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b+b-2019-02-Hört die Moral beim Geldbeutel auf?

Bio ist King. Könnte man meinen, wenn man die wachsende Vielfalt von Bioartikeln im Lebensmitteleinzelhandel betrachtet. Dazu gehören auch Biobackwaren. Eine ganz neue Studie scheint allerdings diesem Eindruck zu widersprechen.

Es ist eine Binsenwahrheit, dass Qualität ihren Preis hat, aber eben am höheren Preis scheint die Kaufentscheidung in den meisten Fällen zu scheitern. Herrscht bei uns in Wahrheit die Geiz-ist-geil-Mentalität gerade und vor allem in Bezug auf Lebensmittel und vor allem Backwaren? Der zweite Teil der Serie über Nachhaltigkeit geht dieser Frage nach und liefert eine Erklärung für die aktuelle Beobachtung.

Was die Hochschule Osnabrück herausgefunden hat

In einem Forschungsprojekt an der Hochschule Osnabrück unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Enneking wurde die Kaufbereitschaft von Tierwohlprodukten in Supermärkten getestet. Die Forscher stellten fest, dass nur wenige Verbraucher bereit waren, einen Aufpreis für Tierwohl beim Fleisch zu zahlen, und dass reale Kaufentscheidungen von den Angaben der Befragten über ihre Bereitschaft, mehr Geld für nach höheren Tierwohlstandards produziertes Fleisch auszugeben, deutlich abwichen. Diese Ergebnisse dieser Studie sind auch für den Verkauf nachhaltig hergestellter Backwaren relevant.

Für die Studie wurde zwischen dem 15. Oktober und 15. Dezember 2018 das tatsächliche Kaufverhalten von Verbrauchern in 18 Supermärkten und NP Discount-Märkten der EDEKA-
Regionalgesellschaft Minden-Hannover untersucht. Wichtiges Kernergebnis war u. a., dass etwa 16 % der Einzelhandelskunden bereit sind, einen Tierwohlartikel (in Form verpackter Ware) anstatt konventionell erzeugter Ware zu kaufen. Tierwohl-Siegel hatten dabei nicht durchgängig einen positiven Einfluss auf die Kaufbereitschaft. Zudem wurden lediglich Preisaufschläge von etwa 30 Cent für einen mittelpreisigen Schweinefleisch-Artikel akzeptiert, der nach Tierwohl-Standards produziert wurde. Das entspricht einer Preiserhöhung von 9 bis 13 % je nach Basispreis des betrachteten Produktes. Bei merklich höheren Preisaufschlägen (zum Beispiel 26 % für Gulasch) sowie bei kleineren Preiserhöhungen gingen die Absätze deutlich zurück.

Aus ihrer Studie folgern die Forscher, dass die beobachtete Realität beim tatsächlichen Kaufverhalten differenzierter und komplexer ist, als man zunächst vermutet. Die grundsätzliche Bereitschaft, im Test mehr Geld für solches Fleisch auszugeben, ist nur bedingt ausgeprägt. Pauschale Aussagen zu Kaufbereitschaften seien daher kritisch zu betrachten.

Der Attitude-Behaviour-Gap

Es sieht hier so aus, als ob die Moral beim Geldbeutel aufhörte. Ein anderes Beispiel: Während 82 % der Deutschen der Meinung sind, dass der Abstand zwischen Arm und Reich zu groß ist, spenden 41 % nichts für soziale Zwecke und nur 6 % geben überhaupt mehr als 300 EUR jährlich dafür aus. Ähnlich verhält es sich offenbar auch mit einem Premium für nachhaltig produzierte Ware. Es besteht also eine Kluft zwischen der allgemeinen Einstellung zum Kauf nachhaltiger Produkte (sofern überhaupt vorhanden) und dem entsprechenden Verhalten im Laden. Dieses Phänomen ist an sich bekannt und wird von Psychologen als „Attitude-Behaviour-Gap“ bezeichnet.

Den Abstand zwischen Einstellung und Verhalten versucht man auf unterschiedliche Art zu erklären. Zunächst ist festzustellen, dass Kaufverhalten aus einem komplexen Zusammenspiel zwischen reflexiven und impulsiven Mechanismen besteht, also in unserem Fall etwa das Nachdenken über den Kauf von Biobrot und der Impuls, einen Laib Brot zu kaufen. Diese beiden Mechanismen unterliegen jedoch unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten. Welches der beiden Systeme bei einem tatsächlichen Kaufvorgang überwiegt, hängt wiederum von Eigenschaften der Person und den Umständen der Kaufsituation ab. Wenn also ein Kunde, der für das Thema Nachhaltigkeit allgemein ansprechbar ist, sich in einer Situation großer Eile und infolgedessen mangelnden Interesses an einer bewussten Brotauswahl befindet, wird er eher auf eine ihm bekannte Sorte zurückgreifen, die seine Vorstellungen von gut und preiswert in der Vergangenheit erfüllt hat.

Ein anderer Erklärungsansatz besteht für unseren Fall darin, dass die Wahrscheinlichkeit, Biobrot zu kaufen, von dem gerade vorherrschenden Niveau der Selbstkontrolle der Person abhängt, die beispielsweise dadurch geschwächt sein kann, dass sie lange Zeit Biolebensmittel gekauft hat, jetzt einmal etwas anderes haben will und sich kurzerhand entscheidet, gar nicht erst in die Bäckerei zu gehen, sondern eine Currywurst am Stand nebenan zu kaufen.

Empfehlungen für nachhaltig produzierende Bäckereien

Diese Verhaltensmuster sind allgemein nachvollziehbar, aber zugleich so komplex, dass es schwierig ist, eindeutige kausale Beziehungen auszumachen und konkrete Handlungsempfehlungen für die Überwindung der Kluft zwischen Einstellung und Verhalten auszusprechen. Grundsätzlich sind manche Kunden durchaus bereit, für nachhaltig produzierte Ware mehr auszugeben, aber es gibt wichtige Einschränkungen, die zu berücksichtigen sind. Sie lassen sich in Form von drei Faustregeln zusammenfassen.

a) Nachhaltigkeit stellt „nur“ einen Zusatznutzen dar
Bei der Entscheidung für den Kauf von Backwaren orientieren sich Kunden in erster Linie an Qualitätsmerkmalen und am Preis. Wenn sie zusätzlich Nachhaltigkeit wertschätzen (und nur dann), stellt dies einen Zusatznutzen dar, und es besteht eine grundsätzliche Bereitschaft, dafür einen Premiumpreis zu entrichten. Das heißt umgekehrt, dass Produkte von Unternehmen, die stark mit Umweltthemen und Bioherstellung werben und dafür bekannt sind, sich nicht schon deshalb besser verkaufen. Sie müssen erst durch die Qualität der Ware überzeugen und das Preis-Leistungs-Verhältnis muss vom Kunden als stimmig empfunden werden.

b) Die richtige Kundensegmentierung ist wichtig
Wie gerade beschrieben, kommt es entscheidend auf die Einstellungen von Kunden zu Nachhaltigkeit an. Für welche Kunden ist sie von Bedeutung? Die Segmentierung von Kunden nach ihren Einstellungen zu Nachhaltigkeit ist nicht einfach, aber eine gewisse Einsicht liefert eine Studie der GfK Nürnberg, die auf der ANUGA 2011 vorgestellt wurde. Die GfK wollte wissen, wie Verbraucher die Qualität von Lebensmitteln im Detail beschreiben. Um diese Frage zu beantworten, wurden 30.000 Haushalte im In- und Ausland befragt. Fünf Verbrauchertypen wurden auf Basis der erhobenen Daten gebildet. Allen Verbrauchergruppen waren der Geschmack und die Lebensmittelsicherheit sehr wichtig. Bei der Beurteilung von Qualität und Preis gab es jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und zwischen den einzelnen Gruppen. Die Deutschen sind, verglichen mit den anderen großen Ländern Europas, am wenigsten qualitäts- und am ehesten preisorientiert. Der Qualitätsbegriff wurde in acht Dimensionen aufgeschlüsselt, wovon zwei davon das geläufige Konzept von Nachhaltigkeit umfassten, nämlich die politisch-ethische Qualität sowie die Natur-, Umwelt- und Tierschutzqualität. Die politisch-ethische Qualität betraf Probleme in der Lieferkette, von den Anbau- und Produktionsbedingungen bis hin zur Förderung von Produkten aus der eigenen Region. Die andere Dimension von Natur und Umwelt betraf ressourcenschonende, energie-
optimierte und emissionsarme Produktionsprozesse.
Kennzeichnend für diesen Verbrauchertyp der Ethisch- und Nachhaltigkeitsorientierten war die Aussage: „Für mich ist Qualität, wenn beim Produktionsprozess der Lebensmittel die Belange der Erzeuger, der Natur und der Tiere beachtet werden. Produkte aus der Region, die auf traditionelle Weise hergestellt werden, sind daher hochwertiger als andere.“ Diese Gruppe legte den größten Wert auf Herkunft und Tradition, ethische Grundsätze bei der Produktion sowie Gesundheit und Sicherheit (in just dieser Reihenfolge). Weniger wichtig im Vergleich zu den anderen Verbrauchertypen waren Themen wie Akzeptanz im sozialen Umfeld, Marke und Verpackung sowie Convenience.
Interessant war die Aussage, wie sich die Gruppe der Ethisch- und Nachhaltigkeitsorientierten sozial und altersmäßig zusammensetzt. Es handelt sich dabei um qualifizierte Angestellte, gehobene oder höhere Beamte und Freiberufler, eher älter als 50, wobei Kinder seltener (noch) im Haushalt leben. Sie gehören also nicht zur breiten Masse und dementsprechend ist der mit dieser Gruppe erzielte Umsatz relativ zu den anderen Gruppen (z. B. der preisbewussten Familienmenschen oder der gesundheitsbewussten Familienmenschen) niedriger, aber der durchschnittliche Kundenbon dürfte dafür höher liegen.

c) Klare Kommunikation ist entscheidend
Ein ganz anderes Modell betrachtet die Kombination des ethischen Bewusstseins mit der ethischen Kaufabsicht und erhält vier ganz verschiedene Kundentypen. Dieses Modell zeigt die folgende Abbildung.

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Ethisch-fürsorglich eingestellte Menschen sind wohlinformiert, haben ein hohes ethisches Bewusstsein und entwickeln am ehesten eine Kaufabsicht in Bezug auf ethische Angebote. Menschen, die in Bezug auf ein ethisches Produktversprechen unsicher oder verwirrt sind, brauchen noch Informationen, die sie überzeugen. Dann können sie ebenfalls eine Kaufabsicht entwickeln. Zyniker und Desinteressierte sind in hohem Maße davon überzeugt, dass die ethische Unternehmens- oder Produktdifferenzierung nicht sinnvoll ist und sie lassen sich schwer vom Gegenteil überzeugen. Die als „ahnungslos“ bezeichneten Menschen leben in Bezug auf ethische Überlegungen in einer eigenen Welt und sind für Argumente in Bezug auf ethische Produkteigenschaften kaum zugänglich.

Um effektiv zu sein, muss die Kommunikation jede Verwirrung oder Verunsicherung der Kunden vermeiden. Dabei sollten die funktionalen Eigenschaften wie Preis, Qualität und Wert klar in den Vordergrund gerückt werden, denn wie bereits erwähnt haben ethische Eigenschaften den Charakter eines Zusatznutzens, allerdings erst dann, wenn Kunden davon überzeugt werden können, dass sie durch den Kauf einen nachvollziehbaren persönlichen sozialen Betrag leisten können, sei dieser auch noch so klein.

Autor:

Prof. Dr. James Bruton lehrt Wirtschafts- und Unternehmensethik mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und CSR an der Europa-Universität Flensburg sowie an der Nordakademie Graduate School in Hamburg. Er ist Autor des Buches „Corporate Social Responsibility und wirtschaftliches Handeln. Konzepte, Maßnahmen, Kommunikation“. Er ist außerdem autorisierter INQA-Berater. Sie erreichen ihn unter james.bruton@online.de.

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