Scroll Top

b+b-2021-06-„Die besten Produkte brauchen Zeit“

f2m-bub-21-06-produktion-baguettes

Die polnische Bäckerei NOWEL hatte sich 2020 Großes vorgenommen und inmitten der Pandemie u. a. in eine Linie investiert, bei der das Konzept handwerklicher Backwarenherstellung in einen vollautomatischen Prozess übertragen wurde.

Helga Baumfalk: NOWEL hat in der Vergangenheit jährlich mehr als eine Milliarde Backwaren hergestellt. Haben Sie festgestellt, dass die Pandemie Ihre Absatzkanäle bzw. Märkte verändert hat?
Elżbieta Zajezierska: Einen Wirtschaftszweig zu finden, der nicht von der Pandemie betroffen ist, ist schwierig. Corona hat die bisherige Wahrnehmung der Wirtschaft neu definiert und zahlreiche Unternehmen dazu gebracht, nach Jahren der Stabilität die eigene Komfortzone zu verlassen. Für uns war die erste Welle der Pandemie im vergangenen Jahr wie ein Test für unsere Verfahren und unserer Bereitschaft, rasche und tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen. Die enge Zusammenarbeit in der Krisensituation hat die Beziehungen zu unseren Geschäftspartnern gestärkt und das Verständnis für unsere gemeinsamen Bedürfnisse verbessert.
Michał Zajezierski: Wichtig zu erwähnen ist, dass wir im letzten Jahr nicht nur die Produktion aufrechterhalten haben, sondern geplante Investitionen und den Ausbau unserer Linien nicht gebremst haben. Binnen weniger Wochen entwickelten wir mit „Home Bakery“ unsere erste Verbrauchermarke. Es sind tiefgekühlte, verpackte Backwaren fürs Aufbacken zu Hause, mit denen wir dem Homebaking-Trend gefolgt sind. Trotz aller Herausforderungen haben wir eine neue Linie zur Herstellung von im Steinofen gebackener Ware in Premiumqualität in Betrieb genommen. Die Produkte wurden im Februar 2021 mit der Kampagne „Baked on stone oven“ in Lidl-Filialen in ganz Polen eingeführt. Auch neue Märkte konnten wir erschließen. Die Meetings fanden vom Schreibtisch aus statt, in der Firma oder im Homeoffice.

Baumfalk: Sie produzieren auch Produkte mit dem „Clean Label“-Versprechen und Bio-Backwaren. Ist der Umsatz in diesen beiden Kategorien im Jahr 2020 gestiegen?
Karolina Zajezierska: Fast alle NOWEL-Backwaren sind „clean label“. Bei einigen Produktreihen gehen wir einen Schritt weiter und verzichten auf Enzyme. Diese Backwaren bestehen aus nur 3 bis 4 Zutaten. Clean label gehört einerseits zu unserem Markenversprechen, andererseits wird es vom Verbraucher immer häufiger erwartet, nicht nur in Polen, in ganz Europa. Diesem Trend folgend erweitern wir jedes Jahr unsere Bio-Range. Trotz wachsender Beliebtheit gehen wir davon aus, dass Bio eine Nische bleiben wird. Vor allem weil es einen Mehraufwand für den Einzelhandel bedeutet, der sicherstellen muss, dass Bio- und Nicht-Bio nicht vertauscht werden.

f2m-bub-21-06-produktion-aufbackbrötchen

Kleingebäcke, die unter der Verbrauchermarke „Home Bakery“ verkauft werden

Baumfalk: NOWEL ist ein Hersteller und Lieferant für den Einzelhandel, aber bei den Verbrauchern nicht sehr bekannt. Kam die Idee, eine Verbrauchermarke zu lancieren, infolge der Pandemiesituation?
Elżbieta Zajezierska: Pläne für eine Verbrauchermarke hatten wir schon seit längerer Zeit. Corona hat unseren Anstrengungen, „Home Bakery“ zu lancieren, neuen Schub gegeben. Ob das Produkt auch nach Ende der Pandemie erfolgreich sein wird, wird die Zeit zeigen.
Karolina Zajezierska: „Baked on stone oven“ ist unsere zweite für den Kunden sichtbare Marke, unter der unsere neuen Produkte in Polen und in europäischen Märkten verkauft werden. Die Produkte sind das Ergebnis mehrmonatiger Arbeit und Tests. Unser Ziel war es, einen ursprünglichen Brotgeschmack aus der Zeit unserer Kindheit bzw. der Eltern- oder Großelterngeneration zu kreieren. Das haben wir erreicht durch definierte Reifezeiten in einem mehrstufigen Garprozess. Seinen rustikalen Charakter erhält das Produkt durch das Backen auf Granit-Vulkanstein aus der italienischen Region Val D‘Ossola.

Baumfalk: Bisher haben Sie etwa 30 % Ihres Umsatzes im Export in etwa 15 Länder erzielt. Hat sich Corona auf diese Zahlen ausgewirkt?
Karolina Zajezierska: Es ist uns gelungen, den Exportanteil auf einem ähnlich hohen Level zu halten. Sieben weitere Exportnationen kamen in den vergangenen zwei Jahren hinzu. Heute sind wir mit unseren Produkten in 22 Ländern präsent. Die Kunden sind, wie wir festgestellt haben, offener für neue Geschmacksrichtungen. Einkäufer gehen bei ihrer Suche nach Neuheiten über die Grenzen der inländischen Angebote hinaus. Das ist gut für uns und unsere Chancen im Export.

Baumfalk: Dann werden Sie sich in Zukunft noch mehr auf den Export konzentrieren?
Karolina Zajezierska: Wir wollen unsere Position in den europäischen Schlüsselmärkten stärken und international expandieren, das sind unsere Wachstumsstrategien. Unsere Produkte sind bereits auf den größten Märkten in Europa sowie in den USA und Kanada erhältlich. In den kommenden Jahren wollen wir außerdem neue Produktlinien lancieren, darunter ARTISAN.

Die NOWEL Sp. z o.o.

NOWEL produziert in zwei Werken in Legionowo (rund 30 km entfernt von der polnischen Hauptstadt Warschau) TK-Backwaren (Brote, Kleingebäcke) für den Bake-off-Bereich. Neben den führenden polnischen Handelsunternehmen beliefert der Großbäcker den LEH und Discounter in anderen europäischen Ländern, wie die Niederlande, Deutschland, Tschechien und Ungarn. Weitere Exportmärkte sind die USA und Kanada. Der Exportanteil beträgt rund 30 %. Mit etwa 500 Mitarbeitern erwirtschaftete NOWEL 2020 einen Umsatz von rund 247 Mio. PLN (etwa 53,25 Mio. EUR) und gehört damit nach eigener Einschätzung zu den Top 5 der Bäckereiunternehmen in Polen. Im Heimatmarkt gilt NOWEL als Marktführer im Segment Kaiser-Brötchen und Wachauer-Brötchen (aufgerissener Ausbund) sowie bei einigen Misch- und Vollkornbroten.

Mehrheitlich ist NOWEL im Besitz der Familie Zajezierski. Zur Eigentümerfamilie gehören Elżbieta Zajezierska (Präsidentin der NOWEL Sp. z o.o.), Michał Zajezierski (Vize-Präsident) und Karolina Zajezierska (Kaufmännische Leiterin). Weniger als 30 % hält der polnische Investor Credit Value Investments (CVI).

f2m-bub-21-06-produktion-nowel

Baumfalk: Von 2013 bis 2019 investierte NOWEL mehr als 60 Mio. EUR in die Entwicklung und Anschaffung von Produktionsanlagen. Wie viel haben Sie im Jahr 2020 investiert?
Michał Zajezierski: Wir sind mit einem sehr ambitionierten Investitionsplan über 22 Mio. EUR ins Jahr 2020 gestartet und haben diesen trotz Pandemie umsetzen können, vor allem dank der guten Organisation und Kooperation mit unseren Bäckereimaschinen-Lieferanten. In einem Projekt, bei dem wir mit WP, Newcap, JBT und Diosna zusammengearbeitet haben, haben wir eine Linie zur Herstellung von Kastenbroten, Roggen- bzw. Weizenmischbrote, realisiert. Die Brote werden mit unserem eigenen, über viele Jahre gezüchteten Sauerteig gebacken.
In einem zweiten Projekt, das ich als Krönung unserer Bäckerei sehe und das meines Wissens nach weltweit einzigartig ist, ist es uns gelungen, das Konzept der handwerklichen Backwarenherstellung in einen vollautomatischen Prozess zu übertragen. Unser Ausgangspunkt war, dass die besten Produkte Zeit brauchen, um ihr volles Aroma zu entfalten. Deshalb wurde die Anlage so konzipiert, dass die gesamte Produktion – vom Ansatz des Weizensauerteigs über die Teigreife, die etwa 12 Stunden ausmacht, und weitere Prozesse – insgesamt mehr als 40 Stunden dauert. Wir erzielen auf diese Weise einen intensiven Geschmack und eine offenporige Textur der Backwaren. An dieser Stelle möchte ich mich bei unseren Partnern Mecatherm, Diosna und Rademaker bedanken, die die Lösung gemeinsam mit uns entwickelten und das Projekt in der so schwierigen Zeit umgesetzt haben.

f2m-bub-21-06-produktion-brot und baguette
f2m-bub-21-06-produktion-brote

Baumfalk: Im Herbst 2019 haben Sie ein modernes Forschungs- und Entwicklungszentrum in Polen eröffnet. Arbeiten Sie mit Universitäten zusammen?
Michał Zajezierski: Ja, das Zentrum ist auch eine Plattform für den Wissensaustausch mit akademischen Einrichtungen. Wir führen gemeinsame Forschungen und Technologie-
Studien durch zu einem völlig neuen Ansatz des Verzehrs von Backwaren. Aber das ist ein Thema, das wir zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren können. Es wird eine echte Revolution sein.

f2m-bub-21-06-produktion-brote und baguettes

Baumfalk: Vor der Corona-Krise galt der Außer-Haus-Markt als äußerst dynamisch und nahezu unaufhaltsam. Die Pandemie hat das geändert. Wie sieht die Situation in Polen aus?
Karolina Zajezierska: Tatsächlich erlebten die Lebensmittelhersteller in Polen während der ersten Pandemiewelle nach vielen Jahren des Wachstums eine Verlangsamung der Wirtschaft. Handelsbeschränkungen und Appelle an die Bevölkerung, zu Hause zu bleiben, hatten ebenfalls Auswirkungen auf die Backwarenindustrie, sowohl im Inlandsmarkt als auch im Zusammenhang mit dem Export. Die wirtschaftliche Unsicherheit, aber auch das stark gestiegene Interesse am „Backen zu Hause“ waren weitere Herausforderungen. Glück-
licherweise hat sich die Nachfrage relativ schnell normalisiert. Es lohnt sich jedoch, die Marktsituation langfristig zu betrachten.
Vor Corona wuchs der Convenience-Sektor sehr schnell. Die Polen verliebten sich in Geschäfte, die sie mit dem Nötigsten versorgen und sich in der Nähe ihres Wohnsitzes befinden. Jetzt, da sich die Verbraucher an die Pandemiesituation gewöhnt haben, könnte dieser Sektor ein Wachstumsmotor sein. Als Einkaufszentren und Supermärkte schlossen, erweiterten kleine Verkaufsstellen und Tankstellen ihre Sortimente und übernahmen Teile der Grundversorgung inklusive Brot. BP und Orlen bieten auch Snacks an. Obwohl es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gab, dass SARS-CoV-2 über Lebensmittel übertragen werden kann, waren die Verbraucher anfangs besorgt, Snacks zu kaufen und ohne zusätzliches Erhitzen zu verzehren. Infolgedessen war der Verkauf der Snacks zu Beginn der Pandemie in Polen nahezu eingefroren. Später kamen sie zurück auf den Markt, was auf Begeisterung stieß, denn in schwierigen Zeiten schätzen Kunden Convenience.

f2m-bub-21-06-produktion-french hot dogs

Seit 2018 produziert NOWEL auch French Hot Dogs

Baumfalk: Wie entwickelt sich der polnische Bäckereimarkt derzeit?
Michał Zajezierski: In Polen ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Backwaren seit einiger Zeit rückläufig. Interessanterweise wächst aber die Kategorie der Bake-off-Brote. Natürlich wird Corona diese Entwicklung bremsen. Langfristig erwarten wir aber keine Veränderungen. Die Backwarenindustrie in Polen legt jedes Jahr mehr und mehr zu, vor allem aufgrund beträchtlicher Investitionen in neue technologische Lösungen. Dadurch steigt die Wettbewerbsfähigkeit polnischer Unternehmen auf internationalen Märkten. Gleichzeitig nimmt die Marktsättigung im Inland zu, was sich unmittelbar in einem größeren Preiskampf niederschlägt. Der polnische Bäckereimarkt wird für die Unternehmen schwieriger. Corona hat die Herausforderungen verschärft.
Elżbieta Zajezierska: Der polnische Markt ist wettbewerbsintensiv und der Kampf um die Kunden branchenübergreifend. Die jüngere Generation konsumiert weniger häufig Backwaren und entscheidet sich oft für andere Lebensmittel. Ein traditionelles Frühstück, das noch vor ein paar Jahren nicht ohne eine Scheibe Brot oder ein Brötchen auskam, sieht heute oft anders aus. Auf der anderen Seite haben wir es mit einem rasanten Wachstum im Bereich der schnellen Snacks und Fertiggerichte zu tun.

f2m-bub-21-06-produktion-aufgeschnittenes baguette
f2m-bub-21-06-produktion-brötchen

Baumfalk: Welches sind die Hauptprobleme, mit denen die polnischen Bäckereiproduzenten derzeit konfrontiert sind?
Elżbieta Zajezierska: Die größte Herausforderung für die Lebensmittelhersteller sind die steigenden Produktionskosten. Der Klimawandel wirkt sich direkt auf die Rohstoffkosten und Energiepreise aus. Die Unternehmen schenken dem Aspekt der Nachhaltigkeit mehr Aufmerksamkeit, also der Vermeidung von Treibhausgasemissionen oder von Abfall. Diese Maßnahmen sind unvermeidlich und angesichts des Zustands unseres Planeten dringend erforderlich, aber mit höheren Produktionskosten verbunden.

Baumfalk: Vielen Dank für unser Gespräch.