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b+b-2018-04-Diskussionsrunde: Stand und Zukunft der Backwarenproduktion

Keil: Was war in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren für Sie die wichtigste Veränderung in der Bäckereibranche, was hat den Alltag in den Produktionsbetrieben am deutlichsten verändert?
Lötz: Die Anlagen sind größer und komplexer geworden. Man hätte sich vor 20 Jahren ganz sicher nicht vorstellen können, dass man mit so wenig Personal so hohe Leistungen fahren kann wie heute. Geradezu revolutionär war natürlich das Fertigbacken von halbgebackener Ware in den Backstationen des Handels, möglich gemacht durch die Tiefkühltechnik. Es sind ganze Werke nur für diesen Markt gebaut worden. Den Umgang mit dieser halbgebackenen Ware, den mussten wir als Hersteller allerdings genauso lernen wie der Handel. Gestartet ist man mit fünf Produkten und perspektivisch dachte man an zehn. Heute sind es gefühlte vierhundert. Bei den Frischbackwaren gab es deutliche Entwicklungen beim Thema Haltbarmachen. Früher war Pasteurisierung die gängige Methode. Inzwischen hat sich die Reinraumtechnik ganz wesentlich verbessert. Schließlich hat die Hygiene in der gesamten Branche einen höheren Stellenwert bekommen.

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Hildegard M. Keil, Herausgeberin, f2m food multimedia gmbh

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Bastian Borchfeld, Chefredakteur, f2m food multimedia gmbh

Sehnert: Vor zwanzig Jahren waren Linien gefragt, die relativ klein und flexibel waren, dann wurden die Linien immer größer, egal ob im Plunderbereich oder bei Brot und Brötchen, bis hin zu Anlagen mit einer Stundenleistung von vier bis sechs Tonnen. Das ist mittlerweile wieder rückläufig. Nachgefragt werden individuelle Produkte, keine Massenware. Entsprechend wichtig wird gerade die Flexibilität von Anlagen. Das zweite Thema ist die Automatisierungstechnik. Mittlerweile ist es selbstverständlich, dass vom ERP- oder Warenwirtschaftssystem Produktionsaufträge nach Absatzdaten generiert und selbst Lager und Logistik darüber gesteuert werden können. Auch wenn das noch nicht überall eingesetzt wird, dürfte das Thema in nächster Zeit „kriegsentscheidend“ werden.
Jekle: Für mich ist das gewachsene Bewusstsein für Hygiene die wichtigste Veränderung der jüngsten Vergangenheit. Als entscheidende Herausforderung für die Zukunft sehe ich die reale Digitalisierung, die wirkliche Vernetzung einzelner Anlagen miteinander, die sich daraus ergebende Generierung von Wissen. Das zieht hohe Anforderungen an die Technik und die IT nach sich. Auch die Wissenschaft muss weiter weg von der tausendfachen Standardanalyse und hin zu technischen Innovationen und diese dann gemeinsam im Maschinenbau implementieren.
Steinert: Die Entwicklung in der Steuerungstechnik gehört für mich mit zu den wichtigen Verbesserungen, die Anbindung an die ERP-Systeme, die Möglichkeiten zu analysieren, warum es einen Stillstand gegeben hat oder etwas nicht so produziert wurde, wie geplant etc. Aber nicht nur die Technik der Linien hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren sehr deutlich geändert, auch das Qualitäts- und Sicherheits-Management.
Conen: Vor zwanzig Jahren wäre es nicht denkbar gewesen, eine Linie ohne einen Bäcker zu betreiben. Inzwischen ist das auch mit fachfremdem Personal möglich. Heute sind die Mitarbeiter entscheidend, die mit dem PC und mit der Steuerung umgehen können, unabhängig von einer Ausbildung als Bäcker. Das Fachwissen müssen heute die mittleren Führungskräfte in die Steuerung und Programmierung einbringen.
Stollmeier: Ich hab das Glück, inzwischen 34 Jahre zurückblicken zu können und die für mich wohl wichtigste Entwicklung hat in der Produktsicherheit stattgefunden. Vor 34 Jahren gab es praktisch in keiner Bäckerei Laborkontrollen oder Metalldetektoren. Inzwischen sind beide Standard und wir reden heute über Röntgengeräte zur Fremdkörperkontrolle. Die zweite große Veränderung war auch in meinen Augen die Einführung der TK-Ware, mit der man anfangs in Konkurrenz zum klassischen Handwerksbäcker stand. Heute sind die Qualitätsansprüche deutlich höher. Dem kommt man vor allem mit veränderten Prozessen nach, mit Vor- und Sauerteigen, langen Teigführungen etc. Das Thema Industrie 4.0 existiert m.E. bereits im Bereich Silo, der Sauerteigbereitung und dem gesamten Rohstoffmanagement. Im Bereich der Aufarbeitung wird davon bislang nur geredet.
Schirmer: Das Auftauchen der Backshops hat die Produktion in der Industrie verändert. Wer heute Halbgebackenes anbietet, muss ein hohes Qualitätsniveau erreichen, damit nach dem Backen im Laden eine Qualität rauskommt, die jeden Vergleich zur frischen Backware standhält.
Stammen: Verändert hat sich das Tempo der Veränderungen. Dinge, die wir heute machen, sind vielleicht morgen noch gültig, aber übermorgen schon nicht mehr. Dabei geht es um Prozesse, aber auch um Produkte und um die Halbwertzeit von Wissen. Ein weiterer Punkt ist die Anforderung an Transparenz, die ich jeden Tag stärker spüre. Wir müssen auf der Prozessebene wissen, was wann wo läuft. Industrie 4.0 liefert dazu viele Datensätze, aber wie machen wir relevante Informationen daraus? In meiner Welt kann man zwischen Kosten- und Qualitätsführerschaft nicht wirklich trennen, die Kosten machen einen Teil der Qualität aus und umgekehrt. Deshalb ist es gut, die Kostentransparenz zu haben, um gepaart mit dem Wissen um die Qualitätsanforderungen explizit auf die Kundenanforderungen eingehen zu können. Kundenwunsch und offeriertes Produkt müssen in allen Punkten matchen.

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Keil: Sie alle haben bislang von den veränderten Anforderungen, die der Markt im weitesten Sinne an Sie stellt, gesprochen. Wie sah oder sieht es denn in der Technik und Technologie aus, gab es da keine bahnbrechenden Neuheiten?
Lötz: Wie gesagt, den Reinraum.
Schirmer: Auch die Laminiertechnik und Teigbandanlagen sind in dieser Zeit entstanden.
Stollmeier: Eine Revolution ist derzeit sicherlich die Vakuumkühlung. Als Batch-Kühler steht sie in einigen Bäckereien, industriell kommt sie jetzt verstärkt. Ich habe mir schon vor zwei Jahren eine kontinuierliche Anlage für Frischbrot in Spanien anschauen können. Das war sehr interessant.

Keil: Wie sieht es mit der kontinuierlichen Knetung aus?
Stollmeier: Kontikneter sind selten gut für die Qualität …
Lötz: Veto – es kommt darauf an, welche Anforderungen ich für welches Produkt habe. Bei einigen Produkten kommt es auf eine kontinuierliche Teigzuführung an. Da sind Batch-
Kneter eher von Nachteil und Kontinuität der Teigzuführung qualitativ sehr viel höher zu bewerten.
Schirmer: Die Angst vor der Kontiknetung rührt auch eher aus der Angst, dadurch eingeschränkt zu sein. Schnelle und flexible Produktwechsel sind erschwert und benötigen ein hohes Maß an Fachkenntnissen.
Sehnert: Für die kontinuierliche Herstellung von Brezeln mit einem gewissen Gewicht gibt es nichts Besseres.
Schirmer: Gab es denn überhaupt einen namhaften Kneterhersteller, der aktiv an der Forschung und Entwicklung der Kontikneter gearbeitet hat? Die meisten Batch-Kneter-Produzenten zeigten kein großes Interesse daran, einer flexiblen Kontiknetung Marktreife zu verleihen.
Lötz: Die Treiber der Innovation sind nicht nur die Maschinenbauer, sondern auch wir als Anwender. Es sind unsere Forderungen nach gezielten Lösungen, die sie auf den Weg bringen. Wobei wir natürlich auch Getriebene sind. Wenn unsere Kunden ein ganz bestimmtes Produkt mit besonderen Eigenschaften wollen, dann müssen wir die Anlage so konzipieren und die Prozesse so aufstellen, dass entsprechende Produkte nach Kundenwunsch entstehen.
Stollmeier: Wir passen heute keinen Teig mehr an die Anlage an. Qualitätskompromisse werden heute nicht mehr gemacht. Übrigens auch nicht beim Energieverbrauch.

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Borchfeld: Energieeffizienz als Kriterium bei der Investition ist ein Thema, wie sieht es mit einem umfassenden Energiekonzept für die Anlagen bzw. die Produktionsstätten aus?
Sehnert: Energiekonzepte sind ein Thema, schon allein aufgrund der Energiepreisentwicklung in den vergangenen zwanzig Jahren. Im TK-Bereich ist auch die Energierückgewinnung heute Standard.
Steinert: Wärmetauscher gibt es heute eigentlich überall und jeder Ofenbauer bietet Ihnen gleich eine Wärmerückgewinnungsanlage mit an. So wie man ein IFS-Audit macht, macht man heute auch ein Energieaudit. Das hat natürlich auch finanzielle Gründe.
Conen: Wir entwickeln dann in dem Fall für den Ofenbauer, weil wir feststellen, dass dessen Konzept noch gar nicht ausgereift ist. Angeboten wird es, weil die Notwendigkeit da ist, nicht weil die Konzepte funktionieren.

Borchfeld: Gilt das querbeet und wonach suchen Sie sich den Lieferanten aus?
Lötz: Wir suchen Lieferanten nach den Anforderungen der Produkte aus, die wir herstellen wollen. Key-Lieferanten, die alles anbieten, halte ich nicht für die beste Wahl, weil kein Lieferant in allen Bereichen stark sein kann.
Steinert: Die Anbieter laden inzwischen regelmäßig die Praktiker ein und diskutieren, was man an den einzelnen Anlagen verbessern kann. Die Zulieferer holen sich das Wissen häufig erst von den Praktikern.
Stollmeier: Ein Anlagenbauer hat nicht die Möglichkeit, eine Maschine sieben Tage am Stück laufen zu lassen. Für solche Testphasen braucht er die Praxis in den Betrieben. Nur dann sehen Sie die Stellen, an denen noch verfeinert werden muss, um wirklich dahin zu kommen, wo man hin will. Dazu kommt, dass die Leute Maschinenbauer sind, die häufig vergessen, dass man eine Anlage auch mal reinigen muss.
Sehnert: Es geht heute darum, die richtigen Maschinen zu entwickeln, die das Produkt so herstellen können, wie der Kunde es haben will. Natürlich kann ich mit nahezu jedem Kneter einen Teig machen, aber vielleicht nicht den, den ich haben will. Da gibt es manchmal schon sehr massive Fehleinschätzungen. Es ist ein Qualitätsmerkmal, wenn ein Maschinenbauer das überhaupt einschätzen kann.
Lötz: Ich glaube nicht, dass die Maschinenhersteller den Umgang mit der Anlage so wahrnehmen, wie wir sie wahrnehmen. Wir, die wir tagtäglich mit den Anlagen umgehen müssen, haben da einen anderen Blick und ganz andere Anforderungen. Das ist auch der Grund, warum wir immer häufiger Anlagenbauer aus anderen Bereichen dazuholen, die nicht unbedingt auf Bäckereien spezialisiert sind, aber auf bestimmte Aufgaben. Wir tun das, weil wir die beste Lösung suchen.
Conen: Großanlagen sind heute Sonderanlagenbau. Niemand passt heute sein Produkt an die Linie an. Wir müssen vorgeben. Großfilialisten haben die Herausforderung,
Produktvielfalt, Frische und Qualitätsanspruch taggenau in einem großen Radius zu verbreiten. Die Folgen sind immer frühere Anfangszeiten, was im Gegensatz zur Frische steht. Wir haben es geschafft, über Tage die gleiche Qualität zu halten. Da muss aber der Anlagenbauer auch mitmachen und deshalb bringen wir ihnen bei jeder Anlage bei, was sie besser machen können.
Stollmeier: Das ist ein gemeinsamer Prozess. Die entwickeln was und wir testen es. Man braucht die Langzeittests, um sagen zu können, welche Idee gut war oder nicht.

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Keil: Gibt es in Ihren Häusern Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die sich damit beschäftigen?
Lötz: Ich würde es nicht F&E nennen, wie es Konzerne gerne bezeichnen. Für mich ist es Produktentwicklung und nicht Forschungsabteilung. Es kommt entweder eine Anforderung eines Kunden, der ein bestimmtes Produkt haben will, oder wir haben eigene Ideen. Dann ist der normale Prozess, dass die Produktentwicklung und idealerweise auch eine eigene Projektabteilung eine entsprechende Anlage konzipiert und die Prozesstechnik definiert. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass man mit den Lieferanten Dinge abspricht und trotzdem kommt etwas ganz anderes heraus, als man besprochen hat. Meine Idealvorstellung ist es, ein Projekt zu begleiten, sich ständig mit dem Lieferanten auszutauschen, jede Zeichnung abzunehmen und am Ende die Anlage zu bekommen, die man haben wollte.
Sehnert: Es gibt Quereinsteiger, die sich für die Branche interessieren und neue Ideen mitbringen. Da kommt beispielsweise jemand aus der Fleischindustrie, der einen ganz anderen Teigteiler konzipiert als die bisherigen Kopfmaschinen. Dann probiert man das aus und stellt vielleicht fest, dass der hygienisch sehr viel besser ist und sehr viel genauer teilt. Der kostet etwas mehr, aber dafür fällt er auch nicht dreimal im Jahr auseinander. Es gibt auch branchenübergreifend neue Entwicklungen, die gut sind. Es gibt Lieferanten, die ihre Konstrukteure und Entwickler für mehrere Wochen in die Betriebe schicken, damit sie einen Blick dafür kriegen, was gebraucht wird. Wer am Reißbrett oder Computer sitzt, weiß nicht, wie gereinigt wird, kennt keinen Stresstest und kann sich auch nicht erklären, warum die Maschinen kaputt gehen. Natürlich gibt es auch die schmerzhafte Erfahrung, dass man etwas entwickelt haben möchte und es zwanzig, dreißig Anpassungen braucht, bis die Anlage läuft.
Schirmer: Die Bäckereibranche hat den Nachteil, dass im Maschinenbau kaum Fachkräfte aus der Bäckereitechnologie stammen. Mehrheitlich handelt es sich um reine Maschinenbauingenieure. Anders ist es beispielsweise bei den Technologieherstellern für Brauerei- und Müllereitechnologie, dort gibt es ausgebildete Ingenieure, die sowohl das Produkt als auch die Technologie verstehen. Dies hat primär auch mit fehlenden oder veralteten Ausbildungsmöglichkeiten zu tun.
Stollmeier: Die sehen die Anlagen aus dem Blickwinkel des Technikers. Die Anlagen funktionieren auch, aber es gibt jede Menge Verbesserungspotenzial, bis sie das leisten, was wir wollen.
Steinert: Den Maschinenbauern fehlt dazu einfach die Praxis oder die Beobachtung in der Praxis.
Stammen: Was hält denn die Anlagenhersteller heute davon ab, den Kunden zu fragen, was er will? Vielleicht ist es das Selbstverständnis der Lieferanten. Wenn sie sich als Sondermaschinenbauer verstehen, gehen sie zum Kunden und entwickeln mit ihm zusammen die Anlagen nach seinen Wünschen. Wenn sie aber die Standardisierungs-Sau durchs Dorf treiben, wollen sie natürlich möglichst viel als standardisiertes Modul ausgestalten mit dem Ziel, die Entwicklungskosten in der Kalkulation niedrig zu halten.
Stollmeier: Auch die Maschinenbauer sind Getriebene. Wenn die sich als Sondermaschinenbauer verstehen würden, könnte niemand mehr die Maschinen bezahlen. Je besser wir vorher spezifizieren, was wir produzieren wollen, desto weniger Probleme haben wir nachher bei der Inbetriebnahme.

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Borchfeld: Wie sieht es denn mit der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft aus, sind die Beziehungen nah genug?
Lötz: Dort, wo wie an der TUM in Freising an Lebensmittel- und Bäckereitechnologie geforscht wird, sicher ja. Aber man lernt am meisten, wenn man mal aus der Branche rausgeht und schaut, wie es die andern machen. Vielfach sind Lösungen da, aber weder der Lieferant noch wir kennen die Lösung.
Sehnert: Es gibt Branchen, die sind bei manchen Themen deutlich weiter als wir und da kann und sollte man sich was abgucken. Es macht Sinn, sich mit Forschung und Entwicklung auseinanderzusetzen und auch an anderen Forschungsprojekten, die nicht auf Lebensmittel spezialisiert sind, mitzuarbeiten. Es ist wichtig, sich für bestimmte Projekte Meinungen und Unterstützung von außen ins Unternehmen zu holen.
Jekle: Es ist in den vergangenen Jahren in der wissenschaftlichen Begleitung der Bäckerei einiges umgebrochen. Wir als Technische Universität München haben unsere Kapazitäten ausbauen können, aber in der Summe ist die fachspezifische Wissenschaft in Deutschland geschrumpft.
Stollmeier: Anders als in der Automobilbranche hat es in der Bäckereibranche nie wirklich einen organisierten, branchenweiten Austausch über Forschung und Neuentwicklungen gegeben. Es gibt umgekehrt auch nicht wirklich offene Türen für die Wissenschaftler, die hinterher darüber ja auch publizieren.
Jekle: Das ist schade. Jedes Forschungsprojekt, das läuft, sorgt ja nicht nur dafür, dass Sie die Ergebnisse erfolgreich nutzen können und wir davon leben, sondern auch dafür, dass der Nachwuchs ausgebildet wird, der sich für die bäckereispezifische Problemstellung interessiert und weiß, worum es geht. Wir an der TUM haben uns deshalb mit dem Weihenstephaner Institut für Getreideforschung (WIG) für diesen Austausch eigene Strukturen aufgebaut, mit einem Forschungsbeirat und einer Tagung, sodass wir im Kontakt mit der Branche sind. Wir gehen mit unseren Ideen auch auf die Maschinenbauer zu und haben diverse Kooperationen in diesem Bereich. Oft wird allerdings auch gewünscht, dass wir fünf Kunden mitbringen, die das anschließend kaufen. Wir können die Vorteile von Innovationen zwar in der Branche verbreiten, die Anwendung muss aber natürlich aus der Branche selbst kommen.
Schirmer: Die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen sowie der offene Umgang mit kritischen Verbraucheransichten helfen auch unserem Standing gegenüber den Kontrollbehörden und dem Gesetzgeber.

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Keil: Kommen wir zu dem Thema Leistung, Effizienz, Kostenführerschaft – lässt sich dieser Begriff heute noch auf einzelne Prozessschritte herunterbrechen oder muss man dazu die komplette Supply Chain in den Blick nehmen?
Stammen: Für mich ist das Produkt heute nicht mehr nur die Summe der Bestandteile. Dazu gehört auch der Service vom Auftragsabwicklungsprozess bis hin zur Fakturierung. Zum Produkt in diesem Sinne gehört auch die Gestaltung der Kundenkontakte, der Umgang mit den Menschen. Leistung, Effizienz und Kostenführerschaft lassen sich meines Erachtens immer nur in der Gesamtheit betrachten und verbessern.
Sehnert: Die Backbranche ist immer internationaler geworden und dadurch ist zwangsläufig die Logistik ein zunehmend wichtiger Punkt in dieser Betrachtung. Vielleicht kann ich irgendwo kostengünstiger herstellen, aber dort sind vielleicht die Rohstoffkosten oder die Rohstoffbeschaffung anders. Es zählt nur die ganzheitliche Betrachtung.
Lötz: Nehmen Sie das Beispiel der Ganzbrote mit einem Gewicht von 1.000 g. Da liegen drei bis vier Stück in der Transportkiste. Da kann es sich schon lohnen, eine Produktionsanlage zusätzlich aufzubauen, die weniger Logistikkosten verursacht, auch wenn man die Kapazität selber nicht unbedingt benötigt. Die Betrachtung der kompletten Supply Chain von den Rohstoffen bis zur Ware beim Kunden ist heute unumgänglich für die Entscheidungen.
Stollmeier: Die Problematik ist, dass wir keine langfristigen Lieferverträge haben, auf deren Basis wir in eine neue Linie investieren. Eine Linie mit einer großen Leistung muss ausgelastet sein, um sich zu rechnen. Die Abhängigkeit von einem Kunden ist heute ein wichtiger Faktor bei der Frage nach der Leistung einer Investition. Andererseits verursacht eine Tonne Teig mehr keine enormen Kosten.
Lötz: Auch die Anlagentechnik ist wichtig. Ab einer gewissen Größe braucht man beispielsweise eine zusätzliche Verpackungsmaschine. Eine höhere Leistung kann am Ende mehr Betreiberkosten verursachen, als einem lieb ist. Der gesamte Prozess von Bäckerei bis Verpackung muss beherrschbar bleiben.
Schirmer: Nicht zu vergessen sind die Kosten für einen ungeplanten Stillstand. Bei einer Vier-Tonnen-Linie ist das eine ganze Menge, was im Zweifelsfall entsorgt werden muss.

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Borchfeld: Wenn die Kunden so untreu sind, wäre es dann nicht empfehlenswerter, die Anlagen zu leasen oder vielleicht sogar nur vom Anlagenbauer zu leihen, also nur die Leisung zu kaufen?
Stollmeier: Leasing ist ein Finanzierungsinstrument.
Lötz: Anlagen von Maschinenbauern leihen oder Leistung kaufen geht aus meiner Sicht nicht, da ist am Ende immer die Frage, wer die Verantwortung übernimmt, wenn was passiert. An einer kompletten Linie sind bis zu zehn Anlagenbauer beteiligt, wer soll das Risiko tragen? Wie will man die Pflichten definieren? Vorstellbar ist das höchstens auf eng begrenzten Feldern, etwa Kälteleistung oder Kubikmeter Luft.
Stammen: Ein ähnliches Konzept verfolgt der Handel, wenn er Private-Label-Produkte ordert. Er macht die Lieferanten austauschbar.
Sehnert: Sobald man aus dem reinen standardisierten Produkt raus ist, bräuchte man außerdem Betreiberunternehmen, die das entsprechende Know-how mitbringen. Die sehe ich nicht.
Stammen: Welcher Vorteil soll dabei entstehen? Ein Kältefachmann kann vielleicht eine Kälteanlage besser und effizienter betreiben als ein Lebensmittelhersteller, aber das unternehmerische Risiko ist jedenfalls zu tragen und auch zu kalkulieren.
Sehnert: Es könnte um Risikominimierung gehen. Wir leben in einer Zeit der Finanzunternehmen, bei denen es nur noch um Bilanzen geht. Wenn ich einen festen Preis für ein Kilo Produkt anbieten kann, wäre das ein kalkulierbares Risiko.
Stammen: Es wird kalkulierbar, aber es entsteht noch kein Nutzen in der Gesamtbetrachtung. Der Investor schläft vielleicht ruhiger, aber das unternehmerische Risiko muss immer noch jemand tragen und er wird es sich bezahlen lassen. Das ist so ähnlich wie Bestandsverschiebungen zum Lieferanten, um das gebundene Kapital zu reduzieren. Auch beim Lieferanten entstehen natürlich Lagerkosten, aber nicht unbedingt ein zusätzlicher Nutzen im Gesamtprozess.
Conen: Warum gibt es im Bereich der Anlagen keine solchen Leasingfirmen? Anders als ein Auto, das nach zwei Jahren zurückkommt und perfekt gewartet ist, ist ein Ofen, den ich nach fünf Jahren zurückbekomme, in denen er 24 h am Tag gelaufen ist, sicherlich ein weniger gut kalkulierbares Risiko und ich habe nicht unbedingt den passenden Abnehmer dafür.
Keil: Andererseits gibt es derzeit einen sehr großen und florierenden Markt für Gebrauchtanlagen …
Steinert: Ich muss bei einem Investor erst einmal das Vertrauen in den Markt und unsere Erfolgschancen aufbauen. Da ist die Höhe des Investments durchaus mitentscheidend. Voraussetzung ist natürlich, dass die Linien für unseren Bedarf passen und gut gewartet sind. Auch das Argument der zusätzlichen Kapazität, um Logistikkosten zu sparen, kann für eine Gebrauchtanlage sprechen.
Schirmer: Leasing kennen wir vor allem aus der Automobilbranche. Dabei dient es primär, neue Modelle auf den Markt zu bringen und den Absatz von Neuwagen zu steigern. Die Maschinenbauer für die Bäckereibranche sind zurzeit alle stark ausgelastet. Sollte sich das wieder ändern, könnte Leasing durchaus eine Möglichkeit bieten, in den Markt zu dringen.

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Borchfeld: Wenn die Anlagen mitsamt der Steuerung immer komplexer werden, braucht die Branche dann nicht künftig Turn-Key-Anbieter, die die komplette Linie bauen?
Stollmeier: Das hängt davon ab, wie viel Know-how man im eigenen Haus hat. Turn Key heißt auch nur Risikoauslagerung und dafür zahlen Sie dann auch den entsprechenden Risikoaufschlag.
Jekle: In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden durch die Digitalisierung und neue technische Innovationen Maschinen ohnehin modular wechselbar und vernetzt sein. Dann gibt es weniger Gründe für klassische Turn-Key-
Geschäfte.
Sehnert: Das ist aber noch Theorie. Das muss ja nicht nur elektronisch, sondern auch mechanisch zusammenpassen.
Lötz: Die Bäckereitechnik ist schon sehr komplex. Betrachten wir nur den Gärschrank. Natürlich kann ich zu einem Lieferanten sagen, bau mir einen Gärschrank. Aber ich kann natürlich auch sagen, die Einhausung liefert Lieferant 1, das Gestell Lieferant 2 und die Klimatechnik ein Dritter. Aber es muss am Ende zusammenpassen. Man braucht schon sehr viel Know-how, um das überhaupt hinzukriegen.
Sehnert: Die Frage ist natürlich auch, ob die Anlagenbauer standardisierte Schnittstellen bereitstellen. Obendrein wird ständig die Konstruktion geändert und mit Verbesserungen erklärt. Jedes Mal muss dann der Standard wieder angepasst werden. Das ist ganz sicher auch ein Stück Marktschutz bzw. Schutz der eigenen Einzigartigkeit.
Jekle: Zehn, fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Wenn die bisherigen Anbieter das nicht leisten, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass andere Firmen in den Markt einsteigen und entsprechende Lösungen anbieten. Bewegungen sehen wir schon heute am Markt. Aber unsere Maschinenbauer sind sich dieser Notwendigkeiten im Wettbewerb auch bewusst.
Lötz: Wir haben bereits jetzt viele Lieferanten, die in der Bäckerei und Verpackung tätig sind, die in der Vergangenheit niemand auf dem Schirm hatte. Leute, die sich spezialisiert haben.
Schirmer: Die Automatisierung wird vermutlich nicht von den traditionellen Anbietern kommen, sondern eher von außen. Übergeordnete Systemanbieter, die bereits Lösungen aus anderen Bereichen nutzen können, werden dabei das Rennen machen.
Sehnert: Ganz sicher kommt sie nur, wenn der Kunde es fordert. Nur wenn der sagt, ich will offene Schnittstellen nach dem Weihenstephaner Standard haben, kriegt er sie. Selbst dann tut man sich bei vielen Herstellern noch extrem schwer. Ich hab es gerade hinter mir. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Backbetrieb auch den Mehrwert für sich sieht und beziffern kann, etwa wenn er Informationen schneller weiterleiten kann. Der Lieferant macht das, wenn der Kunde ihn treibt und er selber auch für sich die Chance sieht, dass andere Kunden das kaufen. Ein fortschrittlicher Anlagenbauer sagt, ich biete das zum Nulltarif, weil ich mich dadurch selber weiterentwickle. Der zweite sagt, ich habe gar nicht die Manpower und es kostet entsprechend. Der dritte erklärt, dass er weder Interesse noch Zeit hat, sich damit zu befassen. Es kostet immer viel Kraft, neue Technik einzuführen.
Stollmeier: In der Verpackungstechnik hat man inzwischen begriffen, dass die Standardisierung und Automatisierung notwendig ist. Hier werden ja auch schon seit Jahren Roboter eingesetzt. Treiber ist aber auch hier der Wunsch nach Kosten- und Qualitätsführerschaft. In der Bäckereitechnik verbirgt sich seitens der Maschinenbauer hinter „Industrie 4.0“ in der Regel ein Mehr an Service, das sie uns anbieten wollen. Ob daraus wirklich eine Win-win-Situation entsteht, muss sich erst noch herausstellen.

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Lötz: Das Verhältnis zum Lieferanten ist vor allem davon geprägt, dass beide Seiten verstehen, was gefordert ist. Deshalb gehen wir den Schritt und versuchen, direkt mit dem Konstrukteur zu reden, und selbst dann ist es schwer, eine gemeinsame Sprache zu finden. Das unterschätzen viele auf beiden Seiten. Die Projektierung einer Anlage kostet wahnsinnig viel Zeit, die wir eigentlich nicht haben.
Sehnert: Ich hab eine kleine Vision davon, was ich haben möchte. Ich möchte eine Linie, auf der das Produkt selber weiß, wo es hinfahren soll, ob in den Gärschrank oder nicht. Das ist kein Hexenwerk, das gibt es im Automotive-Bereich schon. Im Bäckerbereich ist das auch nicht undenkbar, aber es scheitert bisher an Standardisierungen. Ich kann nur an alle appellieren, das zu fordern, damit zukünftig ein modularer Aufbau von Anlagen möglich sind. Dann kann ich die Fabrik auch flexibel gestalten. Es ist ein Unding, dass es in den vergangenen Jahren eigentlich immer darum ging, noch mehr Menge vom gleichen Produkt über eine Anlage zu fahren. Entscheidend wird künftig sein, wie flexibel ich eine Produktion aufbauen kann, und da ist enorm viel Potenzial vorhanden.
Conen: Wir wünschen uns Industrie 4.0. Aber die Firmen, die uns beliefern, sind teilweise gar nicht in der Lage dazu, weil sie ausgelastet sind und deshalb wenig Interesse haben. Außerdem sind sie selber in diesen Bereichen personell auch nicht stark genug aufgestellt, um das zu leisten. Es sagen zwar alle, wir wollen und wir können, aber am Ende hat das doch sehr enge Grenzen. Wir haben deshalb eine eigene Automatisierungsabteilung, die ständig dabei ist, die Programme, die wir zur Verfügung gestellt bekommen haben, zu optimieren. Dabei sind wir noch gar nicht dabei, Daten rauszuholen, sondern erst mal wollen wir die Steuerungsfehler der Anlagen finden und optimieren. Die Findung von Automatisierungstechnikern, die bereit sind, 3-schichtig zu arbeiten, stellt uns in der Rekrutierung vor eine große Aufgabe. Deshalb haben wir eine Mannschaft, die nicht rund um die Uhr arbeitet, sondern sich um den Kern kümmert und mit dem Service des Lieferanten kommuniziert. Ansonsten sind die Schicht-Elektroniker so ausgebildet, dass sie im Notfall uns mindestens akut die Störung beheben können. Wir versuchen erst einmal das Problem in der Schicht zu lösen und danach holen wir den Programmierer, um es ganz abzustellen oder zu optimieren.

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Sehnert: Und wenn der Programmierer kündigt?
Conen: Das ist das Problem, das wir mit allen Technikern haben. Bei uns in der Region gibt es viel Maschinenbau im 1-Schicht-Betrieb und anderen Tarifstrukturen. Wir können nur versuchen, mit anderen Dingen zu punkten, den Job so zu gestalten, dass die Leute sich wohlfühlen, Aufstiegsmöglichkeiten geben etc. Da haben wir natürlich an unserem Standort mehr Möglichkeiten. Wir können beispielsweise sagen, die nächste Karrierestufe machst du nicht in der Bäckerei, sondern im Schwesterunternehmen.
Schirmer: Das Problem ist, dass auch unsere Technologielieferanten Schwierigkeiten haben, gutes Servicepersonal im IT Bereich zu finden. Die Entwicklung der Steuerungstechnik ist schneller als die Ausbildung von Fachpersonal, vor allem wenn es sich um firmenspezifische Lösungen handelt.
Jekle: Der Bedarf ist ja bekanntlich da und es kann dann auch Anbieter von außen geben, die diesen decken werden.
Sehnert: Wenn ich weiß, dass eine Firma den nicht liefert oder nur schlecht, dann scheidet die doch für mich aus. Es gibt doch für fast alles alternative Anbieter. Service, auch online, ist heute ein Unterscheidungsmerkmal.
Stollmeier: Für mich spielt der Service eine untergeordnete Rolle, weil wir meistens ein Sprachproblem haben. Ich hab nicht 24/7 Leute, die Englisch sprechen und selbst wenn, benutzen sie Begriffe, die sie unterschiedlich verstehen. Wir müssen die Leute selber im Haus haben, genauso alle Ersatzteile, die nicht innerhalb von 24 h geliefert werden können. Das Einzige, was wir brauchen, ist die Online-Verbindung für Programmfehler. Wir schicken unsere Leute deshalb lieber zu den Lieferanten zur Ausbildung.
Lötz: Unsere Verantwortung ist es, so viel Know-how wie möglich ins eigene Haus zu holen, indem wir Mitarbeiter entsprechend ihrer Aufgabe ausbilden.

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Borchfeld: Was kann Digitalisierung in der Prozesskette einer Bäckerei so verbessern, dass es sich lohnt, die nötigen Investitionsmittel bereitzustellen?
Lötz: Auch in diesem Punkt müssen wir die gesamte Supply Chain betrachten. Wie sonst ist Chargenrückverfolgung zu gewährleisten? Wir müssen in einer zu akzeptierenden Geschwindigkeit ermitteln, in welchem Produkt ein Rohstoff steckt und wohin das Produkt geliefert wurde. Unter anderem dafür gibt es die Digitalisierung. Wir müssen das jetzt auf einen Industriemaßstab bringen, der diese Forderung durchgängig umsetzt. Digitalisierung hat für mich aber eine zweite Seite, Industrie 4.0, eine Welt, die überhaupt noch nicht definiert ist. Die Frage wird sein, was ist wichtig für uns? Ist es wichtig, jede Temperatur eines Motors zu messen und jedes Mal zu entscheiden, ob reagiert werden muss oder nicht? Man kann auch mit einem Übermaß an Informationen desinformiert sein.
Conen: Das ist momentan der Stand. Sie kriegen die Fülle an Informationen nicht abgegriffen und nicht analysiert.
Stollmeier: Teilweise sammeln wir auch auf Wunsch einzelner Abteilungen Daten und wenn ich dann frage, ob man die auch angesehen und analysiert hat, heißt es nein, aber im Fall der Fälle haben wir dann Daten, die wir auswerten könnten. So kann man seine Datensammlung natürlich gigantisch aufblasen. Der wichtigere Punkt ist heute sicherlich die Chargenrückverfolgung, damit man das Ziel genau eingrenzen kann, wenn was passiert.

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Stammen: Das ist eher der reaktive Ansatz. Ich würde gerne aus den Daten, die wir aus der Sensortechnik holen können, und davon gibt es unendlich viele, die relevanten Informationen filtern, die uns zu Veränderungen animieren oder zwingen, und zwar unmittelbar in dem Moment, in dem wir das noch können. Transparenz in Echtzeit heißt das Ziel für mich, Wissen um die Zustände, die Qualitätsdaten, aber auch die Kostendaten.
Sehnert: Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Es gibt im Bäckereibereich das Defizit, dass bestimmte Anlagenzustände gar nicht oder zu wenig aufgenommen werden. Es geht darum, dass die richtigen Werte erfasst werden und die Prozesse sich selbst beeinflussen. Wir haben momentan das Problem, dass die Anlagen von zehn oder mehr Herstellern zusammengewürfelt sind und die Informationen zwischen den einzelnen Teilen bis auf das absolut Notwendigste nicht weitergegeben werden. Was ich mir vorstelle, wäre ein Kneter, der die vom Teig aufgenommene Energiemenge und die Elastizität des Teiges misst und an die Teigaufarbeitung weitergibt, die damit die Schlichtwerke der Laminieranlage einstellt, was wiederum den Teig bzw. die Qualität beeinflusst. Ich wünsche mir, dass die Informationen innerhalb des Prozesses weitergereicht werden, um den Prozess damit zu steuern. Dafür brauche ich keine übergeordnete Steuerung, dafür reicht der Weihenstephaner Standard. Wir gehen das jetzt an.
Jekle: Ich bin sicher, dass darauf aufbauende selbstregulierende Systeme kommen werden. Wir können heute schon auf gewisse Daten zugreifen, was in Zukunft sicher durch bestehende und neue Sensoren ausgebaut wird. Dann ist es nur noch eine Frage der Nutzung dieser Daten. Das kann der Anwender aus der Bäckerei selbst niemals leisten, das kann momentan wohl auch der Maschinenbauer noch nicht. Falls es hier keine internen Konzepte gibt, werden irgendwann vermutlich Big Player einsteigen, die sich Fachpersonal aus Unternehmen und Wissenschaft einkaufen und somit ein neues globales Fachwissen aufbauen, auf das kein Zugriff mehr besteht.

Keil: Das klingt so, als könne man die Daten ganz einfach und eindimensional korrelieren. Aber so eine Anlage hat mehr als fünf Rädchen, an denen man drehen kann, und dann kommt am Ende immer noch etwas raus, das man nicht erwartet hat.
Jekle: Das ist natürlich richtig, die Backwarenproduktion ist hochkomplex. Aber lassen Sie uns die Daten aus der Produktion und vom Rohstoff, und damit meine ich wirklich umfassende Daten und nicht nur punktuell, über ein Jahr erfassen. Dann haben Sie alle möglichen Reaktionen der Teige, der Anlagen und, ganz wichtig, des Bedienpersonals erfasst. Anschließend haben Sie nicht nur viele historische Daten, sondern auch Erfahrungswerte, aus denen sich ein wirklichkeitsnahes Modell erstellen lässt.

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Keil: Ist die Bäckerbranche so interessant, dass es sich für ein großes Systemhaus lohnen könnte, solche Modelle zu entwickeln?
Jekle: Im Idealfall werden das selbstlernende Systeme sein (künstliche Intelligenz), die Muster selbstständig erkennen, lernen und die Produktion steuern können. Technisch möglich ist dies, der Wille zur Umsetzung fehlt jedoch meist.
Lötz: Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir von Dingen träumen, für die wir noch nicht mal die Basics haben. Heute ist selbst die Dampfmengenmessung am Ofen eher eine Sonderausstattung als Standard. Wie bescheuert ist das denn? Und dann reden wir schon von selbstlernender Intelligenz.
Sehnert: Das sind aber alles Dinge, die der Backbetrieb auch beim Lieferanten einfordern muss. Wenn ich dem sage, dass ich die Menge Dampf im Ofen steuern will, bekomme ich das bei den meisten auch.
Steinert: Zum Standard wird es aber erst, wenn genügend Betriebe das fordern.
Stammen: Aber wir fordern es nur, wenn wir wissen, welchen Nutzen es uns bringt, die Daten zu kennen und sie zur Steuerung zu nutzen. Nicht primär die Technologie treibt uns in die Innovation, sondern der Nutzen daraus.
Conen: Nicht alles, was ich messen kann, kann ich auch beeinflussen. Aber es lohnt sich sicher zu wissen, wo die großen Verbraucher sitzen.
Lötz: Beim Dampf nehme ich sehr großen Einfluss auf die Qualität des Produktes, wenn ich ihn steuern kann. Den Strom, den beispielsweise ein Bandantrieb verbraucht, kann ich überhaupt nicht beeinflussen, es sei denn, ich stelle fest, dass der Antrieb schwerfällig läuft und ersetzt werden muss.
Stammen: Wenn ich etwas nicht beeinflussen kann, muss ich es auch nicht permanent messen.
Sehnert: Es geht um technologische Parameter, nicht um technische. Was kann ich wahrnehmen, welche technologischen Prozesse kann ich positiv beeinflussen, damit ich die Qualität der Produkte besser beeinflussen kann? Es gibt bereits Anlagenhersteller, die entsprechende Messdaten aufnehmen können, ich muss das nur auch abfordern.

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Lötz: Wenn ich gleichzeitig sehe, dass Bäckereien täglich ihren Mehllieferanten wechseln, dann frage ich mich schon, wozu ich solche Feinheiten messen soll, wenn doch die schwankende Mehlqualität einen sehr viel größeren Einfluss auf die Qualität des Produktes hat.
Sehnert: Es wäre wünschenswert, wenn die Energieaufnahme schwankt, beispielsweise weil die Mehlqualität eine andere ist, darauf an den nachfolgenden Stationen eingehen zu können, um die Teiggewichte einhalten zu können. Es gibt derzeit unzählige Parameter, die während des Produktionsprozesses niemand wahrnimmt und nutzt. Die Leute stellen die Rezeptur ein und sind froh, wenn die Anlage läuft und es nicht hupt, Länge, Breite und Höhe des Produktes eingehalten werden und der optische Eindruck nach dem Backen stimmt. Dann ist es aber zu spät. Ich möchte den Prozess von Anfang an steuern. Wir haben ja nicht nur Backprozesse, die zwei Stunden durchlaufen, sondern Prozesse, die bis zu 20 Stunden dauern. Dann haben Sie nicht nur einen Artikel auf der Linie, sondern drei, vier. Dafür könnte man Industrie 4.0 auch einsetzen, um entsprechend die Lücken zwischen den einzelnen Chargen zu reduzieren. Es gibt da sehr viel Spielraum, wenn man die Informationen, die ja im Prinzip da sind, auch nutzen kann.

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Borchfeld: Sind die Zusammenhänge, von denen Sie reden, so eindeutig bekannt oder müsste man die erst in längeren Zeitreihen erfassen und analysieren?
Sehnert: Es gibt Studien dazu und es gibt Erfahrungswerte, von denen ich glaube, dass sie die praxisrelevanteren sind.
Jekle: Man kann zudem entsprechend erfassen, wann der Bediener Parameter verändert hat, welche Auswirkungen dies auf die Anlage und das Produkt hatte und das mit den Datenreihen vergleichen, um Zusammenhänge zu erkennen und über die Zeit auch zu verifizieren.
Stollmeier: Dann reden wir aber von einer übergeordneten Gesamtsteuerung, die dann reagiert, und eine ziemlich umfangreiche Datenerfassung und vermutlich ziemlich kostspielig. Lohnt sich das?
Jekle: Wenn ich eine Monoanlage habe, die gut funktioniert, vielleicht nicht. Aber wenn ich eine hochflexible Anlage habe, die sich häufig auf ein neues Produkt einstellen muss, wird es extrem spannend. Wir arbeiten mit dem Forschungsvorhaben Connected Bakery mit vielen Industrievertretern an einem solchen Konzept, aber es wird noch ein paar Jahre dauern, bis wir konkrete Lösungen erarbeitet haben.
Sehnert: Wenn man über eine Erstinvestition nachdenkt und investiert pro leistungsstarker Linie acht bis zehn Millionen Euro, dann werden Digitalisierung der Daten und die Verknüpfung über eine Steuerung in Zukunft entscheidend sein bei der Planung. Es ist viel Geld verbrannt, wenn ich später sage, ich wäre auch mit einer weniger ausgekommen oder ich habe eine Monolinie geplant, die nach einem Jahr stillsteht.
Stollmeier: Das Problem ist natürlich auch, dass diese Datenerfassung und Steuerung in vorhandene Anlagen schon nach zwei, drei Jahren nicht mehr nachrüstbar ist. Wenn ich aber alles, was existiert, gar nicht anbinden kann, stellt sich die Frage nach einer solchen Investition.
Lötz: Es ist immer die Frage, hab ich das richtige System. Wir werden eine übergeordnete Steuerung brauchen, ja. Was wir daraus machen, wird sich zeigen. Es wird Systeme geben, bei denen es sich lohnt, sie selbstlernend bzw. selbst korrigierend auszulegen. Bei anderen kann man Wartung und Instandhaltung darüber laufen lassen. Aber wir werden niemals Tausende von Sensoren installieren, um Daten zu sammeln. Das ist nicht unser Metier. Wir verdienen kein Geld mit den Daten, sondern mit qualitativ hochwertigen Produkten, die von der Anlage kommen.

Borchfeld: Bei allem, was mit Wartung und Instandhaltung zu tun hat, dürfte sich die Datenerfassung, egal ob nun über Zählwerke oder über Sensoren, relativ schnell rechnen, wenn man die Daten verknüpft und einer Analyse unterzieht. Wie weit ist die Backbranche denn damit?
Sehnert: Die Anlagenlieferanten sind schon relativ gut in der Lage, diese Dinge selbst auszuwerten. Die Erfassung über Temperaturfühler bis hin zu Kameras ist vorhanden. Was mir fehlt, ist das Übergreifende, dass nicht jeder nur in seiner eigenen Welt denkt, sondern die Frage produktübergreifend betrachtet.
Schirmer: Aber das durchzusetzen wird schwierig, es sei denn, wir setzen alle zusammen auf ein „Pferd“. Die Anlagenbauer werden sich niemals von sich aus verknüpfen. Jeder hat seine eigenen Kompetenzen und nutzt dieses selbstverständlich als Marktvorteil.

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Sehnert: Wenn ich heute eine Anlage bestelle, muss ich darauf bestehen, jegliche Sensorinformation rausziehen zu können, weil es nicht nachrüstbar ist. Der einfachste Return of Investment ist die Einsparung bei der Wartung, die Anbindung an die Logistik, an den Verkauf. Es wird die Summe sein, die den Nutzen stiftet, selten ist es eine einzige Anwendung, die das Investment finanziert. Wichtig dabei sind die offenen Standards, die nicht einem Unternehmen gehören, damit ich auch den Anbieter wechseln kann. Die Firmen können gerne unterschiedliche übergreifende Systeme entwickeln, solange man jederzeit auch bei einem Wechsel an die Daten herankommt. Der Weihenstephaner Standard ist solch ein offener Standard, der lediglich aussagt, wo welche Daten stehen. Über eine standardisierte Schnittstelle können die Betriebe die Daten im Zweifelsfall auch selber auslesen.
Jekle: Der Weihenstephaner Standard ist ein offener Standard, der auch in vielen anderen Industriebranchen genutzt wird und auf die Backbranche angepasst wurde.
Lötz: Ich bin davon überzeugt, dass wir die Möglichkeiten, Daten abzugreifen, schaffen sollten, was auch immer man später daraus macht. Ich bin sicher, dass es relativ einfache Systeme geben wird, die die Auswertung übernehmen. Vor 15 bis 18 Jahren waren wir mit der Hygiene auch auf einem ganz anderen Stand als heute. Wir haben gelernt, damit umzugehen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber ich denke, das wird auch bei diesem Thema so passieren.

Keil: Werden auch die kleineren Maschinenbauer es sich leisten, diesen Weihenstephaner Standard einzusetzen oder ist der Aufwand so groß, dass sich das nur für die Großen lohnt?
Sehnert: Die kleineren Anbieter sind eigentlich eher bereit, sich an solche Sachen anzupassen, als große, die glauben eine Monopolstellung zu haben und nichts nach außen geben wollen. Die sagen eher, wir wollen unsere Systeme nicht ändern, weil sie komplex und kompliziert zu programmieren sind. Das sind zumindest meine Erfahrungen.
Stollmeier: Mit offenen Standards könnte man den Service selber organisieren. Die Anbieter wollen natürlich sehr viel lieber ihre Serviceverträge verkaufen.

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Keil: Was wird sich in den nächsten fünf Jahren verändern?
Stollmeier: Ich denke, ein Teil von dem, was wir heute besprochen haben, insbesondere Digitalisierung und Factory 4.0, wird Realität sein. Die Schnittstellen werden verbaut und nicht mehr als Sonderausstattung gelten.
Lötz: Der Export wird wachsen, die Branche wird internationaler, somit globaler, auch was die Produkte anbelangt. Es wird auch neue Anbieter und neue Produzenten geben.
Stollmeier: Wir werden neue Investoren sehen, die in die Backbranche investieren, weil sie dort Geld verdienen wollen.

Keil: Wir haben vorhin darüber diskutiert, dass immer mehr Lösungen aus anderen Branchen in die Backbranche Einzug halten. Ist das ein Tor, durch das große Lebensmittelkonzerne Einzug halten könnten?
Stammen: Vorstellbar.
Stollmeier: In Russland gibt es den Trend, dass große Fleischhersteller sich eine Bäckerei bauen und auch gleich die Produktion der Sandwiches übernehmen.
Steinert: Solche Beispiele gibt es in Westeuropa ebenso, nehmen Sie M-Preis in Österreich, Borgesius in Holland, der auch ein Sandwichwerk betreibt, oder McDonald’s mit seinen Bunfabriken.
Sehnert: Wir werden sicherlich noch mehr Dinge übernehmen, etwa in der Hygiene. Waschbare Anlagen gibt’s in vielen Industriebereichen, bei uns sind sie noch eher die Ausnahme.
Lötz: Ich glaube, dass wir eine durchgängige Automatisierung bekommen, in der Bäckerei wie in der Logistik. In der TK-Industrie gibt es das zum Teil schon, in der Frischbäckerei wird das kommen. Andererseits wird nicht alles, was technisch machbar ist, auch umgesetzt. Einen RFID-Chip in jeder Packung wird es nicht geben, das will am Ende niemand bezahlen.

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Stammen: Ich glaube, dass die Kooperation zwischen den Unternehmen und den verschiedenen Stufen sehr viel größer werden wird. Wir werden Prozess-, Produkt- oder Absatzmarkt-spezifische Konstrukte gemeinsam bauen, die Nutzen stiften. Die heutigen Unternehmensgrenzen werden nicht mehr die Grenzen unserer Aktivität definieren, weder rückwärts bis hin zum Landwirt noch vorwärts mit dem Handel. CSR und Nachhaltigkeit sind solche Themen, die die Grenzen der heutigen Geschäftsmodelle öffnen werden.
Stollmeier: Aufgrund der neuen Plastikverordnung aus Brüssel gehe ich davon aus, dass wir vermehrt biologisch abbaubare Verpackungen bekommen. Es gibt inzwischen Folien auf Basis von Kartoffelstärke, aber bislang sind die noch zu teuer. Und es fehlt an Sortier- und Verwertungskapazitäten.
Schirmer: Ich erwarte ebenfalls eine deutliche Veränderung im Verpackungsbereich. Bereits heute sind die Verpackungskosten ein Großteil unserer Produktionskosten und werden dennoch in vielen Betrieben „stiefmütterlich“ betrachtet. Das Zusammenspiel Produktqualität, Verpackung und Logistik muss zukünftig als Einheit betrachtet werden.

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Conen: Unsere Schwestergesellschaft hat ihre Zukunftsvisionen entworfen, die natürlich auch für uns einige Aufgaben enthalten. Ich denke, neben dem Ziel Qualitäts- und Kostenführerschaft wird es spannend, wie sich der Backwarenmarkt verändert. Die Herausforderung wird sein, wie schnell man in der Lage ist, sich anzupassen. Nehmen Sie nur die Backstationen. Anfangs war das eine Grundversorgung mit Brötchen und Brot. Inzwischen ist das ein komplettes Bäckereisortiment. Neben all den Dingen, die wir intern vorantreiben müssen, um der Beste zu sein, spielt die Anforderung, dem Markt gerecht zu werden, eine große Rolle. Was die Rolle branchenfremder Investoren betrifft, je intensiver der Markt ist, je größer die Produktvielfalt, umso schwieriger wird es für einen Investor, seine Chancen zu berechnen. Wir, seitens der Produktion, haben das Wissen und müssen nur darauf reagieren. Wir sind gefordert, Flexibilität zu liefern.
Lötz: Dennoch kann ich mir vorstellen, dass es Newcomer gibt, die mit einem tollen Produkt Erfolg haben. Das werden eher Nischenprodukte sein, aber durchaus erfolgreich.
Sehnert: Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, für die Nische zu produzieren, mit hochflexiblen Linien handwerkliche Produkte, möglichst ohne Zusatzstoffe mit hohen Leistungen herzustellen. Das setzt gerade bei der Automatisierung auf viel mehr Aufwand, als bisher notwendig war. Ich glaube aber, dass neue, dynamische Unternehmen die Chance haben, in den Markt zu gehen und der Verbraucher auch mehr Flexibilität haben möchte. Es gibt immer mehr Aktionen, Produkte, die teilweise kurzfristig angeboten werden, egal ob online oder in der Backe-off-Station. Flexibilität wird eine wichtige Sache werden und je leichter ein Produzent die Produktion umstellen kann, umso leichter wird er sich tun.

Borchfeld: Demnächst ist in München iba. Fahren Sie hin und wenn, wozu?
unisono: Netzwerken und Innovationen sehen.
Steinert: Vielleicht auch, um den ein oder anderen Quereinsteiger finden. So habe ich auf der Messe die Steuerungstechniker gefunden, die uns sehr schnell und kostengünstig geholfen haben. Deshalb fahren wir ja auch zu vielen anderen Messen und Veranstaltungen anderer Branchen.