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b+b-2021-05-Effizienz durch KI und Robotic

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Künstliche Intelligenz und Robotic bringen mehr Effizienz im Verkauf für Filialisten und Backstationen – und zwar ohne dass sich der Marktauftritt verändern muss.

Im bayerischen Gallmersgarten ist aus einer Kooperation verschiedener Fachleute eine Lösung entstanden, die das Zeug hat, den Backwarenverkauf in ein digitalisiertes und automatisiertes Zeitalter zu katapultieren. Das Gute daran: Anders als die seinerzeit installierte Automatenlösung eines deutschen Discounters stellt sie für die Verbraucher keinen Bruch mit ihren Einkaufserfahrungen dar. Obendrein lässt sie sich standortindividuell teil- und schrittweise einführen und bringt vom ersten Moment an mehr Effizienz.

Das Team rund um die EngRoTec Systems GmbH hat sich vor allem auf die hinter der Warenausgabe liegenden Prozesse konzentriert. Jeder Schritt wurde auf Möglichkeiten zur Automatisierung abgeklopft und für verschiedene Anforderungen wurden Lösungen entwickelt, die sich entweder einzeln oder aufeinander aufbauend schrittweise installieren lassen. Herausgekommen ist ein vielfältig variierbares, automatisch beschicktes Backwarenregal inklusive Ofen und Kühlkapazitäten. Wie viel ein Kunde, der vor dem Backwarenregal steht und sich bedient, davon mitkriegt, entscheidet der Anbieter. Werner Huprich, Chef der federführenden EngRoTec Systems GmbH: „Uns war wichtig, dass jeder Backwarenanbieter entscheidet, was automatisch und was händisch abläuft. Ein Filialunternehmen hat einen ganz anderen Bedarf an Flexibilität und der Darstellung seiner Handwerklichkeit als der Handel an seiner Backstation. Auf Beides können wir eingehen. Sogar eine reine Automatenlösung lässt sich denken, die 24 Stunden am Tag frisch gebackene Waren anbietet, beispielsweise an Verkehrsknotenpunkten oder in den Kantinen großer Unternehmen.“

Der Thinktank hinter der Lösung

Prozessoptimierung durch Automatisierung und die Ablaufsteuerung durch künstliche Intelligenz sind die Überschrift, unter der sich die Beteiligten zusammenfanden, die auf den ersten Blick einen durchaus heterogenen Hintergrund mitbringen. Dreh- und Angelpunkt ist die EngRoTec Systems GmbH, Teil einer gleichnamigen Industriegruppe, deren Kernkompetenz im Entwickeln von automatisierten Fertigungs- und Warensystemen inklusive der Entwicklung von Hardware und IT liegt. Stichwort Industrie 4.0. Stark vertreten ist die Gruppe mit verschiedenen Tochterunternehmen in der Automobil- und Verpackungsindustrie wie im Maschinenbau. Chef in Gallmersgarten ist Werner Huprich, der nicht nur Erfahrungen aus diversen Industrieunternehmen mitbringt, sondern auch mit jenem ersten Backwarenverkaufsautomaten, der einst den Einstieg des Discounthandels in den Verkauf
von unverpackten Backwaren markierte. Partner von

EngRoTec ist die Cetravac AG aus der Schweiz, die Anlagen zur Vakuumkonditionierung von Backwaren baut, die heute in vielen führenden Filialunternehmen erfolgreich eingesetzt werden. Vor zwei Jahren stellte das Unternehmen außerdem einen Vakuumofen vor, der laut Hersteller mithilfe von Heißdampf, Vakuum und Infraroterwärmung im Vergleich zu herkömmlichen Backöfen den Backprozess im Laden deutlich verkürzt, die Ware stabilisiert und auf „Anfass- und Schnitttemperatur“ herabkühlt.

„Dritte“ im Bunde sind die Spezialisten von BakeXperts, einem internationalen Netzwerk von Fachleuten, das sich auf die technische und technologische Beratung von handwerklichen Filialbäckereien spezialisiert hat. Schwerpunkte liegen in der Konzeption, Realisierung oder Reorganisation von Produktionskapazitäten und der Optimierung von Betriebsprozessen.

Herzstück der Anlage ist ein verfahrbarer, in drei Achsen flexibler Roboter, der die Ware vom Lager über Ofen bis hin zur Verkaufsausgabe transportiert und sich dabei auch um die Ecke bewegen kann. In den Ofen fährt die Ware auf Bändern, auf denen sie auch in Puffern zwischengelagert werden kann. Das passgenaue Pendant der Bänder in der Warenausgabe wiederum lagert auf Wiegezellen und ist seinerseits über Zahnräder beweglich, sodass bei der Aufgabe der Ware diese nicht einfach nur reingeschüttet wird, sondern produktschonend hineinfährt.

Hirn der Anlage ist ein System künstlicher Intelligenz, das alle beteiligten Stationen steuert und die dort generierten Informationen verarbeitet. Das System ist frei programmierbar und gleichzeitig selbstlernend. Tritt an irgendeiner Stelle ein Sonderfall ein, etwa wenn Baguette plötzlich extrem stark nachgefragt wird, weil das Wetter zum Picknick einlädt, ist die KI in der Lage, den gesamten Prozess so umzusteuern, dass mehr Baguettes produziert werden, bis der Run nachlässt.

Die Lösung

Die Lösung besteht grundsätzlich aus Technik, Roboter und künstlicher Intelligenz. Der Charme liegt darin, dass die Zusammenstellung und das Layout extrem flexibel sind und somit maßgeschneiderte Lösungen für Filialen, in denen nur bestimmte Teile des Sortimentes darüber verkauft werden, über eine Automatenfiliale ohne Betreuungspersonal bis hin zur Backstation im Handel denkbar sind. Selbst händisches Arbeiten am Ofen lässt sich integrieren, egal ob stundenweise oder dauerhaft. Der Personalaufwand reduziert sich pro Tag auf wenige Stunden für das Auflegen der Ware und die Reinigung, wobei die Grundreinigung permanent durch das System selber erfolgt. Unverkaufte Produkte können zu definierten Zeitpunkten automatisch entsorgt werden. Der Betreiber kann bestimmen, welche Prozessschritte im Sichtfeld der Kunden liegen sollen.

Die Suche nach Antworten läuft, Teil 2

Wer wird in Zukunft Backwaren wie verkaufen? Welche Pluspunkte, die die Verkaufskonzepte heute bieten, werden die Konsumenten künftig noch als Nutzen wahrnehmen? Wie schnell werden Kunden künftig reagieren, wenn sie nicht bekommen, was oder wann sie wollen, und der Verkaufsakt nicht bequem oder schnell genug abläuft? Wie wichtig sind neue Hygienekonzepte bei der Warenausgabe und beim Bezahlen? Eines ist sicher, die Pandemie hat die Veränderungsprozesse mit voller Wucht angestoßen. Die Antworten werden für den Backwarenverkauf im Lebensmittelhandel ebenso relevant wie für Filialisten.

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Der verfahrbare, in drei Achsen flexible Roboter ist in der Lage, die Ware vom TK-Lager bis zur Ausgabe zu handeln, und kann sogar um die Kurve fahren

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Bei Bedarf lagert der Roboter Ware in einem Kühlspeicher zwischen.

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Wer will, kann die Aufgabe händisch machen. Ein Bildschirm gibt vor, wie die Ware auf den Bändern platziert sein muss. Bei einer automatisierten Lösung ist auch dieser Schritt dem Roboter überlassen

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Außenansicht einer möglichen vollautomatisierten Backstation

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Die Bänder, auf denen die Ware transportiert und präsentiert wird, sind nicht starr, sondern angetrieben, sodass die Ware ins Blickfeld der Kunden fährt und nicht rutscht oder geschüttet wird

Technik

+ Lagerkapazitäten mit der Möglichkeit zur automatischen Entnahme für Ware, die gekühlt, ambient oder tiefgekühlt angeliefert wird
+ Aufgabestationen in verschiedener Ausführung und Kapazität, an denen die zu backende Ware händisch nach vorgegebenem Positionsschema oder vollautomatisch von Greifern aufgelegt respektive in ganzen vorbereiteten Blechladungen zum Backen bereitgestellt wird. Derart vorbereitete Ladungen wandern entweder direkt in den Ofen oder in einen temperierten Puffer
+ unterschiedliche Öfen von verschiedenen Herstellern, alternativ der Vakuumofen UDO von Cetravac, dessen Steuerung in die Hauptsteuerung integriert wird, sodass die Backprogramme auf den Füllstand des Ofens abgestimmt werden können. An einem Vakuum-Etagenofen wird derzeit gearbeitet
+ produktspezifische Präsentationsregale in verschiedenen Größen und mit verschiedenen Entnahmemöglichkeiten wie Klappen zum direkten Eingriff oder der Lösung, bei der das gewünschte Produkt mit einer Stange in einen Ausgabekanal bugsiert wird. Auch Schütten für große Mengen sind denkbar. Für einen 24-Stunden-Betrieb gibt es die Anlage auch in vandalismussicherer Ausführung. Die Ware liegt in den Fächern auf weißen Bändern, unter denen Wiegezellen den Füllstand kontrollieren. Die Bänder lassen sich über Zahnräder aus gehärtetem Stahl bewegen, sodass die Ware immer im Sichtfeld liegt und anfallende Krümel entsorgt werden. Die Bänder sind ohne Werkzeug auszutauschen und einfach zu reinigen.
+ Puffer an den verschiedenen Schnittstellen von Technik und Roboter

Automatisierung bei losen Backwaren steht in Handel und Handwerk noch am Anfang

Der Lebensmittelhandel ist weltweit längst auf dem Digitalisierungspfad. In Europa sind vor allem die Franzosen Vorreiter in der Erfassung von Daten von der Auslösung einer Bestellung bis zum Checkout selbiger Ware. Ziel ist es, zu jedem Zeitpunkt möglichst genau die Ware anzubieten, die der Kunde will, ohne Ladenhüter oder gar Retouren zu produzieren. Die dafür genutzte KI optimiert die Anzahl der Regalplätze, überwacht Sonderplatzierungen, löst Nachfüllimpulse aus, passt den Preis über elektronische Auszeichnungsschilder an etc.
Ausgenommen davon waren bislang die Backstationen. Grund: Das Aussehen der Produkte ist nur begrenzt standardisierbar, sie sind im Vergleich zum Trockensortiment kurz haltbar und krümeln. Kunden verhalten sich bei der Selbstbedienung obendrein nicht immer kooperativ, legen Gebäcke, Zangen, Handschuhe zurück, manchmal auch ins falsche Fach, lassen Ware einfach liegen etc. Die Be- und Entladung der Öfen ist maximal halbautomatisiert. Der Einsatz von Arbeitskräften an Ofen und Regal war bislang alternativlos. Es gibt zwar erste Lösungen für die Datenerfassung an der Warenentnahme, die sich dann mit den Kassen und dem Warenwirtschaftssystem austauschen, aber das war’s bislang auch. Von schneller Reaktion kann keine Rede sein.
In deutschsprachigen Filialbetrieben gibt es bislang Warenwirtschaftssysteme, die auch Pläne für die Belieferung der Filialen und das Backprogramm im Laden liefern. Die aber funktionieren auf Basis historischer Erfahrungswerte vergleichbarer Tage und lassen spontanen Einfluss auf den Verkauf unberücksichtigt. Automatisierung findet nicht statt – zum Teil, weil es bislang einfach keine besseren Lösungen gibt, zum Teil, weil es zur Tradition gehört, zumindest im Laden alles händisch zu erledigen. Sämtliche Arbeiten vor Ort werden deshalb vom Verkaufspersonal erledigt.
Beide Systeme, Handel wie Filialbäckereien, werden sich künftig darauf einstellen müssen, dass es schwieriger wird, kostengünstige Arbeitskräfte zu rekrutieren. Gleichzeitig steigen die Anforderungen der Verbraucher sowohl hinsichtlich der Verfügbarkeit der gewünschten Ware statt irgendwelcher Ware, der sinkenden Bereitschaft, Wartezeiten oder inkompetente Bedienung zu ertragen, und – nicht zuletzt pandemiebedingt – der Sauberkeit der Auslagen und der Sicherheit, dass niemand sonst die Ware mit bloßen Händen angefasst hat. Der Druck, den Online-Handel und Lieferservices in der jüngsten Vergangenheit auf den stationären Handel ausüben, wird nicht nachlassen und dazu führen, dass der Preiskampf sich verschärft. Die Margen von Handel wie Filialisten kommen ihrerseits unter Druck. So manche Filiale, die sich bislang vielleicht so gerade noch rechnete, rutscht in die roten Zahlen, Prozessoptimierung istgefragt.

Robotic

Der Arbeiter im System ist ein in den Achsen x/y/z beweglicher Roboter, der in der Lage ist, mit Blechen, Trays, Papierauflagen zu hantieren oder die Ware auf Bänder zu legen. Der Roboter selber kann sich bei Bedarf drehen und so auch ein Shopdesign „um die Ecke“ bedienen. Die Position ist frei programmierbar. Jede beliebige Position kann angesteuert werden. Der Roboter holt belegte Bänder aus der Aufgabestation, gibt deren Belegung an den Ofen und holt die Ware nach dem Backen wieder ab, transportiert sie zu Puffern oder direkt in die Abgabestation, wobei er je nach der Höhe des zu befüllenden Regals die Bleche kippen kann, sodass die Ware sanft und ohne Gefahr, angestoßen zu werden, in das Ausgabefach rutscht. Eine zusätzliche Funktion des Roboters ist die automatische Reinigung von Speicher- und Ofenbändern.

KI

Zum Einsatz kommt eine industrielle Steuerung der neuesten Generation zur Steuerung des gesamten Prozesses mit selbstlernendem Produktmanagementsystem. Die künstliche Intelligenz nimmt die Signale der Wiegezellen in den Ausgabefächern auf und setzt rechtzeitig die Produktion des Nachschubs in Gang. Für den Fall, dass die Produkte händisch aufgelegt werden, wird dem Mitarbeiter ein optisches oder akustisches Signal übermittelt. Sensoren überwachen das Andocken des Roboters an andere Anlagenteile.

Zugriffskontrolle auf Anlagenparameter sind über unterschiedliche Berechtigungsebenen differenzierbar. Softwareveränderungen und Support gibt es per Fernwartung. Die Vernetzung der Steuerung an bestehende Netze des Unternehmens erfolgt über Ethernet-Schnittstelle.