Die EDEKA Handelsgesellschaft Südbayern und das Weihenstephaner Institut für Getreideforschung haben mit dem WIG-EDEKA-Standard einen Hygienestandard speziell für lokal agierende Handwerksbäckereien entwickelt.
Vor ca. sechs Jahren, am 16. Februar 2012, beantragte die Müller Brot GmbH mit Sitz in Neufahrn die Insolvenz als Folge eines sich über drei Jahre ziehenden hygienischen Mangelzustandes der Betriebsstätte. Die hygienischen Abweichungen innerhalb des Betriebes waren zur damaligen Zeit als so gravierend einzustufen, dass die Staatsanwaltschaft Landshut wegen des Inverkehrbringens von nicht für den Verzehr durch Menschen geeigneten Lebensmitteln ermittelte und die Produktion am 30. Januar 2012 gestoppt werden musste (Meyer 2015). Der damit geborene „Müller-Brot-Skandal“ konnte damals als Weckruf für die gesamte Branche verstanden werden. Für die, die schon immer Wert auf eine gute betriebliche Hygiene gelegt hatten, war es eine Bestätigung, dass dieses Konzept unabdingbar für die betriebliche Zukunft war. Für die anderen, die sich in unterschiedlichem Ausmaß in einer bisweilen hygienischen Grauzone bewegten („Am Ende wird es sowieso gebacken“), konnte die Schließung eines Betriebes der Größe wie Müller mit ca. 1.200 Mitarbeitern, 240 Filialen und einem Umsatz von ca. 120 Mio. EUR als Fingerzeig verstanden werden, dass Hygiene kein „Kann“, sondern ein „Muss“ ist. So hatte man – zumindest bis zum 28.06.2017, bis zur Veröffentlichung des Foodwatch Reports zu Hygienemängeln in Großbäckereien –
den Eindruck, dass sich einiges zum Positiven gewendet hatte. In diesem durch Foodwatch zusammengetragenen Report wurden hygienische Missstände in bayerischen Bäckereien aus den Jahren 2013 bis 2016 zusammengetragen und warfen abermals kein gutes Licht auf die produzierenden Backwarenbetriebe (Foodwatch e.V. 2017).
„Eigenverantwortliche Sicherstellung der Betriebshygiene“
Ob dieser Report allerdings ein zu 100 % zutreffendes Bild der Branche abgibt, steht auf einem anderen Blatt. Sicher ist seit dem Skandal in Neufahrn ein wahrer Ruck durch die Branche gegangen, der insbesondere bei großen und mittelständischen Unternehmen zu einer gesteigerten Anforderung hinsichtlich der Betriebshygiene geführt hat. Dies spiegelt sich beispielsweise im Hygienic Design von Maschinen wider, welches seitens der Maschinenbauer ständig verbessert und seit 2013 durch eine „Subgroup Bakery Equipment“ der EHEDG (European Hygienic Engineering & Design Group) in Form eines Leitfadens zusammengefasst wird (Hauser 2013). Oder der nochmalige Bedeutungsgewinn von Hygiene-Standards wie z. B. dem IFS (International Featured Standard) Food, welcher Anwendern aus dem Lebensmittelbereich hilft, Vorgaben in Bezug auf Lebensmittel- bzw. Produktsicherheit und Qualität einzuhalten und daher von vielen Einzel- oder Großhandelsunternehmen von den produzierenden Betrieben gefordert wird. Ein weiterer sehr guter Ansatz, welcher u. a. auch von handwerklich bzw. mittelständisch strukturierten Bäckereien umgesetzt werden kann, ist die Leitlinie „Hygiene im Backbetrieb“, welche durch den Verband Deutscher Großbäckereien herausgegeben wird und in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung e.V. und dem Detmolder Institut für Getreide- und Fettanalytik GmbH erarbeitet wurde (Verband Deutscher Großbäckereien e.V. 2010). Diese Leitlinie umfasst eine Vielzahl an Dokumenten, Checklisten und Verweisen auf Gesetzestexte, welche allesamt zu einer eigenverantwortlichen Sicherstellung der Lebensmittelhygiene in Bäckereien beitragen sollen und neben den für den Kunden sichtbaren Endprodukteigenschaften wie Aussehen und Geschmack den essentiellen Rahmen für eine hohe Produktqualität gewährleisten.
» Hygiene ist kein „Kann“, sondern ein „Muss“ «
Festzuhalten bleibt jedoch, dass aus verschiedenen Gründen die stetigen Verbesserungen oft bei der Gruppe der (lokalen) Kleinsterzeuger nicht immer ankommen. Hier sind neben fehlender Eigeninitiative bzw. einer bisweilen gewissen Betriebsblindheit vor allem folgende Gründe zu nennen: (1) Stetige Investitionen in Maschinen mit einem verbesserten Hygienic Design überschreiten in der Regel das niedrige Jahresbudget kleinerer und den lokalen Markt bedienenden Produzenten. (2) Dies gilt ebenso für Anpassungen der baulichen Situation traditionsreicher Bäckereien, welche sehr oft von den Empfehlungen aktueller Standards abweichen. (3) Weiterhin ist meist aufgrund der geringen Betriebsgröße die Verhältnismäßigkeit von Kosten und Aufwand für ein Zertifizierungsverfahren nach IFS nicht gegeben und lässt sich daher nur eingeschränkt auf die Prozessstrukturen von Kleinsterzeugern anwenden. Durch Einführung des IFS Global Market Standard wurde zwar eine Version geschaffen, welche sich an kleine und/oder weniger entwickelte Unternehmen bei der Ausbildung ihrer Lebensmittelsicherheitssysteme richtet, jedoch werden auch hier nur in geringem Maße branchenspezifische Frage- bzw. Problemstellungen aufgegriffen. Pointiert gesagt: Hier fehlt es an einem Maßanzug!
Ein geeigneter Standard für lokale Kleinsterzeuger
Auf Basis der eingeschränkten Anwendbarkeit der beschriebenen Möglichkeiten und praxisnaher Erfahrungswerte wurde in einer Kooperation zwischen der EDEKA Handelsgesellschaft Südbayern mbH und dem Weihenstephaner Institut für Getreideforschung ein Hygienestandard entwickelt, welcher sich in erster Linie an lokale Handwerksbäckereien richtet, die über eine Produktionsstätte und ein lokales Filialnetz verfügen. Die Entwicklung des gemeinsamen Leitfadens, welcher entsprechend der europäischen Lebensmittelhygieneverordnung (VO (EG) 852/2004) bäckereispezifische Fragestellungen zum Thema Betriebs-, Personal-, Produktions- sowie Produkthygiene aufgreift, ist eine Folge u. a. der beschriebenen Komplexität anderer Standards, welche durch die ca. 2.540 (Bäckerhandwerk 2017) Handwerksbäcker in bspw. Bayern nur eingeschränkt bzw. gar nicht umgesetzt werden können. Im Detail gliedert sich der Leitfaden bzw. der Standard in insgesamt 17 Beurteilungsklassen, welche aus bis zu 23 Unterpunkten bestehen. Im Fokus stehen alle mit dem Produktschutz in Verbindung stehenden Kontrollpunkte wie z. B. die Personalhygiene, der hygienisch einwandfreie Zustand von Holzregalen bzw. Weidekörbchen oder der Umgang mit Rework bzw. Restbrot. Darüber hinaus berücksichtigt der Standard das Schädlings-, Fremdkörper-, Allergen- und Abfallmanagement sowie die Dokumentation von Reinigungs-/Desinfektionsplänen, die Einhaltung und das Vorhandensein eines für den Betrieb geeigneten Eigenkontrollsystems. Die hinsichtlich Lebensmittelsicherheit und -hygiene essentiellen Kontrollpunkte werden in Form eines Ampelsystems bewertet und am Ende zu einem betrieblichen Gesamtfazit zusammengefasst. Ziel des Zertifizierungssystems ist letztendlich eine kollektive Erarbeitung, Verbesserung und langfristige Sicherstellung der Betriebshygiene lokaler Kleinsterzeuger.
Einhaltung einer grundlegenden Betriebs- und Produkthygiene durch den WIG-EDEKA-Standard
Die Durchführung der Hygieneaudits erfolgt durch das Weihenstephaner Institut für Getreideforschung (WIG) und lokale Kooperationspartner des WIG. In einem jährlichen Turnus werden aktuell noch ausschließlich Lieferanten der EDEKA Handelsgesellschaft Südbayern mbH auditiert. Auch der Landes-Innungsverband für das bayerische Bäckerhandwerk sieht in dem Konzept ein geeignetes Hilfsmittel zur Steigerung des Hygienebewusstseins mit dem letztendlichen Ziel der Erreichung eines höheren Hygienestandards. Er begrüßt insbesondere, dass das Konzept an den praktischen Gegebenheiten handwerklicher Betriebe ausgerichtet ist, was sich positiv auf die Akzeptanz auswirken dürfte.
Die bisher durchgeführten Audits zeigen, dass die Unternehmen ihr Handwerk beherrschen und innovative Produkte mit einer guten Qualität produzieren und das Portfolio regionaler bzw. lokaler Märkte sinnvoll ergänzen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass in diversen Fällen kein nachhaltiges Eigenkontrollsystem vorliegt bzw. dieses nicht vollumfänglich von den Unternehmen umgesetzt wird. Weiterhin wird deutlich, dass gerade in sehr kleinen Betrieben rechtliche Neuerungen wie z. B. Vorgaben zum Allergenmanagement entsprechend der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) nicht getreu umgesetzt werden (können). In den meisten Fällen ist dies jedoch nicht als vorsätzlich zu bewerten, sondern vielmehr auf Unwissenheit oder einen Mangel an Erfahrung zurückzuführen. In diesem Kontext wird deutlich, dass das Anfang des Jahres 2017 gestartete Pilotprojekt des WIG und der EDEKA Handelsgesellschaft Südbayern mbH neben der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Produktqualität einen weiteren zusätzlichen, aufklärenden Nutzen verfolgt. Die im Dialog stattfindende Auditierung lokaler Kleinstbetriebe und deren Bewertung hinsichtlich hygienischer Rahmenbedingungen soll und kann zum Erhalt traditionsreicher handwerklicher Betriebe beitragen.
Autoren
Christoph Verheyen1, Christian Hörner2, Mario Jekle1, Rochus Wallau2, Thomas Becker1
1 Weihenstephaner Institut für Getreideforschung (WIG), Postfach 12 23, 85312 Freising
2 EDEKA Handelsgesellschaft Südbayern mbH, Qualitätsmanagement, 85080 Gaimersheim, Deutschland
Quellen
+ Bäckerhandwerk, L.-I. f. d. b. (2017). „Aktuelle Zahlen des bayerischen Bäckerhandwerks.“ Abgerufen 28.11.2017, 2017.
+ Foodwatch e.V. (2017). „foodwatch-Report deckt schwere Hygienemängel in Großbäckereien auf – Verbraucher wurden nicht informiert – foodwatch fordert: Bundesländer müssen Kontrollergebnisse veröffentlichen.“ Abgerufen 28.11.2017, 2017.
+ Verband Deutscher Großbäckereien e.V. (2010) Leitlinie – Hygiene im Backbetrieb. 2017.
+ Hauser, G. (2013). „Hygienic Design für Bäckerei-Technik.“ brot+backwaren 5: 38-39.
+ Meyer, C. (2015). „Müller-Brot: So geht es dem Unternehmen heute.“ Abgerufen 28.11.2017, 2017.