Nachhaltigkeitskommunikation ist nützlich, ja notwendig, kann aber auch gefährlich sein. Denn man legt die Latte für Qualität und Redlichkeit höher, weil die Stakeholder-Erwartungen nach oben geschraubt werden. Dieser Beitrag befasst sich mit den Fallstricken und Problemlösungen in der Praxis.
Was an Lösungen in einem Bereich gut funktioniert, taugt meist auch als Ansatz in einem anderen Bereich, dachten sich die Entwickler des Anlagenbauers FRITSCH. Das gilt z. B. für den Croissant-Biegeroboter, dessen Funktionsprinzip in abgeänderter Form nun auch auf der industriellen Brotlinie von FRITSCH, der IMPRESSA bread, eingesetzt wird. Die modulare Anlage wird jetzt noch flexibler in Bezug auf die herstellbaren Produkte, denn auf der Basis der Robotertechnik des Croissantbiegesystems CBS entwickelte das Unternehmen eine ganz neue Lösung: die Dekorationseinheit PDU („Product Decoration Unit“). Damit können auf der Brotlinie Muster in die Oberfläche von Produkten gedrückt oder geschnitten werden, und das unabhängig von deren Form und Gewicht. Ob klassische Kaisersemmeln, Roggenschrippen oder Produkte mit individuellem Jubiläums- oder Fußballmuster – der Kreativität sind hier kaum Grenzen gesetzt.
Wie Nachhaltigkeitskommunikation funktioniert
Von der gesetzlichen Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung abgesehen (wird in der nächsten Ausgabe behandelt) gibt es gute Gründe für eine proaktive Nachhaltigkeitskommunikation. Wie bereits gesagt, geht es in erster Linie um den Aufbau und Schutz der Reputation durch effektive Kommunikation. Dadurch entstehen Wettbewerbsvorteile, die sich in höheren Umsätzen und/oder Kostensenkungen niederschlagen sollen. Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Das heißt, Kommunikation kann sich niemals in einer Push-Strategie erschöpfen. Genauso wichtig ist der zweite Part, nämlich wie die Botschaftsempfänger darauf reagieren, also der Pull. Das Motto für jede gute Kommunikation lautet daher: „Sprich und hör gut zu!“ Mit dem Zuhören (durch offene und ehrliche Erhebung von Informationen) haben manche Unternehmen durchaus ihre Probleme.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Nachhaltigkeit beeinflusst die Reputation nicht direkt, sondern wird durch die emotionale Attraktivität eines Unternehmens gefiltert. Emotionale Attraktivität beinhaltet Dinge wie Wohlfühleffekt, Bewunderung und Respekt sowie Vertrauen. Nachhaltigkeitskommunikation führt bei den Botschaftsempfängern somit zu bestimmten Assoziationen im Hinblick auf ein Unternehmen und diese sollen möglichst positiv sein, damit Kunden sich zum Kauf entscheiden oder Mitarbeiter sich für ihren Arbeitgeber engagieren. Psychologen sprechen hier von Attributen, und diese Attribute hängen von der bereits vorhandenen Reputation des Unternehmens, von der Marketingstrategie und von den Besonderheiten der Branche ab. Die Bäckereibranche weist beispielsweise sehr hohe Hygiene- und Qualitätsstandards auf, die von Kunden, Mitarbeitern und weiteren Stakeholdern erwartet und vorausgesetzt werden.
Die Attribute hängen darüber hinaus von den Wertorientierungen der Stakeholder ab, die je nach Kundensegment sehr unterschiedlich sein können. In diesem Zusammenhang ist auf eine von der GfK Nürnberg anlässlich der ANUGA 2011 herausgegebene Studie mit dem Titel „Consumers‘ Choice ’11. Lebensmittelqualität im Verbraucherfokus: Chancen für Ernährungsindustrie und Handel“ hinzuweisen. Demnach sind nachhaltigkeitsorientierte Menschen überdurchschnittlich gebildet (qualifizierte Angestellte, Beamte im gehobenen oder höheren Dienst sowie Freiberufler). Für dieses Segment kommt Qualität vor Preis. Diese Verbraucher schätzen die Merkmale Gesundheit und Sicherheit, traditionelle Herstellung (keine Gentechnik) sowie regionale Herkunft (gerne in Bioqualität). Weniger wichtig sind dagegen die Merkmale Convenience, Marke und Verpackung sowie Akzeptanz im sozialen Umfeld, denn sie sind unabhängig in ihrer Meinungsbildung. Bei ihnen verändert sich jedoch im Laufe ihrer Biografie die Gewichtung von Nachhaltigkeit gegenüber anderen Faktoren. Sie ist am stärksten bei Studierenden und Auszubildenden mit eigenem Haushalt sowie später bei allein lebenden Berufstätigen. In der Familienphase mit ihren diversen finanziellen Verpflichtungen ist das Preisbewusstsein stärker. Erst wenn die Kinder das Haus verlassen, gewinnt der Nachhaltigkeitsgedanke wieder die Oberhand. Diese Analyse verweist damit auf die Kundensegmente, die am ehesten für Nachhaltigkeitskommunikation ansprechbar sind und wo sich entsprechende Bemühungen auch für Bäckereien lohnen.
Autor
Prof. Dr. James Bruton lehrt Wirtschafts- und Unternehmensethik mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und CSR an der Europa-Universität Flensburg sowie an der Nord-
akademie Graduate School in Hamburg. Er ist Buchautor u. a. des Buches „Corporate Social Responsibility und wirtschaftliches Handeln. Konzepte, Maßnahmen, Kommunikation”. Er ist außerdem autorisierter INQA-Berater.
Sie erreichen ihn unter james.bruton@online.de.
Skepsis abzubauen ist das eigentliche Grundthema
Der bekannte Spruch „Tu‘ Gutes und rede darüber“ gilt auch für die Nachhaltigkeitskommunikation, aber damit kommen wir schon zur nächsten Herausforderung. Je mehr ein Unternehmen über Nachhaltigkeit spricht, desto mehr Skepsis wird erzeugt. Das Dilemma ist also: Reputationsaufbau setzt Engagement für Nachhaltigkeit und entsprechende Kommunikation voraus, aber die Nachhaltigkeitskommunikation kann sich negativ auf die Glaubwürdigkeit auswirken, nach dem Motto: „Wer darüber sprechen muss, hat allen Grund dazu!“ Ein Vorschlag, um diesem Dilemma beizukommen, liegt in der sog. impliziten Kommunikation. Anstatt direkt zu kommunizieren, mobilisiert das Unternehmen die Mitarbeiter für das Thema Nachhaltigkeit und vertraut darauf, dass sie die Botschaft nach außen tragen. Der Nachteil dieser Vorgehensweise liegt in der geringeren Steuerbarkeit gegenüber der direkten oder expliziten Kommunikation. Dafür hat man einen sog. Testimonial-Effekt, will heißen, dass die Botschaftsempfänger eher geneigt sind, den Mitarbeitern Glauben zu schenken als dem Unternehmen selbst, weil diese als unabhängig wahrgenommen werden.
Das bedeutet aber auch, dass die Mitarbeiter und nicht die Kunden die erste Andockstelle bei Nachhaltigkeitsaktivitäten sind. Der Fokus ist also zunächst auf die Bearbeitung der Handlungsfelder im Personalbereich zu legen, wie faire Vertragsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und menschliche Entwicklung und Weiterbildung. Wenn diese Rahmenbedingung als fair und akzeptabel erlebt werden, können Mitarbeiter Vertrauen schöpfen und Stolz entwickeln und sie sprechen dann im Kollegenkreis, gegenüber Kunden und in ihren sozialen Netzwerken positiv über das Unternehmen.
Wenn wir eine Nachricht hören, verarbeiten wir nicht nur die übermittelten Informationen, sondern interpretieren auch die Motivation des Senders. Wir lesen sozusagen zwischen den Zeilen. Mitarbeiter und Kunden interessieren sich grundsätzlich für Informationen darüber, ob ein Unternehmen sozial und ökologisch verantwortlich handelt, und versuchen herauszulesen, ob dessen Motivation intrinsisch oder extrinsisch ist. Intrinsisch ist die Motivation, wenn das Unternehmen die Aktivitäten im Interesse der Sache selbst entfaltet. Extrinsisch bedeutet, dass andere Motive ins Spiel kommen, z. B. wenn Maßnahmen ergriffen werden, um Umsatz zu steigern oder Kosten zu senken. PR-Methoden, die ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image erzielen wollen, ohne dass es dafür eine hinreichende Basis gibt (sog. Greenwashing), fallen in diese Kategorie.
Bei einer starken Zuschreibung intrinsischer Motive ziehen Mitarbeiter und Kunden positive Rückschlüsse über den Charakter der Organisationen und entwickeln eine positive Einstellung ihr gegenüber. Dagegen entsteht eine eher negative Einstellung, wenn zu starke extrinsische Motive herausgelesen werden. Das ist leicht nachzuvollziehen, aber es heißt nicht, dass extrinsische Motive nicht vorkommen dürfen. Vielmehr halten Stakeholder eine gemischte Motivationslage (intrinsisch und extrinsisch) in der Regel für glaubwürdiger, weil jedem klar ist, dass Unternehmen in erster Linie existieren, um Geld zu verdienen. Der bekannte schottische Nationalökonom und Philosoph Adam Smith soll diesen Zusammenhang einmal so formuliert haben: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“
Eine Aktion der Ludwig Stocker Hofpfisterei GmbH, München, möge als Beispiel für eine typische gemischte Motivationslage dienen. Diese Bäckerei startete ihre jährliche Bio-Brotbox-
Aktion für Schüler und präsentiert das folgende Bild auf ihrer Website. Die intrinsische Motivation liegt auf der Hand. Schulanfänger, die mehr Süßigkeiten als alles andere in ihrer Schultüte haben, sollen leicht in Richtung gesunde Ernährung gestupst werden. Die extrinsische Motivation ist die durch die Betonung der Qualität und Gesundheit der Produkte erzielte mediale Aufmerksamkeit, denn der Oberbürgermeister von München wurde eingeladen und besuchte die Packstation.
Darüber hinaus ist ein weiterer Fallstrick noch von Bedeutung: Bei einem sozialen Nachhaltigkeitsthema, das sich nicht auf die Unternehmensprodukte bezieht, können Mitarbeiter und Kunden wiederum versteckte Motive wittern, weil das Thema als inkongruent und daher unpassend erlebt wird. Der Ausweg hier besteht darin, die Bedeutung des sozialen Themas für das Unternehmen herauszustellen und durch eine geeignete Themenwahl die relative Nebensächlichkeit des finanziellen Interesses im Vergleich dazu zu signalisieren.
Die genannten Erkenntnisse lassen sich in Form einer Checkliste (siehe oben) für die Praxis zusammenfassen. Diese Fragen sind als Unterstützung bei der Themenauswahl und Kommunikation gedacht.