien Waffeln, Kekse und Cracker unter den Marken Galbusera und Tre Marie ebenso wie unter Private Label. In einem im vergangenen Jahr eröffneten Produktionswerk in Vellezzo Bellini entstehen Kuchen, Torten sowie weihnachtliche Panettoni und österliche Colombe in vielen Variationen. www.galbusera.it

TRE MARIE

Die Marke Tre Marie ge hat eine lange Tradition und ist tief verankert auf dem Markt der Panettoni und Colombe. Der frühere Eigner, die Sammontana S.p.A., Produzent von Eiscreme und Tiefkühlprodukten, erweiterte die Produktgruppe um tiefgekühlte Feingebäcke wie gefüllte Croissants und Cannoli. 2013 wurden die Tre Marie-
Sparten Panettone, Colomba, Kekse und Torten von Galbusera übernommen. Die Tiefkühlteiglinge werden weiterhin von Sammontana produziert und ebenfalls unter der Marke Tre Marie verkauft.

ORIPAN

Oripan ist ein italienisches IT-Unternehmen, das sich mit der Vernetzung komplexer Produktionsprozesse in der Lebensmittelwirtschaft beschäftigt. Mit dem OFS (Oripan Factory System), einem Manufacturing Execution System zur Produktionsplanung und zur Automatisierung des Informationsflusses entlang der Prozesskette in Echtzeit, legt Oripan die Grundlage für den Prozess, den man mit Industrie 4.0 umschreibt. Der Microsoft Partner liefert Soft- samt ausgesuchter Hardware und betreut Anwendungen in Europa, Asien und Nordamerika. Das Unternehmen verweist auf eine 30-jährige Erfahrung in der Automatisierung und Digitalisierung von Industriebäckereien und wurde 2015 Teil der Sancassiano-Gruppe. Hauptsitz und Sitz der ICT-Division von Oripan ist Tione di Trento. Ein zweites Team, das sich mit industrieller Automatisation beschäftigt, sitzt am Stammsitz von Sancassiano in Roddi. www.oripan.it

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Colombe auf dem Weg aus dem Ofen in die Kühlkammer

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Nach dem Auskühlen folgt die Verpackung im Beutel und …

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… schließlich im klassischen Tragekarton, die per Roboter zur Versandeinheit zusammengestellt werden

Als Partner für die Digitalisierung hat Gelmini sich Oripan ins Haus geholt, ein IT-Unternehmen aus Tione di Trento, an dem Kneterhersteller Sancassiano aus Roddi beteiligt ist. Die Piemontesen bringen langjährige Prozess- und Maschinenkenntnisse ein und zeichnen auch für die zentrale Teigbereitung verantwortlich, die sämtliche Linien mit Teig versorgt. Sie besteht aus zwei linearen Robomixern, samt Dosierstationen für automatische Beschickung und Zugabe von Hand. Integriert sich Teigruheplätze, in denen z. B. Panettoneteige zweimal bis zu 7,5 h ruhen, bevor sie nach dem finalen Kneten auf die Linie gehen. Bis auf wenige Ausnahmen kommen auch alle anderen Anlagen von italienischen Maschinenbauern und viele Produktionsschritte wie das Einschneiden der Oberflächen, das Stapeln von Flachgebäcken oder die Verpackung werden von Robotern erledigt. Insgesamt arbeiten im Werk heute 130 Mitarbeiter, davon 100 in der dreischichtigen Produktion.

Die Produktionsplanung beginnt mit dem Manufacturing Execution System (MES), das die Produktionsanforderungen aus dem ERP-System in eine möglichst effiziente Produktionsplanung übersetzt. Das MES wiederum gibt seine Anforderungen an das Oripan Factory System OFS, das die detaillierte Planung übernimmt.

Startpunkt für das OFS ist die Anzahl der SKUs (stock keeping units = eindeutig identifizierbarer Artikel, Varianten des Artikels haben andere SKUs), die produziert werden sollen. Es entscheidet daraufhin die Anzahl der Batches, kalkuliert die Zeit bis zur Verpackung. Um Staus auf der Linie zu vermeiden, beginnt die Planung der Abläufe bei der Verpackungsphase und rechnet zurück bis zu Rohstoffdosierung und Knetzeit. Der Algorithmus optimiert die Größe und Reihenfolge der Batches und die dabei möglicherweise auftretenden Überlappungen, damit beispielsweise vor dem Ofeneinlauf keine Kollisionen entstehen, andererseits aber auch kein Leerlauf. Erster Schritt ist die Verifizierung, ob alle Materialien zur Verfügung stehen und die einzelnen Stationen der Linie zum gewünschten Zeitpunkt frei sind. Geprüft wird auch, ob die Zeit einkalkuliert ist, um gegebenenfalls den Ofen aufzuheizen oder abkühlen zu lassen.

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Jeder Rohstoff wird beim Eingang und nach der Qualitätsprüfung präzise codiert, sodass Menge, Lagerung und Zeitpunkt genau nachvollzogen werden können. Bei Entnahme werden die Codes gescannt und mit Zeitangabe, Menge und Zugabeventilidentifikation mit dem Code der gerade laufenden Teigcharge verknüpft

Das OFS synchronisiert jeden Prozessschritt mit dem MES und meldet ihm die Materialverbräuche zwecks Rückverfolgung und Nachbestellung. Auch die Überwachung der Rohwarenlager bzw. der Abflüsse ist enthalten, wobei die Warenabflüsse mit der jeweiligen Produktionscharge korreliert werden. Greifen Menschen in den Prozessfluss ein, etwa durch Handzugabe von Rohstoffen, verlangt das OFS eine Bestätigung durch Abscannen der Barcodes an den Transportbehältern und der Zugabestelle.

Was bislang installiert ist, dient der Kommunikation und Informationsgewinnung zwecks Optimierung der Prozessplanung. Direkte Eingriffe in die einzelne Maschinensteuerung sind späteren Weiterentwicklungen des Systems vorbehalten. Als nächstes Projekt plant Gelmini zunächst einmal Wartung und Instandhaltung inklusive vorbeugender Maßnahmen in die Digitalisierung der Fabrik aufzunehmen. Ziel dabei ist es, dass die eigenen Techniker in eine virtuelle Realität eintauchen können und so gegebenenfalls Störungen anhand der eingebetteten Handlungsanweisungen und/oder mit digitaler Unterstützung der Lieferantentechniker beheben können. Gelmini: „Wir erhoffen uns dadurch deutlich weniger Stillstand auf den Linien.“

Italien fördert Industrie 4.0

Italien hat ein Programm aufgelegt, mit dem Investitionen gefördert werden, die Automatisierung und Digitalisierung von Produktionen möglich machen oder beschleunigen. Der 2016 vorgestellte nationale Plan „Industria 4.0“ sieht massive Steuererleichterungen sowie zahlreiche Maßnahmen wie Investitionen in die Bildung vor. Darüber hinaus realisieren die Regionen ein jeweils breites individuelles Programm an Förderungsmaßnahmen. Als Folge legte nicht nur die Zahl der Start-ups deutlich zu. Im ersten Halbjahr 2017 wuchsen die Investitionen in Maschinen um 11,5 %, in Elektronik um 10,7 % sowie in Forschung und Entwicklung um 15 %. Darüber hinaus senkte Italien 2016 den Körperschaftssteuersatz von 27,4 % auf 24 %.

Das Steuerrecht sieht zahlreiche weitere Anreize vor. So kann der Return of Investment bei bestimmten Investitionen bis maximal 150.000 € fünf Jahre steuerfrei gestellt werden. Es gibt Steuerkredite für F&E-Maßnahmen, Sonderabschreibungen auf Patente und um hochqualifizierte Leute ins Land zu holen, gibt es für sie Einkommensteuervorteile.

Was das Leben der italienischen Firmen vermutlich besonders erleichtern dürfte, ist der Plan des Finanzministeriums, seine Verwaltung so aufzustellen, dass die Unternehmen, egal ob Steuerschuld oder Subventionen, nur noch einen Ansprechpartner haben.