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b+b-2021-04-Backshop im LEH: Kamera oder Waage?

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Versäumter Umsatz, weil das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt im Laden nicht verfügbar ist, stellt angesichts lieferfähiger Online-Konkurrenz ein wachsendes Risiko dar. Im Lebensmittelhandel laufen Versuche, dem Problem mit Kamera und Waage beizukommen.

Das Gros der Backstationen im Lebensmitteleinzelhandel wird gefüllt mit Ware, die tiefgekühlt angeliefert und in den Öfen vor Ort fertiggebacken respektive nur aufgetaut wird. Die Bestückung der Selbstbedienungsregale wird vorab mit großem Datenaufwand aus Erfahrungswerten, Kassengeschehen der Vergangenheit, Wetterprognosen, dem erwarteten Einfluss von Sonderereignissen, organisierten Verkaufsaktionen etc. errechnet.

Doch egal, wie gut die Algorithmen den Bedarf vorhersagen, es bleiben Schwachstellen. 1. Das Angebot entspricht trotz aller Planung nicht der Nachfrage. 2. Die Warenpräsentation ist alles andere als verlockend. 3. Das Personal, das die Präsentationspläne umsetzen soll, ist mit anderen Aufgaben zugeschüttet, schlecht bezahlt und/oder unmotiviert. Folge: Umsätze werden nicht getätigt und es leidet die Sogwirkung der Backstation, deren Attraktivität Kunden in die Läden ziehen und zusätzlich andere Umsätze generieren soll. Die Gefahr steigt, dass Kunden abwandern oder zum Online-Lieferservice wechseln, weil der im Zweifel Zeit hat, das gewünschte Produkt in seinem Vertriebszentrum aufzubacken, und so exakt das Gewünschte super frisch an die Haustür liefert.

Die Suche nach Antworten läuft

Wer wird in Zukunft Backwaren wie verkaufen? Welche Pluspunkte, die die Verkaufskonzepte heute bieten, werden die Konsumenten künftig noch als Nutzen wahrnehmen? Wie schnell werden Kunden künftig reagieren, wenn sie nicht bekommen, was oder wann sie wollen, und der Verkaufsakt nicht bequem oder schnell genug abläuft? Wie wichtig sind neue Hygienekonzepte bei der Warenausgabe und beim Bezahlen? Eines ist sicher, die Pandemie hat die Veränderungsprozesse mit voller Wucht angestoßen. Die Antworten werden für den Backwarenverkauf im Lebensmittelhandel ebenso relevant wie für Filialisten.
In der nächsten Ausgabe von brot+backwaren: Effizienz durch KI und Robotic

Dass es diese Schwachstellen gibt, hat durchaus etwas mit dem Produkt selber zu tun. Backwaren altern schnell, verändern ihr Aussehen, krümeln oder hinterlassen Fett- und andere Flecken, was ihre Verlockung für den Kunden nicht eben steigert. Eigentlich müsste man das Backwarenregal und seine Abverkäufe permanent im Blick halten, zumal sie in den Supermärkten häufig am Anfang des Kundenlaufes platziert sind und bis zur Erfassung des Abverkaufes an der Kasse längere Zeit vergehen kann, wenn es überhaupt dort ankommt. Ein anderes Problem, das einer präzisen Abverkaufskontrolle einerseits und der permanenten Warenpräsenz andererseits im Weg steht, ist das Verhalten der Kunden. Ware wird zurückgelegt, ins richtige oder falsche Fach, mit oder ohne Verpackung oder der Zange oder dem Handschuh, mit der man die Ware eigentlich entnehmen sollte.

Volle Regale bis zum Ladenschluss zählten in der Vergangenheit als Kundenmagnet und angesichts niedriger Einstandskosten galten nach Geschäftsschluss weggeworfene Artikel nicht als schmerzhafte Kostentreiber. Erst das Aufkommen öffentlicher Kampagnen gegen Lebensmittelverschwendung drehte den Blickwinkel. Permanent Personal am Regal nach dem Rechten schauen zu lassen ist trotzdem teuer und angesichts der Arbeitsbedingungen kaum zu finden.

Derzeit gibt es deshalb zwei Versuchsanordnungen im Handel, das Geschehen in den Ausgabefächern des Handels digital zu erfassen.

Kameras von SES-Imagotag

Eine Lösung stammt von der französischen SES-Gruppe, deren im deutschen Ettenheim beheimatete Tochtergesellschaft SES-Imagotag Anfang 2021 im Rahmen eines Regalmanagement-Systems eine kamerabasierte Lösung auf den Markt brachte. Inzwischen, so heißt es, sei die Lösung in etlichen Supermärkten in Frankreich, UK und Spanien im Einsatz.

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Eine kleine Kamera übermittelt regelmäßig ein Bild des jeweiligen Backshopfaches

Der Marktbetreiber definiert die Zahl der zu beobachtenden Fächer sowie Menge und Dauer der gewünschten Warenverfügbarkeit. Die Kameras nehmen alle halbe Stunde ein Bild von den Warenbeständen in den Ausgabefächer auf. Eine spezielle Software vergleicht die aufgenommenen Bilder mit vorgegebenen. Die Software, die die aufgenommenen Bilder auswertet, erkennt dabei nicht die Anzahl der Stücke, sondern den prozentualen Füllgrad des Faches, aber anhand der erlernten Bilder auch Anomalien – sprich, falsche oder fremde Produkte im Fach – und alarmiert gegebenenfalls den zuständigen Mitarbeiter. Dabei sorgt ein permanenter Lernprozess der Software für immer mehr Präzision und Optimierung des Vergleichs.

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Das Dashboard der SES-Imagotag-Lösung

Bei entsprechender Verknüpfung mit der Steuerung von Ofenbelegung und Backprozess lassen sich zudem automatisch Nachbackprozesse auslösen. Verknüpfungen mit dem Warenwirtschaftssystem sind ebenso möglich wie Verknüpfungen mit digitalen Preisschildern, die sich nach vorgegebenen Regeln dem Warenbestand anpassen.

Erste Auswertungen über knapp 50 Märkte, in denen die Kamerasysteme von SES installiert sind, ergaben laut Michael Unmüßig, Geschäftsführer der SES-Imagotag Deutschland GmbH, eine durchschnittliche Verbesserung der Warenverfügbarkeit von 92 auf 98 % bzw. ein Umsatzplus von 6 %. Die Ist-Datenaufnahme zeige außerdem deutliche Hinweise auf eine Verringerung der Entsorgungsmengen. Ende 2021 soll dazu eine ausführliche Auswertung vorliegen.

Handwerkliche Filialisten als Lieferanten

Discounter wie Supermärkte im deutschsprachigen Europa versuchen derzeit verstärkt, über Regale für regionale Filialisten auf ihren Handelsflächen mehr Attraktivität im Backwarensortiment zu erzeugen. Nicht selten wird die Ware frisch angeliefert, sodass der Backvorgang entfällt. Der Name des Filialisten flößt den Verbrauchern Vertrauen ein und sie akzeptieren höhere Preise. Wie viel davon beim Filialisten ankommt, ist Verhandlungssache, denn in aller Regel ist er Lieferant, dessen Einfluss an der Rampe endet. Nur selten akzeptieren die Händler, dass der Bäcker die gesamte Wertschöpfungskette in seinen Händen hält.

Die Aldi Süd-Gruppe hat mehr als zwei Drittel ihrer Standorte mit solchen
Angeboten ausgerüstet. Aldi Nord zieht derzeit nach. Andere Handelsgruppen entdecken ebenfalls ihr Herz für die lokalen Handwerker. Im Norden der Republik gehört die in Seevetal ansässige Bio-Bäckerei Bahde zu jenen, die seit längerer Zeit Erfahrungen mit eigenen Regalen in Supermärkten von Edeka und Rewe sammeln. In der Schweiz kooperiert Lidl mit Bäckereien unter der Überschrift „Von Deinem Beck“ und auch in Österreich pflegt Lidl regionale Zusammenarbeit mit Filialisten. Selbst wenn die Bedeutung der handwerklichen Filialisten für Image und Absatz auf dem Backwarenmarkt vor allem im deutschsprachigen Raum vom Handel geschätzt wird, hat sich die Idee inzwischen globalisiert. Aldi Australia beispielsweise kooperiert in seinen neuen Convenience-Stores im Raum Sydney mit der Sonoma Bakery, eine Filialbäckerei, die in New South Wales aktiv ist und sich Artisan Sourdough Bakers nennt.

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Waagen bei Billa Plus

Die Rewe Group in Österreich testet in Billa Plus-Märkten die Installation von Waagen unter den Warenpräsentationsflächen. Jede Entnahme eines Gebäckstückes wird an einen Rechner gemeldet, der diese Information sammelt und bei Erreichen eines vorgegebenen Schwellenwertes derzeit eine Nachricht an das Dashboard des zuständigen Personals sendet. Vorgesehen ist, dass der Rechner künftig auch in der Lage sein soll, bei Erreichen des Schwellenwertes den Ofen anzusteuern. Eine direkte Vernetzung des Rechners mit dem Kassensystem bzw. dem Warenwirtschaftssystem gibt es derzeit ebenfalls noch nicht, ist aber angedacht.

Das System rechnet nur in Gewichten und erkennt auch nur den Gewichtsunterschied. Deshalb gibt es einen klar definierten Plan, welches Gebäck in welchem Fach angeboten wird. Die entsprechenden Durchschnittsgewichte des Artikels sind im Rechner hinterlegt. Wird ein Artikel in einem falschen Fach deponiert, erkennt der Mitarbeiter die falsch berechnete Artikelzahl aufgrund der Anzeige am Dashboard, es sei denn, die Artikel sind gewichtsgleich.

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Smart Shelf bei Billa in Österreich. Die Bizerba-Waagen in den Ausgabefächern melden jeden Abverkauf

Gebäckrückstände wie Krümel, Körner etc. haben in der Regel nur geringe Gewichte, die unter der Toleranzgrenze liegen. Die Toleranzgrenze ist als Prozentsatz des jeweiligen Durchschnittsgewichtes des Artikels definiert. Ansonsten ist es Aufgabe der Mitarbeiter, die Gebäckfächer regelmäßig zu reinigen und Zangen, Tüten o.Ä., die fälschlich in den Fächern gelandet sind, zu entfernen. Legt ein Kunde ein Gebäckstück in ein falsches Fach zurück, gilt, wie bei einer Fehlbelegung des Faches, dass es nur auffällt, wenn ein Gewichtsunterschied zum am Ort vorgesehenen Gebäck sichtbar wird.

Digitalisierung im Handel

Derzeit laufen die Digitalisierungsstrategien des Handels auf Hochtouren. Weit gediehen ist bei den meisten Gruppen die Sparte Marketing und Kommunikation mit den Kunden. Social-Media-Kanäle werden bespielt, Apps sollen Kunden binden, ihnen den Online-Einkauf erleichtern und ganz nebenbei Daten beschaffen.

Die wachsende Bereitschaft vor allem jüngerer Verbraucher, digital zu bezahlen, weckt das Interesse des Handels an automatisierten Shop-Konzepten, vor allem an Standorten, wo viel Laufkundschaft schnell bedient sein will. So testet die Valora in der Schweiz derzeit automatisierte Verkaufs- und Bezahllösungen in Convenience-Shops. Vorstellen, so heißt es, könne man sich solche Lösungen auch in Form von automatisierten Regalen, etwa für Büroräume, und automatisierten Shop-in-Shop-Konzepten. Der Valora gehören Convenience-Shops in Hochfrequenzlagen, die Brezelspezialisten Ditsch und Brezelkönig sowie die Backgastronomiekette BackWerk in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden, zusammen rund 3.000 Outlets. Diverse Supermärkte bieten den Kunden bereits die Möglichkeit, ihren Bezahlvorgang durch Scannen der Ware mittels Smartphone oder bereitgestelltem Handscanner zu beschleunigen.

Die Pandemie hat bei den Verbrauchern das Interesse am Online-Handel im Lebensmittelbereich gefördert. Neben den klassischen Lieferdiensten machen derzeit sogenannte Schnell-Lieferdienste wie Gorillas, Flink und Getir von sich reden. Sie versprechen Lieferung innerhalb von 10 Minuten nach Eingang der Order per Smartphone. Geliefert wird ausschließlich in städtischen Ballungsräume per Fahrradkurier aus dezentralen Kleinlagern. Das Sortiment ist an den Supermarkt angelehnt, umfasst aber nur rund 1.000 Artikel. Anfang August startet in München die tschechische Rohlik Group mit ihrem Lieferdienst Knuspr. Der Dienst konzentriert sich auf Tagesfrische und Regionalität und bietet ein breites Sortiment an Supermarkt- und Hofladenprodukten, die innerhalb von drei Stunden nach der Bestellung an der Haustür überreicht werden. Werbeversprechen für das Backwarensortiment: „Bei uns gibt‘s ofenfrische Backwaren aus unserer hauseigenen Bäckerei oder von den besten Bäckern und Konditoren der Region.“ In den Startlöchern für den europäischen Markt steht laut Presseberichten auch Gopuff, der Urvater aller Schnell-Lieferdienste, der bislang nur in den USA lieferte.

Ein großes und weit fortgeschrittenes Feld der Digitalisierung und Automatisierung im Handel ist die gesamte Supply Chain von der Verbindung zu den Systemen der Hersteller über Logistik und Lagerhaltung bis hin zur Warenpräsenz im Shop. Dazu gehören inzwischen selbstlernende Vorhersagen, die immer mehr Faktoren berücksichtigen können, automatische Bestandsführung und die Verteilung von Stammdaten. Für verpackte Ware ist all dies heute Normalität, auch wenn dabei riesige Datenvolumina erzeugt werden, beispielsweise für Produkte, die im Regal in diversen Verpackungsgrößen stehen und zusätzlich oder saisonal auf Sonderflächen mit anderen Inhaltsmengen und Preisen angeboten werden. Auch Frisch-
waren wie Obst und Gemüse, deren Haltbarkeit in aller Regel über den Tag hinausreicht, sowie Bedienungstheken sind digital in das Warenwirtschaftssystem eingebunden.
Ein eher noch junges Feld ist die Optimierung der Warenpräsenz am Point of Sales, ihre Erkennbarkeit, ihre Erreichbarkeit und die Frage, ob die Ware dort verfügbar ist, wo der Kunde sie erwartet. Auch hier kommen Kameras und andere Sensortechnik zum Einsatz, die ihre Daten an eine Cloud abgeben, in der Veränderungen bzw. die Optimierung der Warenpräsenz errechnet werden. Gleichzeitig sind sie vernetzt und melden Bestände automatisch an die Warenwirtschaft.

Zur Digitalisierung am POS gehören selbstverständlich auch digitale Preisschilder, die untertägig eine Anpassung der Preise und damit die Reduzierung von Ausschuss ermöglichen. Digitale Werbeflächen, Aktionshinweise und die Verknüpfung all dieser Dinge mit der Kundenkommunikation vor, während und nach dem Einkauf runden die Möglichkeiten ab, das Angebot ad hoc für die Kunden attraktiver zu machen.

Den größten Gewinn aber generiert die Vernetzung all dieser Informationssysteme.

Die Ware, die in diesen Backstationen angeliefert wird, ist tiefgefroren. Ob, wann und in welcher Menge nachgebacken wird, hängt von der Definition des Schwellenwertes, der Backzeit, dem Blechbelegungsplan, aber auch vom Personaleinsatz, baulichen Gegebenheiten und anderen ortsspezifischen Anforderungen ab. Derzeit setzt das System, das Rewe bei Billa testet, noch sehr stark auf die Anwesenheit und Aufmerksamkeit des Personals. An automatischen Backplänen, die sowohl Verkäufe wie Abschriften berücksichtigen, wird derzeit gearbeitet, sodass auch Ware berücksichtigt werden kann, die zwar theoretisch noch vorhanden sein müsste, es real aber nicht ist, wie die Waage zeigt.

Auf Nachfrage teilte die Rewe Austria mit, dass es derzeit keine weiteren konkreten Rollout-Pläne gibt. Der Test sei noch nicht abgeschlossen.