Nachhaltigkeit ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die auch vor der Backbranche nicht haltmacht. In der Branche – überhaupt im Lebensmittelsektor – nimmt sie einen wachsenden Stellenwert ein. Bäcker können sich mit „Nachhaltigkeit“ u. U. unternehmerisch gut positionieren.
Dem Thema „Nachhaltigkeit“ soll aus diesem Grund – aufbauend auf das Interview in brot+backwaren Heft 6/2018, Seite 54 – eine Artikelserie gewidmet werden, die durch die drei Kernprozesse einer nachhaltigen Entwicklung führen wird und auf diese Weise ein fundiertes Wissen vermitteln soll. Teil 1 in diesem Heft beginnt mit dem strategischen Prozess.
Strategische Nachhaltigkeit als Schlüssel
Nachhaltigkeit – manche sagen Corporate Social Responsibility, kurz CSR – ist strategisch, wenn sie in die gesamte unternehmerische Strategie integriert ist. Um es mit einer Metapher aus der Informationstechnologie zu sagen: Es muss sich um embedded sustainability oder eingebettete Nachhaltigkeit handeln. Einzelaktionen, die nicht strategisch eingebettet sind, sind eher opportunistisch orientiert und für Außenstehende als Effekthascherei leicht zu durchschauen. Aus diesem Grund können sie sogar negativ auf das Image des Unternehmens zurückschlagen. Daher ist strategische Nachhaltigkeit schon unter Risikogesichtspunkten nahezu ein Muss.
Wie aber bettet man Nachhaltigkeit in die Geschäftsstrategie ein? Das erreicht man durch die Entwicklung eines Business Case für Nachhaltigkeit, will heißen, man sucht sich ein spezielles Thema und entsprechende Maßnahmen, die mit dem Kerngeschäft möglichst eng verzahnt sind. Bäckerei ist Geschäft, hartes Geschäft, und nicht die Caritas. Dieser Tatsache muss man ins Auge blicken und sich nicht einreden (lassen), es wäre irgendwie anders. Daher muss jede Bemühung um Nachhaltigkeit auch dem Geschäftszweck Rechnung tragen. Beim Prozess des Business Case ist das Motto daher „Tu’ Gutes und gedeihe dabei“. Der schottische Nationalökonom und Philosoph des 18. Jahrhunderts, Adam Smith, dem die Kombination von Wirtschaft und Ethik ein besonderes Anliegen war, sagte einmal: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Und weiter: „Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten dem Wohle der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan.“ Harte, aber wahre Worte.
Wichtig ist zu erkennen, dass ein Business Case für Nachhaltigkeit so einzigartig sein muss wie das betreffende Unternehmen selbst. Jedes Bäckereiunternehmen ist besonders, hat eine eigene Geschichte, die oft der Geschichte einer Familie und einer Familientradition entsprungen ist. Die Entwicklung einer unternehmerischen Strategie muss dieser Tatsache Rechnung tragen. Irgendetwas in dieser Geschichte hat ja zum geschäftlichen Erfolg geführt: eine besondere Idee, ein besonderes Führungs- oder Verkäufertalent. Dieses Besondere und nichts anderes bestimmt die unternehmerische Identität und liefert damit eine Antwort auf die Frage, warum es das Unternehmen überhaupt gibt. Darum ist Strategie höchst individuell und es kann keine Lösung geben, die überall passt und sich überall einführen lässt. Andere unüberlegt zu kopieren zeugt daher bestenfalls von Mittelmaß.
Aktuelle Beispiele aus der Bäckereiwirtschaft
Dies vorausgeschickt, werden zunächst einige ausgewählte Beispiele aus der Backbranche thematisiert, um gleichsam das Terrain zu vermessen und Ideen aufzuzeigen, die für die eigene Reflexion durchaus hilfreich sein könnten. Die Ideen sind nach drei wesentlichen Nachhaltigkeitsüberschriften gegliedert.
a) Energieverbrauch und CO2-Emission
Wegen des hohen Energiebedarfs bei der Backwarenherstellung sind Einsparmaßnahmen höchst willkommen. Durch die gleichzeitige Schonung von Ressourcen und der Umwelt liegt hier ein Business Case auf der Hand. In diesem Zusammenhang hat sich die Bäckerei Schüren in Hilden in Nordrhein-Westfalen (250 Mitarbeiter) viele Gedanken gemacht und entsprechende Konzepte bereits umgesetzt. So wird Rest-Brot, das nicht zu Paniermehl verarbeitet bzw. an die Tafel verschenkt werden kann, mithilfe eines eigens dafür konstruierten Heizofens zu Strom verarbeitet. Mit einer Investition von 1,3 Mio. EUR konnten die Energiekosten für die Produktion nach Unternehmensangaben um 50 % gesenkt werden.
Nebenbei bemerkt kommt die Frage nach dem Umgang mit der Überschussproduktion im Allgemeinen reichlich spät. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten müsste man schon vorher überlegen, ob nicht weniger produziert werden sollte, ob denn eine fast komplette Produktpalette noch kurz vor 18 Uhr in den Filialen verfügbar sein muss. In einer 2018 veröffentlichten Studie stellt die Umweltorganisation WWF Deutschland denn auch fest, dass rund 4,5 Mio. t Backwaren hergestellt wurden, von denen schätzungsweise 1,7 Mio. t verloren gegangen seien. Das ist „food for thought“, wie die Engländer sagen.
Doch zurück zur Bäckerei Schüren. Als Nächstes baute sie die Backstube in ein sogenanntes Plus-Energie-Haus um und montierte Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach. Mit einem Plus-Energie-Haus ist ein Gebäude gemeint, das mehr Energie erzeugt, als von seinen Bewohnern verbraucht wird. Anschließend wurden die mit Verbrennungsmotoren betriebenen Lieferfahrzeuge fast vollständig durch Elektroautos ersetzt, wobei der überschüssige Strom zur Speisung der 21 Ladeplätze für den Fuhrpark Verwendung findet. Immer mehr Bäcker denken über eine umweltschonende Fuhrparkerneuerung nach. So ist auch bekannt geworden, dass die Bäckerei Der Beck aus Erlangen E-Autos in der Filialbelieferung inzwischen eingesetzt hat.
Die Bäckerei Junge in Lübeck steuert ihre Nachhaltigkeitsbemühungen mithilfe einer Umweltbilanz. Eine Umweltbilanz beinhaltet die systematische Analyse der Umweltwirkungen von Produkten während des gesamten Lebenszyklus, sozusagen von der Wiege bis zur Bahre, also von der Rohstoffgewinnung bis zum Umgang eben mit Rest-Brot. Überhaupt findet man beim Thema Nachhaltigkeit eher die Namen der Großbetriebe, aber wie das Beispiel der Bäckerei Schüren zeigt, betrifft Nachhaltigkeit auch mittelständische und sogar Kleinbetriebe und kann auch von diesen vorteilhaft umgesetzt werden.
b) Hygiene, Produktsicherheit und bewusste Ernährung
Siegel sind ein möglicher Weg, um sich als verantwortlicher Betrieb zu etablieren und zu zeigen. Im April 2018 führte Hamburg das Hamburger Hygienesiegel ein. Lebensmittelbetriebe, die bei der amtlichen Kontrolle mit »gut« oder »sehr gut« abgeschnitten haben, können das Siegel erhalten und es in Form eines Aufklebers oder Aushangs an der Tür oder im Schaufenster anbringen. Mitmachen können Betriebe, auch Bäckereien oder Cafés, die warme Speisen zum Verzehr direkt vor Ort anbieten.
Ein anderer Weg, sich für Produktsicherheit zu engagieren, besteht in der Förderung der angewandten Forschung. Beispielsweise haben Harry-Brot, die backaldrin The Kornspitz Company GmbH in Österreich und die Ernst Böcker GmbH und Co. KG Preise gestiftet, die vom Weihenstephaner Institut für Getreideforschung (WIG) für hervorragende Bachelor- und Masterarbeiten mit getreide- oder backtechnologischem Bezug vergeben werden.
BackWerk hat mit „gut für mich“ eine neue Produktreihe eingeführt. Sie soll für eine bewusste Ernährung stehen. Jeder solle sich so ernähren können, wie er will, ohne lange überlegen zu müssen. Für die Zuordnung zu „gut für mich“ wurden acht Merkmale festgelegt: „Vollkorn“, „Bio“, „Vegetarisch“, „Vegan“, „Glutenfrei“, „Proteinreich“, „Ohne Konservierungsstoffe“ sowie „Ohne Zuckerzusatz“.
Die Verbannung von Glyphosat aus der Landwirtschaft ist für viele ein wichtiges Anliegen. So hat Bosselmann. Die Landbäckerei GmbH aus Langenhagen den Aufruf „Glyphosat, nein danke!“ auf Plakaten in den Filialen angebracht und auf Facebook gepostet. Die Frage ist nur, ob das alleine viel bewirkt. Dazu ein anderes Beispiel: Gemeinsam mit der Lindmühle in Birmenstorf (Schweiz) und der IPS (Schweizerische Vereinigung integriert produzierender Bauern und Bäuerinnen) hat Fredy Hiestand, Großbäcker und Philanthrop aus der Schweiz, genügend IP-zertifizierte Landwirte gefunden, die komplett auf den Einsatz von Pestiziden verzichten und dennoch in der Lage sind, genügend Getreide für die Versorgung der Fredy’s AG mit Weizen, Ur-Dinkel und Roggen zu liefern. Für den Anbau dieser Getreide verzichten diese Landwirte künftig auf die Ausbringung jedweder Pestizide auf einer Anbaufläche von zusammen rund 700 Hektaren. Der Preis für dieses Getreide liege nach der Pressemitteilung des Hauses unterhalb der Preise für biozertifizierte Ware.
c) Verpackung
Verpackungsmüll ist ein Riesenthema im Lebensmittelsektor, wenngleich in der Bäckereiwirtschaft nicht ganz so prominent, weil die Produkte hier mehrheitlich nicht in Plastikfolie verschweißt werden. Mit seinem Aufruf »Papiertragetasche statt Plastiktüte« macht die Wiener Feinbäckerei Heberer einen zaghaften Anfang, zaghaft deshalb, weil diese Idee inzwischen doch Mainstream geworden ist. Da ist die WASGAU Bäckerei, Pirmasens, weiter. Wie das Unternehmen meldet, werden die Backwaren an der Bedientheke jetzt in Faltbeutel aus Recyclingpapier gepackt. Die eigens dafür neu entwickelten Wendebeutel bestehen zu 100 Prozent aus hygienisch einwandfreiem Öko-Papier ohne jegliche Neuanteile. Auch hier kann man auf Kooperationen setzen. So hat die Bäckerei Junge, Lübeck, durch eine Beteiligung über die Noventiz GmbH an Rücknahmesystemen für Verkaufsverpackungen nach eigenen Angaben im Jahr 2013 rechnerisch 197.790 kg CO2 eingespart und reklamiert dies für sich als einen nachhaltigen Beitrag zum Umweltschutz.
Diese kleine Auswahl zeigt die große Themenvielfalt. Dabei beschäftigen sich die meisten Betriebe mit der Umwelt im weitesten Sinn, wobei nicht vergessen werden darf, dass Nachhaltigkeit auch noch einen sozialen Aspekt aufweist. Dieser geht noch größtenteils unter. Aber es gibt herausragende Ausnahmen wie Malzers Backstube aus Gelsenkirchen, die die Bedeutung der sozialen Verantwortung erkannt haben. Das Unternehmen erreichte dann auch Platz 4 im Arbeitgeberranking 2018 des Magazins Focus-Business. Der soziale Aspekt ist so wichtig, dass wir in einem künftigen Artikel speziell darauf eingehen werden.
Wer eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, darf nicht unbedingt erwarten, dass sich dies unmittelbar in klingender Münze niederschlägt. Lesen Sie dazu im nächsten Heft unsere Antwort auf die Frage, ob Kunden tatsächlich bereit sind, mehr Geld für Nachhaltigkeit auszugeben.
Autor:
Prof. Dr. James Bruton lehrt Wirtschafts- und Unternehmensethik mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und CSR an der Europa-Universität Flensburg sowie an der Nordakademie Graduate School in Hamburg. Er ist Autor des Buches »Corporate Social Responsibility und wirtschaftliches Handeln. Konzepte, Maßnahmen, Kommunikation«. Er ist außerdem autorisierter INQA-Berater. Sie erreichen ihn unter james.bruton@online.de.